Montag, 21. Oktober 2019

Die geteilten Jahre - Matthias Lisse


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Im November dieses Jahres schauen wir einmal 30 Jahre zurück auf das Jahr 1989.

Der Fall der Mauer – die Auflösung der DDR, der Anfang vom Ende einer deutsch-deutschen Trennung und der erste Schritte zu einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Ein historisches Datum.

Ein Jahr später – 3.10.1990 die Wiedervereinigung.

Die Vergangenheit ist allerdings gar nicht so weit entfernt von uns. Was sind schon 30 Jahre? Nur die nun schon älteren Menschen denken in diesen Tagen, rückblickend an die Ereignisse in Berlin und Prag. Die Öffnung der Grenzen – ein emotionaler Moment für Menschen, die jahrzehntelang voneinander durch eine Mauer, Selbstschussanlagen, Stacheldraht, Mienen und einem Schießbefehl getrennt worden sind. Familien, Freunde, die wenige Möglichkeiten hatten über die Grenze zu kommunizieren, und wenn dann nur unter der Zensur einer sogenannten sozialistischen DDR. Wir erinnern uns an Tränen des Glücks, an die Rufe, an diese verzweifelten Schreie nach Freiheit und den kompromisslosen Willen friedlich einer „Zukunft“ entgegenblicken zu können.  

Was wissen unsere Kinder, oder schon junge Erwachsene, über das damalige Leben im Osten Deutschlands? Es gibt nun keine Grenzen mehr, es gibt keine staatliche Willkürlichkeit mehr, keine Denunziation von Regimekritischen Menschen, keine Todesstrafe und keine Beschneidung von Menschenrechten. Unserem Land geht es gut – wir leben in einem Sozialen System, dass auch die schwachen und verlorenen Menschen auffängt, wir konsumieren – wir importieren und exportieren....ein Überfluss, ein Überangebot das sich uns präsentiert. Aber wissen wir all das auch zu schätzen?

Erzählen wir unseren Kindern von diesem staatlichen Gefängnis hinter einer Mauer, in der  zwar auch deutsch gesprochen aber anders gedacht wurde?! Eine Mauer, die nicht nur Menschen einschloss, sondern auch Ideen, Visionen und Träume einengte. Ein staatliches, kriminelles System, dass unzählige Menschen den Tod brachte, weil sie „frei“ sein wollten, oder offen Kritik äußersten. Schwer vorstellbar – nicht fassbar.  

Berlin 13. August 1961
Der Traum vom „Arbeiter- und Bauernparadies“ ist ausgeträumt, und wie viele andere haben Wolfgang Leipold und seine Frau nur ein Ziel: die DDR, zusammen mit ihrem kleinen Sohn Marcus, so schnell wie möglich zu verlassen. Doch ihr Entschluss kommt zu spät, denn mit der Errichtung der Mauer ist ihnen der Weg in die Freiheit versperrt und jeder Gedanke an eine Flucht aus der DDR so gut wie unmöglich. Jahre später träumt Marcus, inzwischen verheiratet und Vater einer Tochter, ebenfalls davon, in den Westen zu gehen, doch zunächst gelingt es nur ihm, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Wie aber soll er es schaffen, seine Frau Imke und die kleine Jessica zu sich zu holen?

Neue Hoffnung keimt auf, als im September 89 Tausende DDR-Flüchtlinge die Prager Botschaft stürmen – darunter auch Imke und ihre Tochter …(Verlagsinfo)

Matthias Lisse hat in seinem autobiographischen Roman: „Die geteilten Jahre“ – die Erlebnisse seiner Familie und seiner Person selbst dokumentiert. Der Autor sagt von sich aus, dass er diesen Roman eigentlich nie schreiben wollte -  zu viel Erinnerungen an Schmerzen, Angst und Verlust...nachvollziehbar wenn man den Roman gelesen hat.

Die geteilten Jahren ist ein wichtiges Stück „Zeitgeschichte“ – dass vom einfachen und unbequemen Leben berichtet, in der das „Leben“ unter Willkürlichkeit, Angst, Drohungen und Lügen jeden Tag offensiv fortgelebt wurde.

Matthias Lisse demaskiert die DDR – eine Offenbarung, in der „Lügen“ unter dem Deckmantel des Sozialismus, den einfachen Menschen Grenzen setzte. Ein Minikosmos in der die Wahrheit nicht zählte, in der die Angst vor der privaten und beruflichen Vernichtung vorherrschte. Mängel in der Versorgung der Bevölkerung, mit Waren und Dienstleistungen, die für uns immer selbstverständlich waren und sind. Ein Konstrukt – aus Lügen und Manipulation und Selbstbetrug, sodass man beim Lesen dieses Titels noch immer eine Gänsehaut bekommt. Spannend ist der Titel allemal. Informativ und aufwühlend, ehrlich und ohne Theater...

Matthias Lisse erzählt von seinem Schrei nach Freiheit, einem inneren Widerstand, der sein Leben auch nach außen hin, immer wieder Grenzen setzt. Doch der Mut seiner Frau, seiner Tochter und ihn, lassen ihn alle Mauern überwinden. Die einer Botschaft in Prag, die der eigenen Grenzen und die einer staatlichen Bevormundung.

Chronologisch schildert der Autor, ganz ohne wilde Spekulationen und Halbwahrheiten seine erlebten „Fakten der Vergangenheit“. Vom Aufbau einer Mauer, bis zu der Kapitulation und dem Zusammenbruch des Arbeiter- und Bauernparadieses.

„Die geteilten Jahre“ sind eine dramatische Zeugenaussage, ein Zeitzeugnis, dass man unbedingt lesen, oder vielleicht auch einfach mal in der Schule vorlesen sollte. Wir Menschen haben leider das Talent vieles verdrängen zu wollen – doch gerade jetzt in dieser Zeit, mit einer aktuellen, politischen und sozialen Unruhe, sollten sich gerade die Mitbürger aus dem Osten Gedanken, zu Ihrer Vergangenheit machen.

Matthias Lisses: „Die geteilten Jahre“ ist eines der wichtigsten Bücher in diesem Jahr. Nicht nur weil wir bald einen historischen Jahrestag haben – sondern weil es auch ein interpretiertes „Fingerpointing“ sein kann.

Haben wir alle schon vergessen, warum Menschen unter Lebensgefahr flüchten wollten, einem Regime den Rücken kehrten der Gesetz und Recht nur willkürlich durchsetzte. In dem die Bewohner eines Staates zu Gefangenen wurden, zu Geiseln einer Misswirtschaft, der von den Devisen des Klassenfeindes überleben konnte!?

Lesen Sie bitte „Die geteilten Jahre“ von Matthias Lisse und werden sich bewusst woher viele von uns kommen, welche Ängste das Leben prägte, welche Entbehrungen es im täglichen Leben gab...usw.

Was ich vermisste, war das Nachwort des Autors – ich würde empfehlen, dieses bei einer der nächsten Auflagen, nachzuholen. Es wäre wichtig. J

Fazit

„Die geteilten Jahre“ von Matthias Lisse vereint die Vergangenheit und die Gegenwart eines Staates der Menschen getrennt hat. Ein Offenbarungseid, ein Hosen-runter-lassen, dass emotional bewegt. Ein Zeitzeugnis, in dem wir uns selbst erkennen können. Eine Warnung, dass Widerstand nötig ist um Grenzen einzureißen. Ein Schrei nach Freiheit – dessen Echo man nach dem Lesen noch immer hört.

Michael Sterzik

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