Das Mädchen und sein Henker
Im frühen wie auch im späten Mittelalter lebten die Henker und Scharfrichter meisten fernab der Stadtgrenzen. In einer städtischen Gemeinschaft, waren diese Männer und auch wenige Frauen ausgegrenzt, fast schon stigmatisiert. Der Beruf des Henkers galt immer schon als „unrein“ und „unehrlich“, wer wollte schon mit dem Diener des Todes konfrontiert werden? Es gab wahre Henkersdynastien und die Söhne eines Henkers übernahmen traditionell die Nachfolge ihres Vaters, die Töchter heirateten meistens einen Henker aus einer anderen Familie.
Auch wenn die Person des Henkers gefürchtet war, so ging auch immer eine etwas gewisse morbide Faszination von ihnen aus. Viele „töteten“ nicht nur für das Städtische Gericht oder folterten, nebenberuflich waren sie auch Ärzte und Apotheker, nicht offiziell versteht sich, doch waren sie für die Bader und Ärzte ernste Konkurrenz.
Die Ausbildung zum Henker und Scharfrichter war sehr praxisorientiert, aber sicherlich gab es auch verschiedene Theoretische Stunden. Nur wenig andere Menschen hatten in dieser Epoche mit Leichen zu tun, also war es naheliegend, dass die Henker rudimentäre Medizin praktizierten und auch verschiedene Medikamente herstellen konnten.
Die Autorin Dagmar Fohl hat in ihrem Debütroman „Das Mädchen und sein Henker“ den Beruf des Henkers thematisiert und recht anschaulich geschildert. Der Roman ist jetzt – 2009 im Gmeiner Verlag erschienen und reiht sich im Genre historischer Kriminalroman ein.
Inhalt
Hamburg 1733. Jan Anton Kock schon frühzeitiger, kindlicher Traum war, ein angesehener Arzt zu werden. Ein Beruf der im krassen Gegensatz zu dem seines Vaters steht, der im Dienste der Stadt Hamburg, als Henker und Scharfrichter sein Amt ausführt.
Schon früh erkennt er sein Talent beim verarzten und behandeln der schuldig gesprochenen Verbrecher die sein Vater bestraft und foltert. Er möchte Leben erhalten, anstatt Leben nehmen, doch schon mit 16 Jahren meint es das Schicksal anders mit Jan. Als sein Vater plötzlich stirbt, muss Anton das Amt des Scharfrichters und Henkers übernehmen. Hinein gestoßen in eine Welt die er meiden wollte erfüllt er sechs lange Jahre seine Pflichten als Henker. Acht eindrucksvolle und fehlerfreie Hinrichtungen kann Jan Kock vorweisen, er hat sich an seine blutige Tätigkeit gewöhnen müssen, nicht aber daran das er gefürchtet und gemieden wird, selbst in der Kirche in der Nächstenliebe von der Kanzel gepredigt wird, steht er abseits und empfängt den Segen und das Abendmahl als letztes.
Seine kleine Welt wird auf einmal von dem Lachen der 19-jährigen Hanna, einem Dienstmädchen auf den Kopf gestellt. Jan Kock verliebt sich in das junge Mädchen, dass nur kurze Zeit später des Kindsmords angeklagt wird. Sollte Hannas Schuld bewiesen werden, bzw. sollte sie ihr Verbrechen gestehen, so erwartet sie das Schwert des Henkers Jan Kock.
Hanna Kranz die das Dienstmädchen der Familie des Senators und Fabrikinhabers Broderjahn ist, verheimlicht ihre Schwangerschaft so gut wie es möglich ist, doch nach der Geburt ist das Neugeborene ermordet worden. Die junge Mutter wird des Kindsmord angeklagt, vertreten wird sie durch Dr. Friedrich König, dessen Herz selbst für seine angeklagte Klientin schlägt.
Hanna Kranz wird der Prozess gemacht und ihre Schuldigkeit vom hohen Gericht gesprochen. Dr. Friedrich König und dem Henker Jan Kock bleiben nur wenige Tage um Hanna zu retten...
Kritik
Dagmar Fohl beschreibt in ihrem Debütroman das historische Hamburg im 18 Jahrhundert sehr realistisch und glaubhaft. Die Geschichte wird aus der jeweiligen Perspektive der einzelnen Protagonisten erzählt. Atmosphärisch gibt es im Roman einige Höhen, aber auch Tiefen die ein wenig die Handlung starr erscheinen lässt.
Einzig und allein der Figur von Jan Kock wurde viel an Raum gelassen sich zu erklären, von seiner Vergangenheit, seinen Träumen und seinen Erfahrungen erfährt der Leser am meisten. Alleine über das „Handwerk“ eines Henkers, über seine Aufgaben erzählt die Autorin in Rückblenden mit Jans verstorbenen Vater viel. Dagegen fallen andere Hintergrundinformationen über Hanna eher sehr ärmlich aus, so dass am Ende des Romans viele Fragen auch sie betreffend einfach ungeklärt bleiben.
Aus der Handlung hätte man viel mehr machen können, sie schleppt sich von Kapitel zu Kapitel ohne mit wirklichen Höhepunkten anhaltende Spannung zu erzeugen. Viele Charaktere wirken unglaubwürdig und sehr eindimensional, etwas mehr „Leidenschaft“, etwas mehr an Gefühl hätte die Figuren viel greifbarer gemacht.
Gerade bei einem Kriminalroman hat man die Erwartungshaltung das die Handlung strukturiert in sich logisch aufgebaut ist. In „Das Mädchen und sein Henker“ ist das des öfteren nicht der Fall; viele Fragen bleiben offen, eine nicht unwichtige Person verschwindet und auch das Ende ist nicht zufriedenstellend. Es gibt keine Auflösung der Tat, nur ein totes Kind, eine verurteilte Mörderin, einige Personen die man als Leser in den Kreis der Verdächtigen stellt und noch mehr Fragen die unbeantwortet bleiben.
Fazit
Dagmar Fohls Debütroman war ansatzweise spannend und ganz sicherlich besitzt sie auch Talent, doch überzeugt hat mich „Das Mädchen und sein Henker“ nicht. Als Kriminalroman zu undurchsichtig und verwirt, als historischer Roman absatzweise sehr gut, als Drama gesehen gerade mal ausreichend.
Die Autorin hätte mehr Wert auf die konzentrierte Handlung nehmen müssen und weniger schnell die Charaktere einführen und wenig zu Wort kommen lassen, dass ist zu verwirrend.
Dagmar Fohl hat schriftstellerisches Talent was noch in der Entwicklung steckt, und ich würde mich freuen, vielleicht wieder einen historischen Kriminalroman zu lesen.
Autorin
Dagmar Fohl, geboren 1958, absolvierte ein Studium der Romanistik und Geschichte in Hamburg und arbeitete mehrere Jahre als Kulturmanagerin. Nach Abschluss einer privaten Gesangsausbildung war sie als Sängerin, Gesangslehrerin und Chorleiterin im In- und Ausland tätig. Seit dem Jahr 2000 betätigt sie sich schriftstellerisch und führt Lesungen durch. „Das Mädchen und sein Henker“ ist ihr erster historischer Kriminalroman.
1 Kommentar:
Ein erstklassiger Roman voller Esprit und Spannung. Unbedingt lesen!
Dagmar Fohl bricht mit ihrem Roman „Das Mädchen und sein Henker die ausgetretenen Wege des Genres „Historischer Roman“. Auf hohen Niveau spinnt sie eine intelligente Geschichte, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Die Autorin erzählt keine Belanglosigkeiten. Sie setzt sich mit dem Thema der Todesstrafe auseinander. Sie macht die Gefühle des Scharfrichters Jan Kock wie der des Kindmords angeklagten Dienstmädchens Hanna Kranz eindrücklich nachspürbar und schildert kenntnisreich die Gedankenwelt des Anwalts Friedrich König, eines Gegners der Todesstrafe. Hervorragend ist ihre akribische Recherche, ihre niveauvolle Sprache und dichte Darstellung der Charaktere und ihrer Lebenswelt. Wie nur wenigen Autoren gelingt ihr die authentische Schilderung einer Zeit, die den Leser die Gegenwart vergessen und mit allen Sinnen in das Leben im Hamburg des 18. Jahrhunderts eintauchen lässt. Mögen noch viele Romane aus Dagmar Fohls Feder fließen!
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