Für jemanden dem es noch nicht passiert ist, ist eine Amnesie (Gedächnisstörung) etwas skurriles, nicht Vorstellbares. Ein Schrecken ohne Ende und leider auch ohne wirklichen Anfang. Amnesie kann mehrere Ursachen haben, eine Erkrankung des Gehirns oder eine Verletzung des Kopfes, also Schädelhirn-Trauma oder gar ein Tumor der sich im oder am Gehirn ausbreitet. Es gibt verschiedene Arten der Amnesie, durch Schock ausgelöste Traumata werden aller Wahrscheinlichkeit im Laufe der Zeit durch Übungen und verschiedene Erinnerungen wie Fotos, Tagebücher usw. mehr oder minder erfolgreich geheilt.
Für die Erkrankten ist die Amnesie zumeist psychologisch belastend. Wenn z.B. man charakterlich völlig verändert ist, oder man zwar gewissen Eigenschaften zwar nicht verlernt hat, aber man nichts von seiner Vergangenheit weiß, so als hatte es ein „vorher“ niemals gegeben. Wenn sich die Frage stellt, wer man war, was einen persönlich ausgemacht hat, wen man geliebt hat oder sogar was ich anderen angetan, so fühlt man sich in diesem Meer voller Vermutungen und Fragen wie in einem Rettungsboot in unruhiger See. Viele einzelne Momente, Bilder, Gerüche, Töne sind jeder für ein kleines de`ja vu. Man mag zwar körperlich genesen sein, aber seelisch ist man auf die Hilfe anderer angewiesen und die Lücken die es zu schließen gelten, sind schier unerschöpflich.
Doch was passiert wenn man scheinbar einen Mord begeht und sich dann später an nichts mehr erinnern kann?! Hat man die Tat dann vorsätzlich durchgeführt, in Affekt oder war die Amnesie schuld daran, ein Kurzschluss und deswegen Unzurechnungsfähig?!
Gregg Hurwitz, amerikanischer Autor mit seinem neuesten Roman „Blackout“ wieder einen spannenden und abwechslungsreichen Roman verfasst.
Inhalt
Drew Anner ist ein Thriller und Krimiautor der schon viele höhen und tiefen in seinem bisher 38 jährigen Leben durchmachen musste. Er ist als Schriftsteller recht erfolgreich und kann gut davon leben, Film- und Buchrechte erlauben es ihm recht angenehm zu leben. Doch eines Tages erleidet Drew aufgrund eines recht großen Tumors in seinem Gehirn einen epileptischen Anfall und wacht nach einer komplizierten Notoperation im städtischen Krankenhaus.
Doch hier erwartet Drew gleich der nächste Schicksalsschlag: Er wird von der Polizei verhaftet da er seine Ex-Freundin Genevieve mit einem Tranchiermesse getötet haben soll. Die Beweise sind erdrückend, denn es waren die Polizeibeamten die ihn ohnmächtig und blutverschmiert, noch mit dem Messer in der Hand neben ihrer Leiche gefunden haben.
Drew kann es nicht glauben: Er ein Mörder?! Hat er wirklich seine Ex-Freundin brutal niedergemetzelt? Alles spricht gegen den ehemaligen Todkranken Schriftsteller, die Indizien sind zu erdrückend und nicht widerlegbar. Ihm wird der Prozess gemacht und aufgrund der Beweise schuldig gesprochen. In der Berufung verfolgen allerdings Drews Anwälte die Strategie der „Unzurechnungsfähigkeit“ wegen seines Tumors, und gewinnen. Drew ist frei, aber keineswegs erleichtert, denn noch immer kann er nicht glauben, dass er in einer Kurzschlusshandlung Genevieve ermordet hat, daran kann auch eine „Begnadigung“ nichts ändern.
Um nicht den eigenen Glauben an sich selbst zu verlieren, beschließt Drew selbst herauszufinden was in der Nacht passiert ist. Mit Hilfe seiner Kontakte, zur Polizei und anderer Kontakte nutzend die er sich in den Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit aufgebaut hat, geht er die einzelnen Schritte zurück. In Angst einen nochmaligen „Blackout“ zu bekommen und wieder eine brutale Tat zu begehen lastet ein ungeheuerlicher Druck auf ihm.
Doch eines Tages kommen doch die ersten Zweifel an seine eigene Person. In einer unruhigen Nacht in denen er schlecht geträumt hat und er erschöpft aufwacht, findet er seine Terrassentür weit geöffnet vor, und eine Schnittwunde ziert seinen Fuß?! Langsam wird die Situation unheimlicher und als zuletzt ein Filetmesser aus seinem Messerblock verschwindet und bei einem weiteren brutalen Mord bei der grausam verstümmelten Leichen gefunden wird, glaubt er langsam verrückt zu werden und er bekommt Angst vor sich selbst. Wird er bei einem „Blackout“ obwohl der Tumor operabel entfernt wurde, zu einem bestialischen, unberechenbaren Mörder?
Wieder gerät Drew verständlicherweise ins Visier der Polizeibeamten und einige Beamte würden ihn gerne festnehmen und wegsperren, doch Drew hat trotz allem noch einige Freunde die zu ihm stehen, an ihn glauben aber nach einem weiteren Mord wird für Drew die Lage immer unausweichlicher……
Kritiker
Gregg Hurwitz versteht es auch in „Blackout“ den Spannungsbogen systematisch und abwechslungsreich aufzubauen. Realistisch und nachvollziehbar baut sich die Handlung Stück für Stück auf, immer in der Ich-Perspektive von Dew.
Dadurch verfolgt der Leser die Verzweiflung und seine Suche nach der Wahrheit wie schlimm diese auch sein mag durch die Augen des Hauptprotagonisten.
So wird es dem Leser selbst möglich sein, Schlüsse zu ziehen, kombinieren zu können, aber auch immer wieder durch Indizien und verschiedene Fährten auf dem Holzweg verführt zu werden. Puzzleteil für Puzzleteil wird das Bild ein konkretes, ein Gesamtbild das doch immer wieder aufs Neue erweitert werden kann.
Spannend sind nicht nur die einzelnen Handlungen und Ermittlungen von Drew, auch die Nebenfiguren spielen ihren Part vortrefflich mit einer charakterlichen Tiefe hinter der sie sich nicht zu verstecken brauchen. Drew wird durch diese unterstützt, verraten, geliebt, enttäuscht, alle Facetten des Lebens findet man wieder. Auch die Liebe darf nicht fehlen, doch wie die Story selbst ist diese „offen“ . Gleich und Gleich gesellt sich gerne, was auch stimmen mag. Auch Hurwitz bedient sich diesen klassischen Elementen, doch wirft er einen Blick dahinter der tiefer geht. Spiegelt sich die Persönlichkeit körperlich auf den Menschen wieder?
Interessant und inhaltlich überraschend wechselt Drew von Pro ins Kontra, von der Verzweiflung wieder in die Hoffnung katapultiert und wieder zurück. Dabei läuft die Handlung immer streng logisch ab, obwohl man sich manches mal doch fragt, ob Drew gerade in dieser Szene nicht doch ein „Blackout“ hat, nicht weil dumm handelt, sondern sich absolut naiv verhält.
Die ganze Handlung ist auch umwebt von dem Sarkasmus und seiner zynischen Art von Humor unserer zweifelhaften Helden. „Sein oder Nichtsein“ steht damit immer wieder im Mittelpunkt und das fragt sich nicht nur Drew selbst.
Von Selbstzweifeln geplagt fühlt man mit Drew mit, seine Person ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt in der ganzen Story. Er wächst mit seinen Ermittlungen, an Reife, an Persönlichkeit und stellt schnell fest das die Realität schmerzlicher ist als er es in seinen Romanen je hätte schildern können. So schreibt er ganz nebenbei einen neuen Roman mit sich als Hauptfigur, so richtig aus dem Leben gegriffen.
„Blackout“ ist kein spektakulärer, einmaliger Thriller mit neuen Ideen. Dennoch bietet es dem Leser unterhaltsame, spannende Stunden deren es trotz ernster Grundstimmung nicht an tiefe fehlt. Wie würden wir in so einer Situation reagieren? Würden wir innerlich zerbrechen oder würden wir Stärke beweisen, auch wenn uns die „Wahrheit“ trotzdem zerstören könnte? Gibt es das „Böse“ in uns, dass wir nicht kontrollieren können, weswegen auch immer, z.B. Erkrankungen des Gehirns die unsere Persönlichkeit quasi umkrempeln könnte?!
Fazit
„Blackout“ ist in jedem Fall empfehlbar. Gregg Hurwitz hat einen Thriller geschrieben der wahrscheinlich nahe an der Realität geschrieben wurde. Psychologisch geschickt verpackt er eine mörderisch gute Story auf knapp 430 Seiten und schafft es lückenlos spannend zu schreiben.
Manchmal ist der Humor etwas fehl am Platze, und nimmt der Geschichte ein wenig die Ernsthaftigkeit. Drews Selbstironie überstrapaziert den Leser zwar, aber aufgrund der Spannung fällt das kaum ins Gewicht.
Am Ende werden einige Leser sagen; Ich habe es doch gewusst, bzw. vermutet, aber erst gegen Ende, denn die Brotkrumen an Hinweisen sind arg verstreut, aber brillant positioniert. Wer nun am Ende Täter oder Opfer ist, kann dahingestellt werden, jeder ist irgendwo betroffen und wird konsequent mit dem konfrontiert für das er selbst verantwortlich ist.
Autor
Der amerikanische Autor Gregg Hurrwitz wuchs in der Nähe von San Franscisco auf und studierte später Englische Literatur und Psychologie in Harvard und Oxford/England. Das waren ideale Grundlagen für seine spätere Karriere als Thrillerautor, um Motive und Seelenwelt seiner Helden zu gestalten.
„Blackout“ ist sein neuster Roman. Vielleicht schwingen sogar autobiographische Züge oder zumindest eigene Erfahrungen mit, da sein Held ebenfalls Krimiautor ist.
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