Sonntag, 4. Juli 2010

Die Totensammler - James McGee



Die Totensammler – James McGee

Im 20 und nun 21 Jahrhundert haben die Mediziner und auch die Medizintechniker es geschafft ganze Krankheiten zu eliminieren, zu heilen oder auch einzudämmen. Die Diagnostik hat in den letzten zweihundert Jahren wahre Quantensprünge erreicht in dem die „Götter“ in Weiß mithilfe modernster Medizintechnik Krankheiten erkennen und gezielt behandeln können, so das ein Wettlauf mit der Zeit zwar nicht immer gewonnen werden kann, aber so manches Mal kann man den Tod seine Show stehlen.

Drehen wir das Rad der Zeit zurück und gehen in die zweite Hälfte des 19 Jahrhunderts. Studenten, angehende Mediziner in der Ausbildung nahmen oft an Obduktionen teil, doch die Medizinischen Hochschulen hatten nicht immer „Leichen“ zur Hand. Alleine die Leichen Hingerichteter Verbrecher durften für den Fortschritte der Forschung zur Obduktion benutzt werden, doch es gab einfach zu wenige um allen Jungmedizinern die Vorführung einer Obduktion zu versprechen. Die Universitäten in einer Millionenstadt wie London benötigten, glaubt man den Quellen, ca. 500 – 1000 Leichen in einem Jahr.

London war nicht nur einer der wohlhabendsten Städte in dieser Zeit, sondern auch ein finsterer und gefährlicher Ort. Wie in vielen Städten der damaligen Zeit waren die hygienischen Verhältnisse katastrophal, die Versorgung der Einwohner mit Nahrungsmittel und Trinkwasser mangelhaft. Die Kindersterblichkeit war abnorm hoch und den meisten Einwohnern mangelte es an frischen, Vitaminreichen Obst. Die Themse wurde zur Beseitigung von Müll und manchmal auch Leichen genutzt, und die armen Menschen in den Elendsvierteln dieser Großstadt benutzten das Wasser natürlich als Trinkwasser, so das Krankheiten in den Ghettos der Stadt für viele Todesopfer sorgten.

Mit der Armut folgte auf dem Fuße die Kriminalität, der einzige Strohhalm für verzweifelte Menschen die sich und ihre Angehörigen ernähren und schützen mussten. Korruption, Raub, Prostitution waren ihre einzige Möglichkeit die Armut zu bekämpfen. Auch aus den Reihen dieser Menschen kamen die Leichenräuber, die kürzlich verstorbene entweder aus den Hospitälern stahlen, oder wenige Stunden nach der Bestattung aus ihren Gräbern holten. Für viele war dies ein lukratives Geschäft, die Chirurgen, bzw. die Universitäten zahlten gut und fragten nicht nach. Da die Mediziner gerne „frisches“ Material auf ihren Sektionstischen sahen, kam es wohl vor das die „Leichenräuber“ zu Mördern wurden um, so der Nachfrage gerecht zu werden.

Im Roman „Die Totensammler“ von James McGee lässt der Autor seinen exzentrischen Sonderermittler Matthew Hawkwood in der düsteren Metropole Londons auf die Jagd nach Leichenräubern gehen.

Inhalt

Anfang des 19 Jahrhunderts in mitten der Großstadt Londons wurde eine Gruppe von besonderen Ermittlern in Leben gerufen, man nannte sie auch die „Bow Street Runners“. Eine elitäre kleine Gruppe von Polizisten, die die kriminalistische Methodik, weiter voran treiben sollten. Einer von ihnen der ehemalige Offizier Matthew Hawkwood stützt seine Ermittlungen nicht auf Vermutungen sondern bedient sich eher Indizien aus denen man das Motiv und den Tathergang rekonstruieren kann.

Als Hawkwood von dem obersten Richter James Reed zu einem Tatort gerufen wird, präsentiert sich dem kühlen und abgeklärten Ermittler ein grausiges Bild. Auf dem Friedhof Cripplegate wurde der Körper eines junges Mannes, an einer alten Eiche festgenagelt.

Mit einem Strick um den Hals, die Handgelenke mit Nägeln durchschlagen an dem Baum fixiert, wurde der noch junge Mann hingerichtet. Doch welche Strafe hat er begangen, dass er auf solch bestialische Weise getötet und zur Schau gestellt worden ist!? Als Hawkwood die Spuren und die Leiche untersucht fällt ihm auf, dass wer auch immer der oder die Täten gewesen sein mussten,  sie grundlegende Erfahrung mit Hinrichtungen haben mussten. Es kommen weitere Details zu Tage, dem Opfer wurden sämtliche Zähne und auch die Zunge rausgeschnitten, ob der junge Mann zu diesem Zeitpunkt noch lebte ist allerdings ungewiss.

Im Laufe der Ermittlungen wird dem „Runner“ klar, daß es sich um ein Exempel handeln muss. Offensichtlich hatte sich der junge Mann als Leichendieb seinen Konkurrenten zum Feind gemacht. Der Verkauf von Leichen an Mediziner und Universitäten war ein lukratives, wenn auch grausiges Geschäft und viele Friedhöfe innerhalb Londons wurden inzwischen mehr oder weniger bewacht.

Nur wenig später muß Hawkwood ins „Bethlehem Royal Hospital“, auch genannt „Bedlam, dem uralten Irrenhaus von London. Dort gab es einen Ausbruch und ein Gast – Reverend Tombs wurde dabei getötet. Doch Tombs wurde auch verstümmelt, der Insasse und nun flüchtige, ehemalige Feldchirurg Colonel Titus Hyde, schnitt Tombs die vollständige Gesichtshaut ab. Der behandelnden Arzt beschreibt Titus Hyde, als eine Person mit höchst gegensätzlichen Eigenarten, er ist gebildet, charmant, ein begnadeter Fechter, aber auf den Schlachtfeldern des Englisch-Französischen Krieges hat dieser soviel schrecklichen erlebt und gesehen, was ihn in den Wahnsinn getrieben hat.

Colonel Hyde verfolgt ein irrsinniges und groteskes Projekt für das er diverse Frauenkörper benötigt. Behilflich ist ihm der professionelle und skrupellose Rufus Sawney der zusammen mit einigen Gehilfen für die Beschaffung der Leichen Sorge trägt.

Als Hawkwood unterstützt von dem obersten Richter James Reed, auch die ehemaligen Kollegen und Freunde von Colonel Hyde befragt, merkt der ehemalige Offizier und jetziger Runner schnell, dass Hyde einen gewissen Schutz genießt. Auch Hyde erfährt von den Ermittlungen die ihm immer näher auf die Schliche kommen und geht nun in die Offensive.....

Kritik

James McGee präsentiert dem Leser in seinem Historischen Kriminalroman keine neue, aber eine sehr spannende Geschichte. Der Autor gibt London ein düsteres, zerfurchtes Gesicht in dem Verbrechen, Armut und Verzweiflung tagtäglich von den Einwohnern alles abverlangte. Realistisch und nicht übertrieben schildert McGee die mangelnden, hygienischen Verhältnisse und die ausufernde Infrastruktur dieser Großstadt, die inmitten des industriellen Zeitalters stand. In den Armenvierteln regierte das Gesetz des stärkeren, und ein Menschenleben war nichts wert. Jegliche sozialen Strukturen waren gerade erst im Begriff sich zu entwickeln und sieht betrachtet man die Polizeikräfte so waren diese zu jedem Zeitpunkt in einer klaren Minderheit. In einigen Ghettos herrschten nur die verbrecherischen Gangs und die Polizisten umgingen gerne diesen Moloch weiträumig.

Auch wenn der eine oder andere Leser stutzen wird, wenn er im Roman auf die Leichenräuber trifft, es gab sie wirklich und ebenso die Mediziner mit ihren Universitäten die Leichen aufkauften und keine Fragen nach deren Herkunft stellten. Die Menschen waren so verzweifelt, dass der „Tod“ seinen Schrecken verlor und eine Leiche nur als „Ware“ bezeichnet wurde, mit der sich Geschäfte machen ließ, gute Geschäfte.

Auf Basis dieser historischen Gegebenheiten schuf der Autor seinen Roman und lässt seinen Helden Matthew Hawkwood einen Wahnsinnigen Serienmörder mit charismatischen Charakter und einer gewissen Genialität jagen – Colonel Hyde. Unweigerlich erinnert dieser Name an die Figur des „Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Auch Colonel Hyde ist zwar wirklich wahnsinnig, aber handelt er doch aus einer Motivation heraus, die für ihn selbstverständlich ist. Das „Böse“ in diesem Roman ist nicht unbedingt Colonel Hyde, denn dieser ist verschlagen genug um seinerseits seine Spuren zu verwischen, sondern im Grunde konzentriert sich alles auf die Bande um Sawney und seinen Leichenräubern. Auch wenn Colonel Hyde psychopathische Verhaltensweisen offenbart, so gibt James McGee seiner Figur nicht nur ein eindimensionales Gesicht.

Matthew Hawkwood dagegen ist eine schillernde Persönlichkeit, dessen Vergangenheit plausibel, wie auch spannend erzählt wird. Alleine seine Kriegserlebnisse und deren Schrecken, wie auch bei Colonel Hyde finden viel Raum in dieser Geschichte und untermauern immer wieder einige Eindrücke und spätere Aktionen der beiden Kontrahenten. Hawkwood wirkt manchmal ähnlich wie seinen zeitlich später verwandten Kollegen James Bond, als sehr exzentrisch und eigenwillig. Hawkwood hat zwar nicht die Lizenz zum töten, aber er weiß ziemlich gut, wie man es tut und beherrscht die tödliche Kunst sich nicht nur zu wehren, sondern auch gleich den Angreifer ins Jenseits zu schicken. In seinen Ermittlungsarbeiten scheut er sich nicht davor unangenehme Fragen gegenüber sozial höher gestellten und Adeligen Personen zu stellen, so dass er manchmal etwas überhetzt aber nicht unsympathisch rüber kommt. Aber Hawkwood ist Polizist durch und durch und sieht sich als Verteidiger der Armen und Schwachen und nicht als egoistischer Beamter der korrupt, schnell nach oben kommen möchte, mit welchen Mitteln auch immer. Er überschätzt sich nicht, und wenn er weiß, wo seine Grenzen beginnen, so sucht er sich gerne professionelle Hilfe bei Männern die eine ähnliche Vergangenheit wie er selbst haben. Wozu war er schließlich ein Offizier seiner Majestät und weiß Männer zu finden die tödlich sein können.

Fazit

„Die Totensammler“ von James McGee ist ein in sich abgeschlossener Roman der ungemein spannend geschrieben ist. Der Autor bediente sich nicht nur historischen Komponenten, sondern manchmal schweift er auch gerne ins Genre „Horror“ ab. Für zartbesaitete Leser ist dieser Roman nichts, denn einige Szenen beschreibt der Autor so blutig und grausam, dass es fast schon übertrieben ist. Der Leser ist auch nicht dazu angehalten, zu ermitteln wer oder was die Mörder sind. Die einzelnen Kapitel gliedern sich erzählt aus den verschiedenen Perspektiven der Protagonisten. Ebenso findet die Perspektive des Leichenräubers Sawney Platz und dieser erzählt seine Handlungen und Pläne aus eigener Sicht.

„Die Totensammler“ von James McGee ist ein sehr empfehlenswerter Roman, der nichts beschönigt, der London in ein realistisches Licht rückt und durch Spannung überzeugen kann.


 Michael Sterzik

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