„Varus, gib mir meine Legionen zurück“ soll Kaiser Augustus gerufen haben als er von der Vernichtung seiner drei Legionen im fernen Germanien gehört hat.
Im Herbst 2009 jährt sich die „Varusschlacht“ zum zweitausensten Male. Die Diskussion um den Schauplatz der Schlacht wird immer wieder kontrovers diskutiert. Die heutige Forschung favorisiert Kalkriese bei Bramsche im Landkreis Osnabrücks für einen Ort an dem die dreitägige Vernichtungsschlacht stattgefunden haben soll. Doch auch andere Landkreise und Gemeinden lassen die Diskussion um die Lokalisierung immer wieder aufleben.
Spektakulär und aufregend sind in jedem Fall die Funde an Waffen, Münzen, Ausrüstung und Alltagsgegenstände in Kalkriese, die auch dort im Museum zu bestaunen sind. Auch Knochen von Tieren und Menschen hat man in verschiedenen Gruben auf dem Gelände, in der unmittelbaren Nähe eines künstlich errichteten Walles gefunden. Diese Schädel tragen eindeutige Kampfspuren, vielleicht ein Beweis für die Theorie eines offensichtlich, gefundenen Schlachtfeldes, oder nur ein Indiz dafür, dass hier eine kleinere Gruppe von versprengten Legionären den Tod gefunden hat?!
Als gesichert kann es angesehen werden, dass drei Legionen des Statthalters Publius Quinctilius, sowie Hilfstruppen und ziviles Personal, Handwerker, und auch der Troß des Zuges der aus Frauen und Kindern der Legionäre bestanden haben darf, bis auf wenige Überlebende abgeschlachtet wurden. Drei Legionen zusammen mit den Hilfstruppen sind ca. 20000 Mann wie es die Quellenlage berichtet, dazu kommt noch der Troß mit mehreren Tausend Menschen. Römische Historiker berichten von einer beispiellos grausamen Schlacht in der keine Gnade gewährt wurde. Römische Offiziere, die lebend in die Hände der Germanen fielen, wurden als „Blutopfer“ den Germanischen Göttern geweiht. Es gehörte wohl zur Strategie des Arminius die besiegten Gegner abzuschrecken.
Die eigentliche Frage die sich stellt ist jedoch; Wie konnte diese Verschwörung der germanischen Stämme, die auch untereinander, alles andere wie friedlich waren gelingen? Welch tiefes Vertrauen muss Varus zu Arminius empfunden haben, galt Varus doch als politisch erfahrener Stratege, der schon im fernen Osten ein Gebiet sozusagen befriedet hatte?!
War es Blindheit, Dummheit oder pure Arroganz und Überheblichkeit?
Die Autorin Iris Kammerer hat in ihrem Roman „Varus“ erschienen im Heyne Verlag sich genau diese Frage gestellt.
Inhalt
Im Herbst des Jahres 9 n. Chr. war Germanien mit seinen vielen unterschiedlichen Stämmen zwar nicht befriedet, aber doch von der Römischen Weltmacht unterworfen. Es entstanden die ersten Siedlungen die sich später zu großen Städten entwickeln sollten, z.B. Bonna (Bonn), Confluentes (Koblenz) und Bingium (Bingen) um nur wenige zu nennen. Germanische Hilfstruppen dienten an der Seite der Römischen Legionen und selbst junge Offiziere aus den Reihen der Germanen erhielten hohe Dienstgrade, Macht und Geld, so das sie juristisch, faktisch Römische Bürger, gar Ritter wurden. Arminius, ein Fürst der Cherusker wurde schon als Kind oder Jugendlicher aus den Armen seiner germanischen Eltern entrissen und wurde als Geisel einer römischen Erziehung unterzogen. Später ausgebildet als römischer Offizier in den Diensten erkämpfte er sich in einigen Feldzügen eine starke Loyalität sowie hohes Ansehen in den Augen seiner Vorgesetzten und Gönner. Durch seine militärische Ausbildung und seine in Kämpfen erlernten römischen Strategien und Taktiken, vergaß er doch nie seiner Cheruskerischen Wurzeln.
Als er den römischen Staathalter Publius Quinctilius Varus in Germanien kennenlernte gewann er nach und nach das Vertrauen des älteren und erfahrenen Römischen Senators und Politiker. Varus setzte in Germanien unter seinen Oberbefehl strikt seinen eigenen Willen durch, Gesetze, Steuern und Tribut wurden von den Stämmen verlangt und ehemalige Bundesgenossen wurden nach und nach kritischer und unzufriedener.
Als Segestes, ebenfalls ein Fürst der Cherusker Varus davor warnt das germanische Fürsten vereint unter Arminus den Aufstand gegen die Römische Besatzung planen, glaubt Varus ihm kein Wort. Im Gegenteil, er wird sogar ärgerlich und auch seine hellhörigen Stabsoffiziere die diese Warnung ernster als der Staathalter nehmen werden lauthals ignoriert. Selbst als Varus den vermeintlichen Verräter zur Rede stellt und dieser die Anklage ins lächerliche zieht, kommen dem Staathalter keine Zweifel.
Annius, ein ehemaliger römischer Legionär der nach einer Verletzung jetzt als Schreiber im Generalsstab tätig ist, findet ebenfalls Hinweise und im fallen Merkwürdigkeiten auf, auch einzelne Offiziere die er kennt sehen sich hilflos einen mögliches Aufstand ausgesetzt. Als Annius Mitleid mit der germanischen Sklaven Thiudgif hat, und diese bei einem Würfelspiel gewinnt sieht er endlich in seinen Leben wieder eine Aufgabe, vielleicht sogar eine Zukunft für die es sich zu leben lohnt.
Trotz aller Warnungen, Zeichen und Hinweisen und laut ausgesprochenen Zweifeln der Offiziere setzt sich Varus durch und zieht mit seinen drei Legionen, den germanischen Hilfstruppen gen in das Winterhauptquartier das in der Nähe von Xanten liegt.
Langsam und schwerfällig setzen sich die Legionen mitsamt dem Troß in Bewegung. Arminius reitet mit seinen Hilfstruppen voraus um einen kleineren Widerstand auf dem Weg auszuschalten.
Der Weg ist beschwerlich und führt über schmale Pfade durch Moore und an Sümpfen vorbei. Dichte Wälder machen es unmöglich das Gelände strategisch klug überblicken zu können. Hinzu kommt noch der anhaltende Regen die die Wege schlüpfrig und die Kleidung der reisenden Legionen schwer und klamm machen.
Es kommt zu schweren Kämpfen, die Nachhut der Legionen wird immer wieder in kleineren Kämpfen verwickelt. Germanische Bogenschützen nehmen aus dem Schutz der Wälder den Troß und die Soldaten unter Beschuss und machen keinen Unterschied zwischen Römer und Germanen die als Angehörige den Zug begleiten.
Die Taktik und die Strategie erschrecken die römischen Veteranen und sie ahnen das sich die Warnungen des Segestes nun beweisen. Das mitgeführte Kriegsgerät, die Wagen die Materialien für evtl. Befestigungsanlagen tragen, werden von den aufständischen Germanen vernichtet. Angst macht sich breit, nicht nur unter den Legionären, auch ihre Frauen und Kinder sind Ziel der brutalen und rücksichtslosen Angriffe, die oftmals aus dem Hinterhalt kommen.
Auch Annius wird in die Kämpfe verstrickt und muss sich vom Troß und Thiudgif trennen um einen letzten Befehl des Varus zu befolgen. Thiudgif dagegen flieht zusammen mit einer Schar Frauen in die Wälder um auf eigenen Weg entweder zu ihrem Vater zu gelangen oder aber eine römische Festung erreichen zu können.
Die Verluste an Soldaten und Ausrüstung nehmen dramatisch zu und durch einen Boten des Arminius wird Varus nun auch klar, dass er zusammen mit über 20000 Männer, Frauen und Kindern in einer gnadenlosen Schlacht konfrontiert wird, die in einer tödlichen Falle enden muss und er allein ist dafür verantwortlich…
Kritik
Iris Kammerer hat der Tragödie um Varus eine erzählerische Wucht gegeben die unter die Haut geht. Eher langsam, aber vielseitig konfrontiert sie die Leser mit dem Verdacht eines Verrats und führt ihre dramatischen Protagonisten konzentriert und spannend in die Handlung ein.
Aus fast jeder Perspektive kommen die Einzelschicksale zur Entfaltung. Annius, der sich nach Ruhe innerhalb einer Familie sehnt und nach seiner Verletzung noch immer nicht weiß welchen Weg er gehen muss, ist genauso verloren wie seine Vertraute Thiudgif, die zwischen den Kulturen, zwischen den Welten leben muss und langsam ihre Sympathie für den „Feind“ entwickelt. Anfänglich wirkt sie hilflos, verloren, unselbständig, aber mehr und mehr gewinnt sie an Selbstvertrauen und als sie auf der Flucht in die Wälder eine Gruppe von Frauen anführt, erwacht ihre Stärke und ihr couragiertes Selbstbewusstsein.
In vielen kleinen Nebenrollen aus der Sicht von römischen Offizieren wird dem Leser die Verzweiflung und die Angst bildlich vor Augen geführt, wenn beispielsweise ein Speerhagel auf die römischen Legionäre niedergeht, oder wenn der fast hilflose Troß unter vielen zivilen Opfern aufgerieben wird. Die Handlung die immer wieder spannende Dialoge bereithält, wechselt auch immer wieder in die Perspektive der kämpfenden römischen Soldaten die atemberaubend geschildert wird.
Es gibt Momente im Buch die den Schrecken in unserer Fantasie zum Leben erwecken. Sicherlich fehlen uns Zeitzeugen und Dokumente die die Grausamkeit erzählen die die Legionäre erleben mussten aber Iris Kammerer fängt die wahrscheinlichsten Empfindungen auf und beschreibt diese so atmosphärisch dicht, dass man fast glauben mag, selbst zu empfinden das es aus dieser Falle keine Rettung mehr geben wird. Aber nicht nur die Kampfszenen die im Detail erzählt werden wirken spannend, sondern vielmehr die Dialoge der Offiziere und einfachen Legionäre.
Arminius der ja in seiner militärischen Laufbahn die Taktik und die Strategie der römischen Militärmacht kennengelernt und erlernt hat, weiß auch um die Fehler und die Schwächen genau dieser. Selbst die psychologische Strategie ist ihm nicht fremd und er setzt diese skrupellos aber bewusst ein.
Man stelle sich vor, es ist Nacht und die Legionen haben mehr schlecht als recht in den unwegsamen Gelände versucht ein Lager zu errichten, der Wald ist nur wenige hundert Meter entfernt, es regnet und es ist stockfinster. Im Schein von Fackeln am Waldrand sieht man die Leichen der Frauen und Kinder in den Bäumen im Wind schaukeln, man hört die Schmerzensschreie von Frauen und Kindern die vielleicht die eigenen sind, unter Folter werden diese verstümmelt und zur Schau gestellt. Die Legionäre, stehend in einer Reihe können nicht viel tun, hilflos, wütend und erschreckt stehen sie erstarrt da und lauschen den letzten lauten hilfloser Angehöriger. Ein Römer fragt den anderen: „Woher haben sie diese Grausamkeiten?“ Woraufhin der römischer Gesprächspartner und Freund leise erwidert: „Von uns!“ Wenig später werden die campierenden, römischen Truppen von erbeuteten Katapulten mit Leichenteile der Gefangenen beschossen.
Was diese Menschen durchmachten mußten , in der mehrtägigen Schlacht, können wir uns nicht vorstellen, aber Iris Kammerer gibt den Schrecken erzählerische Bilder, obwohl die Wahrheit noch schrecklicher gewesen sein mag, wenn wir den Historikern Glauben schenken möchten.
„Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ , das ist die Botschaft die mit Sicherheit auch durch „Varus“ transportiert wird. Die Eroberungspolitik, dass versuchen fremden Ländern seine Politik, seine Religion, seine ganze Kultur aufzuzwängen kann nicht gut gehen. Die Selbstkritik der römischen Protagonisten, dass erkennen von Fehlern wird auch in diesem Roman sehr deutlich.
Für manche Menschen mag Arminius, oder „Hermann“ wie er manchmal genannt wird, ein „Held“ sein, ein heroischer Freiheitskämpfer der sich der Besatzungsmacht entledigte. Diese Meinung wird im Buch nicht vertreten. Arminius wird nur wenig Raum gegeben, was auch gut so ist. In dem Buch „Varus“ geht es primär um genau diesen Menschen dessen Fehler, Dummheit oder Überheblichkeit tausenden von Menschen das Leben gekostet hat. Es geht aber auch um die Legionäre, nicht nur als Soldat bezeichnet, sondern vielmehr als Mensch konzipiert, der feststellt das er die nächsten Tage nicht überleben wird. Für Arminius empfindet man keinerlei Sympathie oder gar Verständnis, zu deutlich sind die Schrecken der römischen Soldaten und ihrer Angehörigen. Trotzdem weist die Autorin aber auch daraufhin, dass die Römer alles andere wie unschuldig sind. Das hat Frau Kammerer wirklich großartig übermittelt.
Einziger kleiner Kritikpunkt ist, dass nicht erzählt wird wie es weitergeht nach der Varusschlacht, welche Politik und welche Reaktionen gibt es nach dieser Tragödie und welchen Weg geht Arminus weiter?! Aber das könnte auch noch mehr Inhaltsstoff für weitere Romane geben, auch wenn Frau Kammerer diese Geschichte nicht weitererzählen möchte, z.B. aus der Sicht des Cheruskerfürsten Arminius.
Wer mehr über die Zeit nach der Schlacht erfahren möchte, dem empfehle ich die Trilogie um den Tribun Cinna der vor der eigentlichen Schlacht von Germanen gefangen und festgehalten wird.
Fazit
„Varus“ ist ein historischer Roman der wirklich gut anhand der vorliegenden Quellen recherchiert und erzählt wird. Er ist abwechslungsreich und hat eine atmosphärische Stimme die nicht zu überhören ist. „Varus“ ist kein „leiser“ Roman, sondern ein Buch das zwar Unterhaltung bietet, aber doch vielschichtig interessant und spannend auf Aktion und Reaktion eingeht. So still auch die Einleitung sein mag, so explosiv wuchtig eskaliert sie im Hauptteil und auch der Schlußakt bildet ein gutes, verständliches Ende.
Im Nachwort, einer kleinen chronologischen Zeittafel und Erklärung von militärischen Waffen und Ausrüstung, sowie Alltagsgegenstände runden den Roman hervorragend ab.
Im Lauf der nächsten Monate wird es viele Romane, Sachbücher und auch Reportagen über die „Varusschlacht“ geben, die immer noch Stoff für Mythen, Legenden und geschichtlichen Überraschungen bereithält. „Varus“ von Iris Kammerer kann ich beruhigt weiterempfehlen, denn die Autorin versteht es erzählerische Freiheiten mit Fakten zu vermischen und die Hochspannung ihrer Leserschaft und vielleicht auch interessierten Leser die mehr über das Schicksal des Publius Quinctilius Varus erfahren wollen zu unterhalten.
Autor
Iris Kammerer, 1963 in Krefeld geboren, arbeitete nach dem Studium der Klassischen Philologie und Philosophie als Texterin, Redakteurin und Beraterin. Seit 2004 ist sie freie Autorin. Bisher erschien die erfolgreiche Trilogie um den römischen Offizier Cinna ("Der Tribun", "Die Schwerter des Tiberius" und "Wolf und Adler") sowie der im Mittelalter angesiedelte Roman "Der Pfaffenkönig". Iris Kammerer lebt zusammen mit ihrem als Sachbuchautor tätigen Mann Helmut Kammerer in Marburg.
Oktober 2008 - Michael Sterzik
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