Das schwedische Autorenehepaar Cilla & Rolf Börjlind
sind erfolgreiche Drehbuchautoren und über die skandinavischen Grenzen hinweg
sehr bekannt. Seit einigen Jahren schreiben sie ebenfalls Kriminalromane – „Wundbrand“
ist der fünfte Band der Reihe um die beiden Protagonisten Olivia Rönning und
Tom Stilton. Die Erwartungshaltung ist enorm hoch, denn die Vorgängerromane sind
nicht nur unheimlich spannend, sondern demnach auch sehr erfolgreich. Der erste
Roman „Springflut“, bei dem das schwedische Ehepaar natürlich das Drehbuch
verfasste, wurde als Serie fantastisch umgesetzt.
Die Reihe überzeugt sowieso durch eine faszinierende
Charakterzeichnung. Im ersten Band studierte Oliva Rönning noch auf der
Polizeihochschule und widmete sich schicksalshaft einen alten Cold-Case-Fall.
Und es war genau dieser ungelöste Mord, der den erfolgreichen und
charismatischen Kommissar Tom Stilton das soziale Leben unter den Füßen
wegriss. Zerbrochen, verzweifelt, sich selbst verlierend lebte er von nun an
als Obdachloser auf der Straßen Stockholms, verkaufte Zeitungen und (über)lebte
irgendwie.
In den folgenden Bänden festigte sich nur beider Leben im beruflichen,
wie auch privaten Sinne, sondern auch die Freundschaft zwischen ihnen und
anderen involvierten Personen. Der Personenkreis ist überschaubar, aber
geschickt entwickelt das schwedische Autorenehepaar mit und ihnen eine komplexe
Welt mit einer immensen Tiefenwirkung. Die Schicksale dieser Nebenfiguren wie
Mette und ihr Mann Marten, oder Stiltons Freund – der ehemalige Messerwerfer
Abbas übernehmen nicht den Hauptpart der Story, aber als eigenständige Figuren
sind diese der letzte Feinschliff.
„Wundbrand“ erfüllt sämtliche vorsichtigen Erwartungshaltungen
und eröffnet ein dynamisches Labyrinth von Haupt- und Nebengeschichten. Als ein
Ehepaar, mitsamt ihrer Tochter bei einem Bombenattentat ums Leben kommt ist der
Leser schon an der Seite von Olivia Rönning, die nun als Ermittlerin im Team
von Mette tätig ist. Terror in Stockholm? Ein terroristischer Akt – oder einfach
ein Racheakt und wenn letzteres – steht hier ein großes „Warum“ herum.
Cilla und Rolf Börjlind schreiben mit einer Mischung aus
Strategie und Taktik und verwenden allerlei aktuellen Themen, denen wir im
Alltag begegnen. Vergeltung und Rache als Dreh- und Angelpunkt in Kombination
mit der Me-Too-Diskussion, Drogen im Goldenen Dreieck und Tom Stilton
mittendrin, flankiert von Sextourismus und dunklen Begierden. Klingt nicht
unbedingt überschaubar, oder?! Ist es auch nicht – irgendwann verliert man sich
in diesem Storydschungel und es braucht ein wenig, bis man ein Lichtung
erreicht. Doch verdammt – es lohnt sich allemal.
Der Part von Tom Stilton, der sich nach den letzten
Ereignissen wieder zurückzieht, ist deutlich kleiner. Zusammen mit seiner
Lebensgefährtin versucht der Ex-Kommissar auf einer Yogamatte – seine „goldene
Mitte“ wiederzufinden. Zweifel drängen sich an die Oberfläche – also runter von
der Yogamatte und auf in ein wildes Abenteuer. Willkommen in der
Selbstfindungsphase.
Tja, und genau dieser Part – besagte Selbstfindungsphasen
beherrschen die Nebengeschichten außerordentlich unterhaltsam. Auch Olivia
sucht sich noch selbst, findet auch etwas um dass sie sich kümmern möchte und
geht konsequent ihren Weg Schritt um Schritt weiter. Manchmal stolpernd,
manchmal wird ihr unter die Arme gegriffen – aber eigentlich immer gut
unterwegs auf den Boden der Tatsachen.
„Wundbrand“ ist großartig – eine grandiose Vorgeschichte
und eine Positionierung – ein Ausgangspunkt für den hoffentlich bald sechsten
Band dieser brillanten Kriminalreihe. Diese Reihe gehört mit zu den besten
Kriminalreihen unserer Zeit – Protagonisten sind keine klischeeversehende
Anti-Helden, keine James-Bonds, und sind weit davon entfernt charakterliche
Züge eines Sherlocks Holms anzunehmen.
Die Handlungen der Protagonisten sind authentisch – die Grundidee
der Story in Kombination mit Schicksal und Kommissar Zufall, grenzen manchmal
etwas ins fantastische ab. Aber nun gut – Logik und Authentizität mal
ausgeklammert – überzeugt „Wundbrand“ und garantiert ein großes Lesevergnügen.
Fazit
„Wundbrand“ von Cilla und Rolf Börjlind hat eine
Sogwirkung, der den Leser keine Ausweichmöglichkeiten lässt, also anzufangen
und nicht aufhören zu wollen. Diese Reihe ist einer der wenigen, die nicht
inflationär erscheinen und die qualitativ das Prädikat „Hochspannung“ nicht nur
verdienen, sondern ausleben.
Michael Sterzik