Freitag, 12. April 2024

Das Auge der Nacht - Rolf und Cilla Björlind


Der Roman greift hochaktuelle Themen auf. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Folgen spielen eine zentrale Rolle. Der Flüchtlingsstrom erreicht nun auch Schweden und viele Frauen und ihre Kinder werden zur Prostitution gezwungen. Der organisierte Menschenhandel nutzt die Hilflosigkeit und Verzweiflung dieser traumatisierten Menschen aus, um aus ihrem Leid den größtmöglichen Profit zu schlagen.

Doch es bleibt nicht nur bei diesem Thema, auch die „Flucht“ von russischen Oligarchen wird angesprochen und deren gewisse Angst vor vergifteten Tee, Fensterstürzen und anderen merkwürdigen endlichen Zufällen – in denen der russische Geheimdienst vielleicht seine Finger im tödlichen Spiel hat. 

Brisante Themen also, die das Autorenpaar hier aufgreift und ihnen damit eine politische, aber auch menschliche Stimme verleiht. Das ist nicht selbstverständlich - das Risiko, hier zu polarisieren, nehmen sie in Kauf, was die beiden Drehbuchautoren nicht weniger sympathisch macht. 

Es ist der achte Band der Reihe. Natürlich gibt es ein Wiedersehen mit den Figuren, die wir aus den vorherigen Bänden kennen. Es ist ein bisschen wie bei einer guten, traditionellen Familienfeier. „Das Auge der Nacht“ ist wirklich ein Fest. Spannende Lesestunden sind garantiert.

Als Olivia Rönning und Lisa Hedqvist ukrainische Flüchtlinge befragen, um Misshandlungen auf dem Fluchtweg zu dokumentieren, erfahren die beiden Polizistinnen von einem internationalen Netzwerk, das Menschenhandel organisiert. Wer steckt dahinter? • Tom Stiltons Partnerin Luna glaubt, dass er in einen Mordfall verwickelt war, aber Stilton scheint sich deswegen nicht schuldig zu fühlen. Als die Polizei ihn verhört, spitzt sich die Situation zu. Kann sie einen solchen Mann überhaupt lieben? • Ein Mann stürzt im Zentrum von Stockholm von einem Dach, nachdem er von zwei Männern gejagt wurde. Der Mann kann nicht identifiziert werden. Wer ist er, und wer hat ihn verfolgt? • Abbas, Toms und Olivias Freund, erhält unerwarteten Besuch von seiner Mutter, die er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hat – eine schockierende Begegnung. Warum hat sie ihn aufgesucht? Alles hat mit einer Luxusjacht an der französischen Riviera und einem unbezahlbaren Schatz zu tun – einem verschwundenen Fabergé-Ei namens Auge der Nacht. (Verlagsinfo) 

Allein die Handlung verspricht nicht nur souveräne Spannung, sondern auch hohe Emotionalität, gerade wenn „Unschuldige“, vom Krieg Vertriebene, wieder einmal Opfer werden. Das Schicksal kann ein verdammt schlechter Verräter sein. 

Die Entwicklung der Geschichte ist manchmal langsam und flankiert von einigen, auch privaten Nebengeschichten, dauert es ein wenig, bis die Atmosphäre ein Niveau erreicht, dem man sich nicht mehr entziehen kann. Dennoch gelingt es dem Duo, jede einzelne Figur so gut in Szene zu setzen, dass dieser Roman zu einem der stärksten in der Reihe wird.

Abbas' Rolle hätte ich mir intensiver vorgestellt, ebenso wäre es gut gewesen, wenn Tom Stiltons Charakter mehr Substanz hätte. Diese Rastlosigkeit, ohne wirklich ein Ziel vor Augen zu haben: Das nimmt man ihm nicht mehr ab. Sicherlich ist er durch seine Zeit als Obdachloser posttraumatisiert. Aber dieses innere Wartezimmer, in dem er sich freiwillig eingerichtet hat, muss langsam verlassen werden.. 

Olivia Rönning hingegen hat ihre berufliche Rolle fest im Griff, doch ihr Privatleben ist ein Katastrophengebiet mittlerer Größe, in dem jede Entscheidung eine emotionale Tretmine auslöst. Schön, dass bei diesem "Familientreffen" auch die privaten Herausforderungen thematisiert werden - aber etwas weniger Bühne wäre in Zukunft schön. 
Leider wirkt es auch etwas zu konstruiert und unglaubwürdig, dass sich fast alle Handlungsstränge zu einem guten Ende zusammenfügen. 

Trotz dieser kleinen Kritikpunkte: „Das Auge der Nacht“ ist ein Pageturner und auf jeden Fall eine Leseempfehlung. Allerdings kann ich jedem Leser und jeder Leserin nur empfehlen, zunächst mit Band 1 zu beginnen. Viele interne Anspielungen und Charakterentwicklungen bleiben sonst im Schatten der Handlung und diese sind wirklich tragend, um die Charaktere besser interpretieren zu können.

Fazit 

Ein Garant für Spannung mit vielen aktuellen Themen, die polarisieren können. Großartige Charaktere, großartige Spannung. Im Norden wird immer noch gerne gemordet... und bei diesem Krimi kann man nachts kein Auge zudrücken.

Michael Sterzik




Donnerstag, 11. April 2024

Der Märtyrer - Anthony Ryan


Zufälle oder Schicksale - wie werden aus einfachen Menschen Helden, die über sich hinauswachsen und sich Aufgaben stellen müssen, bei denen sie sich am Ende immer fragen: Warum gerade ich? 

Das kann im Guten wie im Schlechten geschehen. Nicht jede Last ist ein Fest für diesen Menschen, nicht jede Verantwortung gewollt, nicht jede Entscheidung bewusst getroffen. Gibt es am Ende eine göttliche Bestimmung, der wir nicht ausweichen können, weil dieser Weg einfach vorgezeichnet ist? 

Manche Karrieren sind zu phantastisch, und es sind gerade die einfachen Menschen, die nicht vorbelastet sind, die der Geschichte eine ganz neue, nachhaltige Richtung geben können. Der Schwung des Schicksals - vielleicht kann man ihm wirklich nicht ausweichen.
Im ersten Band dieser großartigen Reihe von Anthony Ryan – Der Paria – wird ein junger Gesetzloser zur Schlüsselgestalt in einem Bürgerkrieg. Seine Laufbahn endet im ersten Band als Schreiber und Vertrauter einer fast schon heiligen Person, die er allerdings mitgeholfen hat zu erschaffen….eine insgesamt verflixte Situation.

Nun ist der zweite Band: „Der Märtyrer“ von Anthony Ryan erschienen und knüpft unmittelbar an die Ereignisse des ersten Bandes an. 

Die Zeiten haben sich für Alwyn Scribe geändert. Einst war er ein Geächteter, jetzt ist er Spion und ein eingeschworener Beschützer von Lady Evadine Courlain. Ihre Visionen einer dämonischen Apokalypse verliehen ihr die fanatische Ergebenheit der Gläubigen. Doch Evadines wachsender Ruhm hat sie in Konflikt mit der Krone und dem Bund gebracht und im Königreich brauen sich gefährliche Unruhen zusammen...

Als Alwyn ins Herzogtum Alundia geschickt wird, um eine Rebellion niederzuschlagen, muss er sich auf alte Instinkte verlassen, um für seine neue Sache zu kämpfen. Alwyn Scribe war nie dazu bestimmt, Soldat zu sein. Ein Dieb? Ja. Ein Schreiber? Ganz gewiss. Aber ein Soldat? Diese Rolle scheint zu seinem Albtraum zu werden. Tödliche Fehden und uralte Geheimnisse werden aufgedeckt, als der Krieg ausbricht, ein Krieg, der über das Schicksal des Königreichs Albermaine entscheiden und vielleicht die Ankunft der prophezeiten Zweiten großen Plage verhindern wird.(Verlagsinfo) 

Die Spannung ist ungebrochen. Die Protagonisten sind dieselben, aber ihre Gewichtung ist unterschiedlich. In „Der Märtyrer“ konzentriert sich die Handlung ganz auf Alwyn, der weniger Schreiber als vielmehr Soldat mit riskanten Spezialaufträgen wird. Doch mit diesem Karriereschritt ist sein Weg noch lange nicht zu Ende. 

Seine charakterliche Entwicklung ist ebenso spannend wie die Geschichte selbst. Er wird härter, rücksichtsloser und auch einsamer. Wie im ersten Band gerät er in Gefangenschaft, die sich aber am Ende als Glücksfall erweist.

Es wird auch etwas Mystisch in diesem Band, aber wir sind weit davon entfernt, dass uns der Autor mit phantastischen, magischen Elementen und nichtmenschlichen Wesen konfrontiert. 
Spannung wird auch durch die zahlreichen Schlachten erzeugt. Und dieses „Game of Thrones“ steht der erfolgreichen Fernsehserie in Sachen konsequenter und kompromissloser Brutalität in nichts nach. 

Atmosphärisch zieht dieser Roman den Leser voll in seinen Bann und lässt ihn nicht mehr los. Erzählerische Längen gibt es nicht und vorhersehbar ist die Geschichte auch nicht unbedingt. Überzeugend und authentisch wie sie ist, könnte sie auch nicht in einer fiktiven Welt spielen, sondern durchaus in einer historischen Epoche - z.B. dem Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich - stattgefunden haben. 

Die Geschichte erzählt auch nicht von einer heilen Welt. Ein Bürgerkrieg ist immer grausam, die Zivilbevölkerung bleibt nicht verschont und letztlich werden die Machtansprüche der verschiedenen Fraktionen auch durch eine gewisse Religiosität gestärkt. Und für den Glauben wurde schon immer gerne getötet und gestorben. 

Ich bin gespannt, wie diese Serie ausgeht. Alles ist offen und ich vermute, dass dem Leser ein bitter-süßes Ende präsentiert wird.

Fazit

Das ist Fantasy vom Feinsten. Spannende, nachhaltige Unterhaltung, die einen völlig in ihren Bann zieht. Eine Geschichte, von der man nicht genug bekommen kann.
Michael Sterzik

Freitag, 29. März 2024

Stille Falle - Anders de la Motte


Wieder einmal ist es einem skandinavischen Autor gelungen, sich mit dem vorliegenden Titel „Stille Falle“ von den vielen Titeln des Genres Thriller oder Krimi abzuheben. Es ist schwer, eine neue Idee zu entwickeln, es gibt keine Nischen mehr, wenig originelle Geschichten, die anders sind, vielleicht spannender, vielleicht origineller, vielleicht interessantere Charaktere? 

Aber auch der Schreibstil ist entscheidend für den Erfolg eines Romans. Andres de la Motte weiß, wovon er schreibt, und vor allem, wie man eine spannende Geschichte erzählt.

Eigentlich steht Kriminalinspektorin Leonore Asker kurz vor der Beförderung: Die Leitung der Abteilung für Schwerverbrechen in Malmö ist ihr so gut wie sicher. Stattdessen wird sie noch während der Ermittlungen in einem spektakulären Entführungsfall in ein Dezernat versetzt, von dem sie noch nie gehört hat: Ihre neuen Kollegen, allesamt Außenseiter und Nerds, nennen es nur »Abteilung für hoffnungslose Fälle«, denn hier landet, was bei der Polizei als unlösbar gilt.

Kurz darauf wird Leo ein Foto zugeschickt, das zwei Figuren in einer Modelleisenbahn-Landschaft zeigt. Das Bild ähnelt verblüffend dem letzten Instagram-Post der beiden entführten Teenager, von deren Fall Leo so abrupt abgezogen wurde. Weil ihre ehemalige Vorgesetzte nichts von Leos neuen Erkenntnissen wissen will, weiht sie ihren Kindheitsfreund Martin Hill ein, einen Experten für Lost Places. Sie ahnt nicht, dass sie ihn damit in größte Gefahr bringt …(Verlagsinfo) 

Trotz aller Originalität gibt es Parallelen zu anderen Titeln. Die Abteilung für hoffnungslose Fälle erinnert sehr an das Sonderdezernat Q aus der Feder das dänischen Autors Jussi 

Adler Olsen. Das ist auch gar nicht schlimm, sondern interessant und die Charaktere, die hier im Stockwerk -1 tätig sind, haben alle ihre Geheimnisse. Selbstverständlich hat jeder dieser skurrilen Charaktere auch versteckte Talente auf die, die Hauptperson Leonore Asker in Zukunft zugreifen wird um weitere Fälle zu lösen, die als „schwierig“ gelten. 

Dieses ganze Ensemble wird angeführt von Leo Asker – die ebenfalls „anders“ ist. Ihre Kindheit und Jugend war eher eine Survival-Ausbildung, und damit verfügt sie über gewisse Talente und eine Kaltschnäuzigkeit, mit der sie sich selbst auch immer wieder im Weg steht.  

Die Wendungen und Überraschungen, die Anders de lat Motte einbaut, sind großartig. Auch die Rückblenden in die Vergangenheit der beiden Charaktere von Leo Asker und Martin Hill. Bei Letzterem bin ich gespannt, ob er auch in einer Fortsetzung der Serie wieder dabei sein wird. 

Sehr originell sind die Morde und die darauf folgenden Ermittlungen. Sehr spannend und innovativ, wie sich der Mörder präsentiert. Clever, gerissen - mit einer mittelschweren Profilneurose. 

Realistisch ist die Story allemal, und wer jetzt darüber nachdenkt, ob es wirklich solche Abteilungen gibt, bei der Polizeibeamte in ein „Exil“ müssen, bzw. abgeschoben werden – laut dem Autor gibt es diese. Allerdings werden diese wohl Cold Case Fälle bearbeiten und stehen nicht im Fokus der Öffentlichkeit und der Presse. 

„Stille Falle“ ist nicht still – sondern garantiert eine Spannung, der man sich überhaupt nicht entziehen kann. Selbst die atmosphärische Düsternis ist originell gehalten und ist absolut allgegenwärtig. 

Geschickt teasert der Autor mit den letzten Worten einer Person – dass die Fortsetzung sehr persönlich für Leo Asker werden dürfte. 

Fazit

„Stille Falle“ ist ein garantiertes Spannungsfeuerwerk. Die düstere Atmosphäre ist psychologisch originell gesetzt. Damit ist für mich klar, dass ich alle weiteren Romane dieser Reihe lesen möchte. Der Leser tappt selbst in die „Falle“ des Autors und eine Befreiung ist gerade abgesagt. 


Michael Sterzik

Donnerstag, 28. März 2024

Nachtkommando - Simon Scarrow


Der Zweite Weltkrieg - der Holocaust - die systematische Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten in Deutschland, die Millionen Menschen das Leben kostete. Der planmäßige Mord, ein Verbrechen jenseits aller Menschlichkeit, jenseits von Ethik und Moral, das kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges mit der Verfolgung der Juden in Europa begann. Doch nicht nur Juden wurden ermordet, jede Gruppe von Menschen, die dem Regime im Weg stand, als Gefahr galt, erwartete ein Todesurteil. Homosexuelle, politisch Verfolgte, Sinti und Roma und andere sollten nach der Ideologie des NS-Regimes vernichtet werden. Als lebensunwert galten auch Menschen mit Geisteskrankheiten, Erbkrankheiten und körperlichen Behinderungen. Diese Krankenmorde schlossen auch die Tötung von Kindern ein. Die nordisch-germanische Rasse sollte erhalten werden, ganz im Sinne der Eugenik, der Rassenhygiene, die die Ausmerzung der Kranken als natürliche Auslese erklärte. Im Rahmen der nationalsozialistischen Erbgesundheitspolitik wurde sie zum Staatsziel.

Simon Scarrow thematisiert das Thema der Kinder-„Euthanasie“ in seinem neuen Titel: „Nachtkommando“. Der Kriminalinspektor Horst Schenke, hat hier seinen zweiten Auftritt. 
Berlin, Januar 1940: In einer eiskalten Nacht kehren ein SS-Arzt und seine Frau von einem Konzertabend zurück. Als die Sonne aufgeht, liegt der Arzt leblos in einer Blutlache vor seinem Schreibtisch, darauf ein Abschiedsbrief. Doch seine Witwe ist überzeugt, dass es sich um Mord handelt, und wendet sich an Kriminalinspektor Horst Schenke. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten ermittelt Schenke und stößt auf immer weitere brisante Details. Er ahnt, dass er einem schrecklichen Geheimnis größeren Ausmaßes auf der Spur ist und seine Ermittlungen möglicherweise nicht überleben wird ...(Verlagsinfo) 

„Nachtkommando“ ist ein spannendes Zeitzeugnis, das unter die Haut geht. Emotional katapultiert die Geschichte in einen Abgrund, der in der Geschichte zwar bekannt ist, aber wenig thematisiert wird. Der Schrecken, den der Leser empfindet, ist gewaltig. 
Die Geschichte spielt im Jahr 1940, Polen ist erobert, der Zweite Weltkrieg hat begonnen. Das Naziregime ordnet nicht nur die militärischen und politischen Strukturen völlig neu. Auch traditionelle, gesellschaftliche und soziale Formationen werden zerschlagen. Der Nationalsozialismus durchdringt alles. Die Verfolgung und Deportation der Juden beginnt. Die Todesmaschinerie wird in Gang gesetzt.  

Staatliches Unrecht - Verbrechen, bei denen die Ermittler zwischen Pflicht und Menschlichkeit stehen. Wie geht man vor, wenn man feststellt, dass der Staat systematisch „Kinder“ ermordet, die nicht in die kranke Ideologie passen? Verzweifelte Eltern - Väter, die sich rächen wollen und dabei selbst eine Grenze überschreiten. Aber hat diese Grenze überhaupt noch eine Bedeutung, wenn die Menschlichkeit außer Kraft gesetzt ist? 

Die Bevölkerung wusste zum Teil von den Verbrechen, die geschahen, sie ahnte es zumindest, sie waren verängstigte Mitläufer, Nutznießer der Nazis, aber auch wissentlich Täter, die ihre Macht missbrauchten, um zu töten, aus Lust, aus der Motivation, sich zu bereichern etc. Der systematische Massenmord war bekannt und wurde verschwiegen.

Das Simon Scarrow das Thema „Euthanasie“ aufgreift und damit die Morde an Kindern in der Story als zentralisiertes Element erzählt ist im Grunde genommen ambitioniert. Der Schrecken dieser Mordlust an Kindern, die als Fehlschläge eingeordnet werden, berührt sehr. Doch der Autor konfrontiert uns auch damit, dass die Menschen unter dem Naziregime vor Angst nicht rebellierten, oder kritische Fragen stellten. Die Angst vor Denunzierung, vor Verhaftung und letztlich auch vor der Ermordung lähmte die Gesellschaft. Auch das ist eine unmittelbare Botschaft des Autors.  

Die Protagonisten, vor allem das Ermittlertrio, sind interessant gezeichnet. Horst Schenke glaubt noch an das System, hadert mit sich, dass er nicht an der Front ist, und doch ist er voller Zweifel, voller Fragen und Antworten, die er weder leise noch laut auszusprechen wagt. Wir schreiben das Jahr 1940 - noch glaubt man an die deutsche Weltherrschaft. Auch Schenkes Gewissen, seine seelische Not, steht im Mittelpunkt, und man darf gespannt sein, welche Rolle er in den kommenden Romanen dieser spannenden Reihe spielen wird. Er ist ein „Stellvertreter“ für das Volk, das sich anpassen will, um nicht aufzufallen - doch der seelische Druck dürfte mit den kommenden Kriegsjahren zunehmen und sich entladen wollen.

Simon Scarrow hat sehr gut recherchiert und eine sehr stimmungsvolle, authentische Atmosphäre geschaffen, die den Leser kompromisslos auf eine Zeitreise in eine dunkle Epoche schickt. „Nachtkommando“ behandelt konsequent ein brisantes Thema, das man nicht vergessen sollte. 

Es gibt Nebengeschichten, die immer wieder um die Frage kreisen, auf welcher Seite man sich moralisch und menschlich positionieren will. Manchmal stehen sich diese Komponenten selbst im Weg, auch wenn der Leser dadurch einen guten Einblick in den Alltag unter der Naziherrschaft erhält. 

Selbst das Nachwort des Romans ist lesenswert und konfrontiert den Leser mit Tatsachen, die dem Roman nachhaltig ein sehr gutes Zeugnis ausstellen. So wird auch deutlich, mit welcher Intensität sich der Autor diesem Buch gewidmet hat.

Fazit

Eine Konfrontation und ein dunkles Vermächtnis, so spannend und emotional erzählt, dass „Nachtkommando“ ein sehr wichtiges Buch ist. 
Brillant erzählt - ein Pageturner, den man unbedingt lesen sollte. Gegen das Vergessen.

Michael Sterzik 



Sonntag, 24. März 2024

Die Entführung - John Grisham


John Grisham feierte mit seinem Bestseller „Die Firma“ einen großen internationalen Erfolg. Durch die Verfilmung mit Tom Cruise wurde der Titel zu einem der bekanntesten des Erfolgsautors. Als ehemaliger Anwalt versteht es der Amerikaner, das nordamerikanische Rechtssystem und die verschiedenen Instanzen der Justiz auf spannende und sehr informative Art und Weise darzustellen. Als Leser begleiten wir die Protagonisten bis vor den Richterstuhl, sitzen mit dem Angeklagten im Gerichtssaal und warten auf das Urteil. Wir verfolgen die rhetorischen Wortgefechte zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Die Justiz ist nicht blind, sie ist nicht unvoreingenommen, sie ist nicht unparteiisch - sie ist mitunter käuflich, sie ist manipulierbar. 

Der Roman „Die Entführung“ ist eine Fortsetzung von „Die Firma“, und wir treffen den Anwalt Mitch McDeere - nur fünfzehn Jahre später. Erfahren und inzwischen Vater von zwei Kindern, ist er ein erfolgreicher Anwalt in New York. 

Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, eine Fortsetzung zu einem so erfolgreichen Titel zu schreiben. Die Erwartungen der Leserinnen und Leser können sehr hoch sein. Die Handlung spielt nicht vor Gericht. „Die Entführung“ ist ein Politthriller, der gnadenlos vom Weg abgekommen ist.

Fünfzehn Jahre ist es her, dass Mitch McDeere gemeinsam mit dem FBI seine kriminelle alte Firma hat hochgehen lassen. Mittlerweile arbeitet er in der größten Anwaltskanzlei der Welt in Manhattan. Da holt ihn das Verbrechen wieder ein: Als ihn ein Mentor in Rom um einen Gefallen bittet, findet sich Mitch schnell im Zentrum eines mörderischen Konflikts wieder. Er soll durch eine immense Lösegeldzahlung eine Geiselnahme beenden, doch die Umstände sind dramatisch. Schon bald ist nicht nur er selbst in Gefahr, sondern auch die, die ihm nahestehen. (Verlagsinfo) 

Wer erwartet, dass dieser Titel an die Spannung des ersten Teils anknüpft, wird enttäuscht. Es geht nur sekundär um ein juristisches Thema, wie auch eine Geiselnahme, bzw. die Verhandlungen um die Freilassung der Geisel, dem Rechtssystem wenig Präsenz bietet, um sich von einer überzeugenden Seite zu zeigen. 

Wir erfahren viel über die Organisation großer Anwaltskanzleien. Wir reisen in ein Libyen unter der Willkürherrschaft Gaddafis. Mit einer aktuellen politischen Situation hat dieser Titel also nichts im Sinn. Das ist schade, denn diese Aktualität hätte dem Roman vielleicht den Weg zum Erfolg geebnet. An keiner Stelle wird die Geschichte spannend. Nicht einmal eine interessante Wendung, eine Momentaufnahme, die man als nachhaltig empfinden könnte, blitzt auf.
Auch die Figuren sind nicht überzeugend positioniert. Mitch McDeere und seine Frau, die auch im ersten Band eine Nebenrolle spielte, werden immer wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Nicht von außen betrachtet, denken sie immer wieder an die dramatischen, spektakulären Ereignisse zurück, die sie in Lebensgefahr brachten. Keine Figur trägt die Handlung oder treibt sie in eine Richtung, die den Leser fesseln könnte. Kaum vorhanden sind auch Nebengeschichten mit interessanten, charismatischen Charakteren. 

Fazit

„Die Entführung“ entführt den Leser in eine überdimensionierte Kurzgeschichte. Mit einem Justizthriller hat das Buch nur wenig zu tun. John Grisham vergibt hier die Chance, eine bekannte und erfolgreiche Figur nachhaltig für spätere Romane aufzubauen. Zwar solide geschrieben, aber zu keinem Zeitpunkt atmosphärisch spannend. Leider enttäuschend.

Michael Sterzik


Sonntag, 17. März 2024

Krieger - Simon Scarrow/T.J. Andrews


Die Kelten - ein altes Volk, das von den Römern „Gallien“ genannt wurde, das heutige Frankreich und Großbritannien. Wir erinnern uns: Gallien wurde von Julius Cäsar mit brutaler militärischer Gewalt erobert. In seinem Werk „Der Gallische Krieg“ berichtet der charismatische Diktator von seinem Feldzug, der ein blutiges Ende fand, als Cäsar die Aufständischen bei Alesia vernichtete und Vercingetorix gefangen nahm. 
 
Auf den Britischen Inseln verliefen die Feldzüge der Römer ganz anders. Es gab viele Siege, viele Niederlagen und viele Tote auf beiden Seiten. Die britischen Druiden übten zwar nicht die religiöse Macht über die Stammesfürsten und Könige aus, hatten aber großen Einfluss auf die Politik. Als Stellvertreter oder Diener der verschiedenen keltischen Götter nutzten sie ihre Macht manipulativ, um interne und externe Angriffe zu steuern. Die Römer zerstörten viele ihrer heiligen Stätten und Plätze auf den Britischen Inseln, aber sie konnten die Ideale und den Einfluss der Druiden nicht besiegen. Es gibt keine gesicherten Überlieferungen über die Gräueltaten, die von diesen keltischen „Zauberern“ oder Priestern begangen wurden.
 
Es gab Feldherren, Könige und Heilige, die ihre Spuren in der Geschichte hinterlassen haben. Einer von ihnen war „Caratacus“, ein britannischer Königssohn. Ihm gelang es, die verschiedenen Stämme zu vereinen. Doch die Macht der römischen Legionen setzte auch seinem Aufstand Grenzen. Als Geiseln wurden er und seine Familie in Rom „eingekerkert“, lebten „frei“, aber der Willkür Neros ausgeliefert und als Barbaren beschimpft. 
 
Simon Scarrow und T. J. Andrews erzählen im ersten Band von „Warriors“ von der Ausbildung des jungen Caratacus, der unter der Anleitung von Druiden zu einem der größten Kriegsherren Britanniens wird.
Als im Jahr 43 römische Schiffe in Britannien anlanden, rechnen die Befehlshaber mit einem raschen Sieg: Das Imperium wird sich die Insel einverleiben wie viele andere Territorien zuvor. Doch trotz ihrer Disziplin und der überlegenen Waffentechnik gelingt es den Legionen nicht, die über die Insel verstreut lebenden Clans durch einen Handstreich zu unterwerfen. Stattdessen formiert sich heftiger Widerstand gegen die Invasoren. Besonders ein Mann ist den Römern ein Dorn im Auge – Caratacus, der jüngste Sohn eines lokalen Königs, wurde von Kindesbeinen an in der hohen Kunst des Krieges geschult. Unter seinem Schwert versammeln sich die Einwohner Britanniens zur alles entscheidenden Schlacht. (Verlagsinfo) 
 
Simon Scarrow und sein Koautor wissen, wovon sie schreiben. Sie präsentieren eine Geschichte, die nicht nur spannend ist, sondern auch die Welt der britischen Druiden auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstandes und der Quellen ein Stück näher bringt. Ein abschließendes Urteil darüber, ob übertriebene Wahrheit oder Stoff für Legenden, lässt sich nicht fällen. Die Charaktere sind stereotyp aufgebaut, dennoch gibt es hier keine einfache Gut-Böse-Wertung. Die Geschichte ist in zwei Perspektiven aufgeteilt, die Vergangenheit Caratacus und die Gegenwart, in der er einem Historiker seine Lebensgeschichte erzählt. 
 
Eine atmosphärische Spannung baut sich schnell auf, ist dann zwar vorhanden, steigert sich aber nicht weiter. Die Autoren konzentrieren sich nicht auf ein klassisches Feindbild. Sie zeigen auch die inneren Konflikte der britannischen Stämme. Das Streben nach Macht und Einfluss wirft die Frage der Instrumentalisierung auf - wollen sich diese Stämme der römischen Macht unterordnen und an ihr teilhaben oder sehen sie sich als Manipulatoren, die mithilfe  der römischen Militärmaschinerie ihre Machtposition ausbauen wollen? So oder so - am Ende sind sie in jeder Hinsicht Verlierer, die einen hohen Preis zahlen. 
 
Caratacus Lebensgeschichte ist mit diesem Band „Krieger“ aber nicht zu Ende, seine Biographie nicht erzählt. Der Stellvertreterkrieg, der Sieg über die Nachbarclans ist geglückt. Doch nun stehen dem Krieger die römischen Legionen gegenüber, eine Militärmaschinerie, die gnadenlos erobert und ganze Völker vereinnahmen kann. 
 
Die eigentliche Geschichte, die uns wohl erst in Band 2 erzählt wird, steht also mit der römischen Bedrohung noch in den Startlöchern. Bei der historischen Analyse gehen die Autoren quellen sicher vor. Natürlich sind sie relativ frei in der Interpretation, aber auch als historischer Roman steht hier die Unterhaltung im Vordergrund. Interessant ist die Beschreibung der Druiden.
Die Charaktere werden einfach erzählt - Caratacus sticht hier aber natürlich hervor, wobei sein älteres Ich - in der Beschreibung tiefgründiger ist. 
 
Fazit
 
Spannend, was hier erzählt wird. Unterhaltsame historische Geschichte - auf den Punkt gebracht - wird von Historikern hervorragend erzählt. Sehr empfehlenswert.
 
Michael Sterzik 

Dienstag, 20. Februar 2024

Waiseninsel - Max Seeck


Gerne erinnern wir uns an die klassischen Kriminalfilme vergangener Zeiten. Ein lokal begrenzter Tatort, ein überschaubarer Kreis von Verdächtigen. Jeder könnte der Täter sein. Jeder hat seine Geheimnisse, und wenn man genauer hinschaut, verhalten sie sich alle merkwürdig zueinander, oder? 

Im Mittelpunkt steht ein Ermittler, ein Analytiker, ein begnadeter Menschenkenner, ein hochintelligenter Charakter, der Spuren sieht, die andere übersehen und als menschlicher Lügendetektor feine Nuancen im Sprachbild der verdächtigen Personen erkennt.

Dazu kommt vielleicht noch eine mysteriöse, paranormale Geistergeschichte und fertig ist der Grundstein für eine spannende Handlung? So einfach ist das. 

Um alles in Einklang zu bringen, muss der Autor auch originelle Ideen verwenden, sonst wirkt seine Geschichte wie eine Schablone, die schon oft verwendet wurde. Erinnern wir uns gerne an die Großmeisterin der Kriminalliteratur Agatha Christie - denn Parallelen tauchen unweigerlich auf. 

Mit „Waiseninsel“ geht es für die finnische Kriminalbeamtin Jessica Niemi im vierten Band dieser hochkarätigen Krimireihe weiter. Ihr Schöpfer, der Finne Max Seeck, ist derzeit wohl der angesagteste und vielleicht auch erfolgreichste Autor. Inzwischen hat die Buchreihe auch das Interesse amerikanischer Produzenten geweckt, die sich die Rechte gesichert haben. Man darf auf eine Verfilmung gespannt sein. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet.

Kommissarin Jessica Niemi gerät in eine Auseinandersetzung, wird handgreiflich und prompt von einem Passanten gefilmt. Das Video geht viral und sie wird beurlaubt. Um Abstand zu gewinnen, fährt Jessica auf die zwischen Finnland und Schweden gelegenen Åland-Inseln.
 Dort trifft sie auf eine Gruppe älterer Menschen, die als Kinder während des Krieges fliehen mussten und hier auf der Insel in einem Waisenhaus lebten. Nun treffen sie sich wieder. Als einer der Alten tot aufgefunden wird, beginnt Jessica zu ermitteln. Denn bereits zuvor kamen zwei Menschen auf dieselbe mysteriöse Weise ums Leben. Alle drei Opfer scheinen mit der Legende um »Das Mädchen im blauen Mantel« im Zusammenhang zu stehen ...(Verlagsinfo) 

Alles ist anders - wenn man diesen Roman mit seinen drei Vorgängern vergleicht. Jessica Niemi ist auf sich allein gestellt. Kein Team, das ihr vor Ort den Rücken freihält und sie bei ihren Ermittlungen unterstützt. Als Einzelgängerin sollte das eigentlich ihre Komfortzone sein, aber auch ein einsamer Wolf braucht ein Rudel um sich herum, wenn er sich in einer angespannten Grenzsituation befindet. 

Wie bereits erwähnt, hat sich Max Seeck bei der Gestaltung wohl von alten Klassikern à la Agatha Christ inspirieren lassen. Die Spannung baut sich nur sehr langsam auf, die Größe des kriminalistischen Puzzles erschließt sich nur sehr langsam. Der Schauplatz der Handlung ist regional sehr begrenzt. Auch der Kreis der Verdächtigen ist nicht dörflich, sondern eher ein kleines Team „alter“ Herren und Damen, die sehr geheimnisvoll wirken. 

Die Insel präsentiert sich mit einer natürlichen Härte und einer Geistergeschichte um das Mädchen im blauen Mantel. Letztlich ist es diese Legende, die dem Roman seine eigentliche Kraft verleiht. Ein latentes, aber immer wieder offensives Gefühl der Gänsehaut, das man beim Lesen nicht los wird. So könnte man die Atmosphäre beschreiben, wie die eines kleinen Vorpostens auf einem Friedhof. 

Im Mittelpunkt der Handlung steht natürlich das Mädchen im blauen Mantel, das hier in einem ehemaligen Waisenhaus für kurze Zeit gelebt hat und spurlos verschwunden ist. 

Interessant ist auch der Aspekt, dass Jessica, die ein wenig an Schizophrenie leidet, bald nicht mehr in der Lage ist zu unterscheiden, welche Geister nun real sind und welche nicht. 

Der vierte Band - „Waiseninsel“ - ist eindeutig der schwächste dieser hervorragenden Reihe. Beispiellose Längen und Szenen/Dialoge, die sich am Ende als völlig überflüssig erweisen. Der Wechsel der Perspektive Jessica / Das Mädchen im blauen Mantel ist mir zu unausgewogen. Ich hätte mir gewünscht, dass es mehr Rückblicke in die Vergangenheit gegeben hätte.

Allerdings muss ich sagen, dass Max Seecks Erzählstil und seine Ausdrucksweise exzellent sind. Nicht poetisch, aber mit viel Verstand und Gefühl umgesetzt. Dadurch werden viele emotionale Punkte beim Leser aktiviert.

Auch die Charakterentwicklung bleibt in diesem Band „Waiseninsel“ eingefroren. Es gibt nicht viel Neues - weder bei Jessica noch bei den anderen Figuren in ihrem Umfeld. Ob es eine Fortsetzung der Reihe geben wird, wird am Ende nicht klar. Sie kann - muss aber nicht. Und wenn - dann muss die Entwicklung von Jessica insgesamt weitergehen. Es muss einen Meilenstein geben, sonst ist sie als Person nicht mehr interessant.

Fazit

Eine einsame Insel, so unspektakulär wie die Spannung des Romans. Ich hoffe, dass der nächste Band inhaltlich wieder stärker wird. Denn diese Reihe gehört zu den besten dieser Zeit, bis auf diesen Ausrutscher. 

 Michael Sterzik




Jessica Niemi - Reihe