Mit dem 9.11.2001 hat sich durch den terroristischen Anschlag auf das symbolträchtige World Trade Center der USA, das gesellschaftliche, politische und kulturelle Leben auf immer verändert. Diese Form von radikalsten und bis dato gewaltbereiten Terrorismus hat alle Staaten der Welt gezeigt, dass man an sich total schutzlos ist. Die Frage die sich nicht nur die Geheimdienste aller Nationen, und alle Regierungen stellen ist: Wie konnte es überhaupt dazu kommen das 19 sehr junge Islamisten etwas zeitgleich vier Passagierflugzeuge kapern und diese auf das Pentagon und den beiden Twin Tower steuern?!
Welche enorme logistische und individuelle bis in kleinste Detail Planung dafür notwendig war, z.B. Ausbildung der Attentäter zu Piloten, finanzielle Mittel, aber auch die ideologische Überzeugung, ist erschreckend. Erschreckend deswegen, weil trotz der Zusammenarbeit der Geheimdienste verschiedener Nationen einige Täter bekannt waren, aber nicht genug oder nur fahrlässig recherchiert, observiert und informiert. Etwas mehr an Kommunikation, etwas mehr Zusammenarbeit, vielleicht wäre es dann nicht zur Katastrophe gekommen bei der über 3000 Menschen den Tod fanden.
Warum war die CIA, der israelische Mossad, der britische MI6 und der Deutschen Bundesnachrichtendienst sowie andere derartig machtlos? Gab es keine Anzeichen, keine Warnungen von Agenten die in den al Qaida oder anderen Terrorzellen im Untergrund tätig waren, Kontakte hatten und hellhörig wurden?!
Fragen die vielleicht erst die Zeit klären mag. Nach dem Terroranschlag wurde durch die Bush-Doktrin und seiner Politik ein Präventivkrieg ausgelöst der auch heute sieben Jahre später in Afghanistan und dem Irak noch kein Ende gefunden hat. Bürgerkriegsähnliche Zustände die ein Flächenbrand auslösen könnten, damit wäre ein „Religionskrieg“ gemeint der schließlich auch Europa erreichen könnte. Viele terroristische Anschläge in den Jahren danach haben die Regierungen, die Geheimdienste und dem Militär unter einer kalten Dusche gestellt, die wahrlich wachrüttelten. Das Rad der Zeit kann man zwar nicht mehr zurückdrehen, doch kann man die Gegenwart beeinflussen, damit in naher und ferner Zukunft so etwas nicht mehr passieren soll. Inzwischen sind die Geheimdienste verschiedenster Nationen enger zusammengerückt um der terroristischen Gefahr entgegenzuwirken, ein neuer „kalter“ Krieg indem viele einfache Menschen nur Marionetten dieser Geheimdienste sind, als Agenten, Spione, Analysten, Diplomaten u.a., aber wer ist zieht die Fäden? Wer lässt die „Marionetten“ nach seinen Spielregeln auf der Bühne tanzen?
John le Carre gibt in seinen neuen Roman „Marionetten“ einen interessanten Einblick in die Schattenwelten der Geheimdienste.
Inhalt
Issa ist ein merkwürdiger, sonderbarer Flüchtling, ein Moslem der nach Hamburg, nach Altona über verschiedene Stationen gereist ist um nun endlich sein gewünschtes Ziel erreicht zu haben. Langsam, aber vorsichtig, fast schon ängstlich folgt der junge Mann „Big Melik“, einem jungen aufstrebenden türkischen Boxer, der einen gewissen Bekanntheitsgrad hat. Issa fordert auf einen Stück Papier was er den jungen Türken in die Hand drückt um die Bitte ihn aufzunehmen. Doch Melik Reaktion sieht zuerst ganz anderes raus, rüde möchte er den jungen am liebsten davonjagen, doch seine Mutter Leyla sieht in dem streunenden Mann, Gottes Willen und entspricht seinem Wunsch nach einer Bleibe voller Mitleid.
Auch Melik bekommt Mitleid und schämt sich für seine barschen Worte, als er die Folternarben auf Issas Rücken erblickt. Issa kann sich kaum verständlich machen, er ist tschetschenischer Herkunft, aber seine Zukunft sieht er schon fest vor sich. Er will Deutsch lernen, möglichst schnell, er möchte Medizin studieren ein großer Arzt werden der das Leiden von Menschen mindert. Seine einzigen Habseligkeiten ist ein Päckchen mit 500 recht druckfrischen Dollars und einen auf kyrillisch verfassten Brief. Melik kann nur eine sechsstellige Zahl identifizieren.
Doch Issa ist schon längst einer inoffiziellen Abteilung des Bundesnachrichtendienstes bekannt. Hamburg ist schließlich die Stadt aus der der Attentäter Mohammend Atta zusammen mit einigen anderen aufbrach um den Vereinigten Staaten zu zeigen was Terror bedeutet, indem sie das WTC vernichteten und das Pentagon beschädigten. Damit wurde eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt die die Eskalation nur noch weiter vorantreiben sollte. In Hamburg betitelt man die Geheimdienste, nimmt man den Nachnamen als „Böse Feen“.
Der erfolgreicher schottischer Investment-Banker Tommy Brue macht wenig später ebenfalls Bekanntschaft mit dem mysteriösen Flüchtling Issa. Als Vermittlerin fungiert die ebenso undurchsichtige Annabel Richter, eine Anwältin aus bester Familie. Die sechsstellige Zahl ist der Code für einen Schlüssel zu einem dubiosen Depot das Brue von seinem ebenfalls im Finanzwesen tätigen Vater geerbt hat. Mit diesen Mitteln soll sich der naive Issa eine Zukunft aufbauen, doch zu welchem Zweck?
Der deutsche Geheimdienst und bald nicht nur dieser hat jetzt nicht nur Issa im Visier, ebenso die türkische Familie, die Juristin Annabel Richter, sowie der Investment-Banker Tommy Brue widmet man sich nun mit dem größten Interesse und alle werden Spielbälle der Geheimdienste die ganz eigene Interessen verfolgen.
Kritik
John le Carre, selbst ein Ex-Agent des britischen Geheimdienst kennt die Verbindungen und die Methoden aus eigener Erfahrung und setzt sein etwas spezielles Wissen gerne in seine Romane ein. Er ist ein Altmeister der Geheim- und Spionagedienste und Kritiker sagen von dem Schriftsteller er würde seine Handlungen sehr real erzählen.
Auch „Marionetten“ weist eine sehr reale Handlung auf die le Carre spannend, wenn auch in Längen erzählt. Seine detailreiche Beschreibung über die Methoden von Agenten die observieren, recherchieren und analysieren ist thematisch eindrucksvoll und realistisch beschrieben. Das Dreh- und Angelpunkte wie der Hamburger Hauptbahnhof von Geheimdiensten observiert werden, dass Agenten sich unter die Passanten mischen und durch Drohung oder Bestechung Informationen erschleichen ist wohl nicht einfach nur ausgedacht. Gerade wenn man daran denkt das Hamburg einige Terroristischen Zellen beherbergte. Stellt sich doch nun verdächtigerweise die Frage; Wie viele gibt es noch und in welchen Städten? Sind es aktive Mitglieder terroristischer nicht nationalen Gruppierungen die Anschläge planen und vorbereiten, oder sind es „nur“ Mittelsmänner, Informanten, vielleicht sogenannte Schläfer die irgendwann oder gar nicht aufwachen um aktiv zu werden, aber sonst das biedere Leben normaler Menschen innerhalb ihrer sozialen Stellung führen. Genau diese Fragen beschäftigen die Geheimdienste in „Marionetten“. Welchen Geistern jagt man nach die sich später vielleicht als sehr real und menschlich entlarven?
John le Carre erzählt in „Marionetten“ sehr plastisch und schildert auch zynisch die Arbeit der Geheimdienste die wiederum für andere Kollegen noch viel Geheimer wirken können. Eine wahre Karikatur bürokratischer Arbeitsmethodik die man nicht wie erwartet kaum zu folgen vermag.
In der ganzen Handlung ist die Atmosphäre recht bedrückend. Es herrscht die Angst, die Panik vor Terroristischen Anschlägen nachwievor, ebenso aber grassiert hinterlässt der Gedanke des Scheiterns dieses nicht früh genug erkennen zu können einen bitteren Nachgeschmack. Ist es das Wert die Freiheitsrechte einzelner Menschen quasi außer Kraft zu setzen? Was wiegt das Schicksal einer einzelnen Person im Gegenzug zu unheimlich vielen Menschen?
Die Protagonisten sind intensiv und detailreich erzählt, auch wenn man mit wirklich keiner sonderliche Sympathie entwickelt. Einzelne Schicksale der Persönlichkeiten werden final nicht abgeschlossen und unserer Phantasien und Theorien überlassen. Zu wenig wie ich finde. John le Carre`s Motivation und das hat er auch in seinem Roman umgesetzt war es den Protagonisten, und hier wirklich allen den Stempel und den Status einer Marionette aufzudrücken. Das jeder Geheimdienst aufgrund der Ereignisse von vor sieben Jahren seine eigenen Interessen stärkt und seine Ziel verfolgt, oftmals ohne Rücksicht auf Verluste, kleinere Kollateralschäden nimmt man halt in Kauf, zeigt der Roman eindrucksvoll und absolut nachvollziehbar.
John le Carre rückelt auch die Leser wach und nimmt die Rolle des Animateurs ein? Was ist aus unserer Gesellschaft geworden? Ein Opfer seiner selbst? Ein Produkt aus Ursache und Wirkung, und wir sind nur ausversehen in den Unfall verwickelt? Aber zahlen dann auch den Preis, der uns zu hoch erscheint, den wir aber nicht entrinnen können? Seine Dramaturgie ist bestechend und die Spannung bleibt konstant, allerdings steigt sie leider nicht an und das Ende des Romans ist offen wie die Handlung mitsamt seiner Personen.
Fazit
„Marionetten“ ist bedingt zu empfehlen. Dem Leser erwartet kein Roman der unmittelbar nach 9/11 spielt, sondern die Handlung spielt in der Gegenwart, auch wenn immer wieder auf die Vergangenheit und seine Auswirkungen Rücksicht genommen wird.
John le Carre ist schon zu alt und viele Romane geschrieben, so das sein Stil immer der gleiche ist, seine Form zu erzählen fasst er in sehr langen Sätzen. Die Dialoge seiner Protagonisten sind manchmal verworren und man liest dann gerne die eine oder andere Passage nochmal, was ermüdend wirkt.
Die Spannung, bzw. das Interesse an der Handlung und den Personen ist Anfangs recht hoch, später allerdings wenn dem Leser klar wird, dass alle Protagonisten egal ob nun verdächtig oder nicht, ob nun Geheimdienstler des CIA oder des Bundesnachrichtendienstes verwirrend konzipiert sind. Die Botschaft die uns John le Carre vermitteln will ist spiegelbildlich und sehr real gezeichnet und konfrontiert uns mit der recht aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage. Welche Macht räumt man den Geheimdiensten noch ein, und wer bewegt sich in dieser Schattenwelt noch? Sind alle Abteilungen eigenverantwortlich, oder existieren andere Geheimdienstliche „Zellen“ denen fast jedes Mittel recht ist, um etwaige Verdächtige als Terroristen zu überführen? Viele Fragen die sich dem Leser stellen und die er mit sich selbst oder auch mit anderen ausdiskutieren sollte.
John le Carre bezieht seine eigene Stellung, als ehemaliges Mitgliedes des Hamburger Konsulats und Agent hat er einen viel detailierten internen Bezug zur aktuellen Politik der Geheimdienste.
„Marionetten“ ist ein authentischer Roman mit einer interessanten, ja auch spannenden Geschichte, die leider viel zu viel längen beinhaltet und am Ende zu viele Fragezeichen hinterlässt.
Autor:
John le Carré, geboren 1931 in Poole, Dorset, studierte in Bern und Oxford Germanistik, bevor er in diplomatischen Diensten u. a. in Bonn und Hamburg tätig war. “Der Spion, der aus der Kälte kam” begründete seinen Weltruhm als Bestsellerautor. Der Autor lebt mit seiner Frau in Cornwall und London
Michael Sterzik (November 2008)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen