Jeder
Krieg bringt seine Verbrechen mit. In einer Zeit, in der das Kriegsrecht
herrscht, sind staatliche Gesetze faktisch nicht existent. Menschliche Werte
der Moral, Ethik, Anstand, Respekt gehen in den Grauen der Kämpfe oft zugrunde.
Es gibt Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung, Diebstahl, Raub, Mord, Folter
etc...es lässt sich albtraumhaft weiter ausführen, doch unabhängig der Kultur,
Rasse oder Staatenzugehörigkeit sind Vergewaltigungen im Krieg, oder in der
unmittelbaren Nachkriegszeit durch Armeeangehörige, oder marodierende
Truppenteile, immer noch ein Dogma, ein Tabuthema über das wenig bis gar nicht
gesprochen wird.
Zu
groß ist die Scham der vergewaltigten Frauen, zu viel Schmerz, zu viele
seelische Wunden, die nicht völlig verheilen werden, nicht mal, wenn sich das
Rad der Zeit schneller dreht. Vorurteile, Beleidigungen, Vorwürfe und Hass
begleiten diese Frauen, wenn sie denn die Stärke haben, darüber zu reden, oder
gar den Täter erkennen und anklagen.
Unsere
Urgroßmütter werden dies im Zweiten Weltkrieg erlebt haben, doch kaum darüber
gesprochen haben. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges – Deutschland wurde von den
alliierten Siegermächten besetzt wurden gerade in den besetzten Regionen Berlin
Frauen durch Soldaten der Roten Armee massenhaft geschändet, vergewaltigt und
verstümmelt. Obwohl Stalin Verbrechen gegen die Deutsche Bevölkerung streng
untersagt hatte und drakonische Strafen verhängen wollte, oblag es doch den
hohen Offizieren diese Befehle auszuführen. Es hielten sich nicht alle an,
viele waren durch den Hass auf die Nazis so aggressiv und auf Rache aus, dass
Plündern nur noch ein Kavaliersdelikt war und bei Vergewaltigungen schaute man
halt weg, man duldete dies.
Harald
Gilbers erzählt in seinem neuesten Roman „Endzeit“ viel von diesem Tabuthema,
dass bei und nach dem lesen nachhaltig beim Leser hängen bleibt. Wie in den
letzten beiden Romanen: „Germania“ und „Odins Söhne“ ermittelt auch hier der
jüdische, ehemalige Kriminalkommissar Oppenheimer, der in den letzten
Kriegstagen in Berlin zusammen mit seiner Frau Lisa, dass Ende des Krieges
herbeisehnt. Die Rote Armee kämpft sich im April 1945 durch Berlin – das
Regierungsviertel wird erobert, die deutschen Truppen kapitulieren. Doch der
Krieg ist für die Menschen noch lange nicht vorbei. Es ist ein Ausnahmezustand,
ohne viele Gesetze – Die Sieger beherrschen die Hauptstadt, sie helfen, sie
versorgen die Bevölkerung, aber die begehen auch Verbrechen an der
Zivilbevölkerung.
Auch
Oppenheimers Frau wird vergewaltigt und der ehemalige Kommissar will Rache und
Vergeltung. In den Wirren dieser letzten Tage des Dritten Reiches, wird er von
einem hochrangigen Offizier der russischen Armee aufgefordert einen brisanten
Koffer aufzufinden...es wird gefährlich zwischen der
Armee, russischen Verbrecherbanden und Oppenheimer mittendrin.
Harald Gilbers generiert in seinem Roman „Endzeit“ eine
beklemmende Atmosphäre und spiegelt das Bild eines zerstörten Berlins und dem
Grauen der Nachkriegstage realistisch wieder. Die eigentliche Geschichte ist
umzingelt, eingekesselt durch die Beschreibungen des täglichen Grauens, den Entbehrungen, den Ängsten der Frauen und
Kinder, den Verlieren, die den Launen der Besatzer fast schon hilflos
ausgeliefert sind.
„Endzeit“ ist eine Kombination aus historischer Geschichte und
einem Thriller. Auch wenn das Grauen faktisch in jedem Kapitel greifbar ist, so
geht es wenig actionreich zu. Doch dem Leser wird es nicht auffallen, er wird
gefesselt sein von den Alltagsleben und Ängsten. Dafür gibt es gut
ausgearbeitete Dialoge und eine spannende Handlung, die überzeugt. Die
Vergewaltigungen werden nicht haarklein geschildert, vielmehr das Grauen, die
Ängste und die Stigmatisierung der betroffenen.
Es ist an dieser Stelle zu sagen, dass bei den vielen
Nebengeschichten und den komplexen Charakteren es zu empfehlen ist, die Romane
von Harald Gilbers chronologisch zu lesen. Oppenheimers Vergangenheit und seine
Beziehung zu seiner Frau und ebenfalls zu einigen anderen Charakteren wird
nicht viel Raum gegeben.
Nichtsdestotrotz – „Endzeit“ ist ein Stück deutscher Geschichte,
ein Denk- und Mahnmal und man empfindet für die Deutschen Frauen großen Respekt
und Mitgefühl. Es ist unbeschreiblich, was die Frauen erleiden mussten, auch
das darf nicht in Vergessenheit geraten.
„Endzeit“ ist ein Bravourstück der Vergangenheitsbewältigung und
ein atmosphärisch überzeugend. Es sind die leisen Stimmen der Opfer des
Krieges, die Tragik und Dramatik historischer Ereignisse uns immer wieder vor
Augen gehalten werden.
Ich hoffe, dass Harald Gilbers seine Figur Oppenheimer im
Nachkriegsberlin ermitteln lässt – vielleicht nach deutschen
Kriegsverbrechern!?
Michael Sterzik
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