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Donnerstag, 5. Mai 2022

Die fremde Spionin - Titus Müller


1989 – ein historischer Tag – das Tag der Deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Zwei getrennte Staaten – oftmals sind auch Familien getrennt und Freunde. Vereint in der Vergangenheit – getrennt durch zwei politische Ideale und Wertvorstellungen. Das Wort „Freiheit“ hat hier unterschiedliche Bedeutungen. Eine kriminelle, unmenschlich erzwungene Kontrolle von Menschen, eine definitive Manipulation des Zusammenlebens und der politischen Meinung und des Verständnisses für ein Miteinander. Die DDR war ein politisches System, das gefoltert und getötet hat – ein Regime der Lüge, der Propaganda und des Verdrängens. Eine Spaltung durch das Land, durch die Stadt Berlin und letztlich auch eine Disharmonie, die auch jetzt nach 33 Jahren noch spürbar ist in Ost und West.

Titus Müller hat in seinem Roman: „Die fremde Spionin“ dem Kalten Krieg, der baldigen Trennung der beiden deutschen Staaten eine besondere Atmosphäre eingefangen. Eine Geschichte in der Geschichte – Fiktion in Fakten, die authentisch verarbeitet wurden. Eine tolle Figurenzeichnung, in der auch historische Personen auftreten und somit der ohnehin schon intensiven Story noch den letzten Schliff gibt.

Für die Generation, die nach 1989 geboren ist, ist der vorliegende Roman ein erschreckender Bruchteil der deutschen Geschichte. Der Kalte Krieg der Geheimdienste ist auch eine Auseinandersetzung zwischen Wertevorstellungen – dass merkt man spürbar schnell und fängt dabei auch die Zerrissen- und inneren Unsicherheit der Menschen auf, die in der damaligen DDR gelebt haben.

Ria ist zehn Jahre alt, als ihre Eltern von der Staatssicherheit abgeholt werden. Sie wird von ihrer kleinen Schwester getrennt und in einer Adoptivfamilie untergebracht. Seither führt Ria in Ostberlin ein scheinbar angepasstes Leben. Erst als der BND sie als Informantin rekrutiert, sieht sie ihre Chance gekommen. Mithilfe des westlichen Geheimdienstes will Ria sich an der DDR rächen und endlich ihre Schwester wiederfinden. Doch dann erfährt sie im Sommer 1961 von einem ungeheuerlichen Plan, der ihr Schicksal und die Zukunft beider deutscher Staaten für immer verändern könnte …(Verlagsinfo)

Rache und Vergeltung ist die Motivation der Hauptfigur Ria, aber das ist noch bei weitem nicht alles. Der Hass geht tiefer, der Unmut nicht frei leben, reden und handeln zu können sitzt tief und ist für die junge Frau Fluch und Segen zugleich.

Als Spionin des BND verfügt sie über großes Talent, aber gerät trotzdem als Mitarbeiterin des Ministeriums für Außenhandel der DDR zwischen den Fronten in Lebensgefahr. Die durchdringende Spannung die Titus Müller hier spürbar und fesselnd transportiert ist großartig. Es ist ein authentisches Spiegelbild – nicht nur der Geschichte, sondern auch der Lebenseinstellung, des Gefühls und dem Schrei nach Freiheit – der 1989 dann doch die Berliner Mauer zu Einsturz bringt.

Doch Titus Müller erzählt nicht nur von idealistischen Gefechten, sondern schildert auch den Alltag der Menschen in der DDR. Ein gut strukturiertes Gesamtbild, dass allerdings den Fokus „Den Bau der Berliner Mauer“ nicht verliert. Damit kommen dann historische Persönlichkeiten wie Walter Ulbricht, Erich Honecker und John F. Kennedy zu Wort.

Es ist auch kein klassischer Spionageroman – aber Titus Müller beweist auch hier erzählerische Tiefe und erzählt von Verhörtechniken, von toten Briefkästen und der Handhabung von Minikameras u.ä. Werkzeugen.

Die Dialoge sind brillant – besonders wenn die Hauptakteurin Rita Nachtmann Situationen und Gefühle beschreibt, ist die Dramatik der Ereignissee absolut authentisch. Im vorliegenden Band: „Die fremde Spionin“ findet sich keine künstliche Theatralik wieder. Spannung hin oder her – die sensible Stimmung, das alltägliche Grauen, die Verzweiflung und auch das Aufgeben der Menschen werden hier genauso erzählerisch dicht beschrieben – wie die Hoffnung auf Freiheit, die innere Rebellion, die gesellschaftliche Anpassung an ein verlogenes System.

Man mag sich fragen, warum die Menschen sich so instrumentalisiert haben lassen – Titus Müller beantwortet diese Frage nicht – die Gründe dafür liegen auf der Hand, aber sind nicht so einfach zu begreifen, schon gar nicht in Romanform.

„Die fremde Spionin“ spiegelt vieles positives, wie auch negatives aus dieser Zeit. Ein wichtiges Buch, das aufwühlt, das aufklärt, ohne abwertend zu wirken.

Fazit

„Die fremde Spionin“ ist ein nachhaltiges, geschichtliches Echo zweier deutscher Staaten, die getrennt worden sind. Ein Zeitzeugnis, das unterhaltsam aufklärt, warum wir heute sind, wie wir sind. Großartig.

Michael Sterzik