Lübeck – Weltbekannt durch
das Marzipan von Niederegger und natürlich durch das alte Festungstor, auch
Holstentor genannt. Das eigentliche Wahrzeichen der damaligen „Königin der
Hanse“ wie sie von sich aus stolz sagen kann.
Es gibt in Deutschland
wenige sehr gut erhaltene Städte in denen man noch, wenn man die kleinen Gassen
betritt oder durch die engen Gänge schleicht oder sich in einem wunderschönen
Hof wiederfindet, noch einen Hauch von „Mittelalter“ spürt.
Gebäude, Straßenamen die wenigen übrig gebliebenen
Gänge und Höfe zeugen noch immer von der Macht und dem Wohlstand, den die
Lübecker in ihrer für sie wichtigsten Zeit aufgebaut haben. Im 14 Jahrhundert
war sie für den Seeverkehr im östlichen Raum um Brügge, London und Nowgorod das
Zentrum für Handel, Kredite und der alleinigen Macht der Hanse.
Die Autorin Sabine Weiß
lässt in ihrem vorliegenden Roman um die Kaufmannstochter Henrike Vresdorf –
„Hansetochter“, dass hanseatische Lübeck prachtvoll aufblühen. Die Handlung spielt
im Jahre 1375 – zur Glanz- und Blütezeit der Hanse und ist eine vielseitige und
dramatische Familiengeschichte, mit sehr charakterstarken Figuren.
Im Vordergrund steht das
bewegende Schicksal einer jungen Frau, inmitten von familiären Verlusten, Intrigen
und politischer Themen, die die Stadt Lübeck vor manch einer Entscheidung
stellen. Sabine Weiß katapultiert den Leser in ein facettenreiches Lübeck im
14. Jahrhundert. Im Laufe der Handlung merkt man sehr stark, dass sich die
Autorin fantastisch mit der Geschichte der Hansestadt auseinandergesetzt hat.
Ihr Porträt Lübecks zeigt uns eine starke und einflussreiche Stadt und wer
Lübeck kennt, wird sich bei der Nennung der zahlreichen Gebäude, Kirchen und
Straße schnell heimisch fühlen. Lübecks Stadtbild, seine Straßennahmen und die
prächtigen Häuser der Kaufmannsfamilien sind erhalten geblieben und gehörten
mit zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Doch ein historischer
Roman weckt eine gewisse Erwartungshaltung und auch über übertrifft die Autorin
ihre Kollegen, wenn es um Detailwissen und Beschreibungen geht. Das
hanseatische Mittelalter und das damalige Alltagsleben der Menschen inmitten
einer Stadt, wird hier detailreich und bestens recherchiert beschrieben. Wir
erfahren viel über die damaligen Berufsstände eines Kaufmanns oder die Ämter
und Würden und politische Verantwortung der Bürgermeister. Doch auch
Alltagsgegenstände und Handelsgüter werden so bildhaft beschrieben, dass dem
Roman eine faszinierende Tiefe gibt.
Doch auch die Bräuche und
familiären Verpflichtungen werden ausführlich beleuchtet. Der Leser wird Zeuge,
welche beschwerliche Ausbildung die Lehrlinge der Kaufleute hatten und welche,
in unseren Augen derben Aufnahmeprozessen sich diese stellen mussten. Das Leben
im Mittelalter war nicht einfach – um nicht zu sagen gefährlich für Leib und
Leben. Die Autorin nimmt hier auch kein Blatt vor dem Mund, sondern beschreibt
sehr präzise und bildhaft, drakonische Strafen, Kämpfe und Gewalt in der Ehe
oder auf dem Deck eines Schiffes bei einem Piratenangriff.
Auch politische
Auseinandersetzungen, die eine so wohlhabende Stadt wie Lübeck sich stellen
musste, werden thematisiert.
Die Spannung des Romans
steigert sich mit der Vielzahl an Nebenhandlungen und natürlich der
Haupthandlung. Die junge Kaufmannsstocher Henrike, die ihren Vater aufgrund
eines plötzlichen Todes verliert, muss zusammen mit ihrem Bruder vieles
erdulden. Ihr Onkel, Tante und deren Sohn schikanieren die beiden Geschwister
mit einer fast schon systematischen Gewalt – sowohl körperlich, wie auch
seelisch erleiden die Kinder viel. Neben der Spannung, gibt es natürlich auch
die Liebe, die nicht zu kurz kommt. Zum einen die Liebe Henrikes zu einem
jungen Kaufmann, der versucht sich in Lübeck zu etablieren, zum anderen auch
die Liebe und Zuneigung unter Geschwistern oder Freunden. Sensibel und feinfühlig
auf höchstem Niveau erzählt.
Packen und vielzeitig sind
wirklich alle Charaktere konzipiert, jeder auf seine Art und das sehr
realistisch, ohne in bekannte Klischees abzudriften. Selbst die Nebenfiguren
schließt man schnell ins Herz. Als negativer Aspekt, ist manchmal die sehr
gerade Linie von „Gut“ und Böse“ sehr eindimensional beschrieben. Wenn die
Charaktere manchmal mit mehr Kanten und Ecken versehen gewesen wären, wäre der
tolle Roman noch viel besser gewesen. So empfindet man beim Lesen zwar
Verständnis und Anerkennung bei den Figuren, doch manchmal sind diese zu
übertrieben gut und böse. Die Handlung ist dadurch leider allzu absehbar, was
überraschenderweise der Spannung nicht schlecht tut.
„Hansetochter“ ist ein
brillanter, farbenprächtiger Roman. Realistisch, spannend und mit Figuren
versehen, denen man sich nicht entziehen kann. Dazu perfekte Beschreibung von
historischen Elementen, Bräuchen, Gegenstände usw. die sich passend ins lübische
Stadtbild einbringen.
Damit ist Sabine Weiß ein
großartiger Roman gelungen. Eine
Fortsetzung steht mit „Die Feinde der Hansetochter“ schon in den Regalen der
Buchhändler. Die Hansezeit verfügt über so viele spannend zu erzählende
Geschichten, dass man nur hoffen kann, dass es darüber hinaus noch
Fortsetzungen geben wird.
Historische Unterhaltung
packend erzählt. Bravo – so muss ein historischer Roman sein.
Michael Sterzik
April 2016-04-30
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