Freitag, 9. August 2019

Deutsches Haus - Annette Hess


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Der zweite Weltkrieg ist schon lange vorbei. Generationen später zeugen noch immer Museen, Mahnmale, Bücher und Filme, historische Dokumentationen von Augenzeugenberichten für ein Schaudern. Ist die NS-Zeit die Erbsünde unserer Generation? Verfolgt man in den Medien den aufkeimenden Rechtsextremismus in Europa überkommt den meisten von uns ein seichtes Unwohlsein, noch kein wirkliches Gefühl der Angst, dafür ist unsere gelebte und geliebte Komfortzone ausgezeichnet.

Es gibt sie – die Angst vor Veränderung, die Intoleranz gegenüber andersdenkenden und fühlenden Kulturen, es gibt Vorurteile für manche „Rassen“ und es gibt einen ausgeprägten Hass den Flüchtlingen und „Gutmenschen“ entgegenbringen! Das allerdings die meisten Verbrechen – auch gerne schwerwiegende Gewaltdelikte von „deutschen“ begangen werden, ist für diese „rechts“ lebende Gesellschaft in unserem Kreis völlig undenkbar. Geradezu verleumderisch – oder die Lügenpresse versucht uns zu manipulieren und Mama Merkel ist sowie an allem Schuld.

Drehen wir das Rad der Zeit in Richtung Vergangenheit. Damals – der Wiederaufbau, die neu erbaute Bundesrepublik Deutschland in den 60er Jahren, dass Wirtschaftswunder, der „Boom“ unserer Gesellschaft vollzog sich nach Jahren des Krieges, des Elends mit Hunger und Krankheiten recht fix. Doch wie reagierten die Menschen auf die ersten Prozesse – z.B. den Frankfurter Auschwitzprozess der durch Generalstaatsanwalt Fritz Bauer durchgeführt wurde.

Die bekannte Drehbuchautorin Annette Hess thematisiert in ihrem ersten Roman: „Deutsches Haus“ dieses sensible Thema, dass ihre Protagonisten zwanzig Jahre später ein- und überholt. Ihre Hauptfigur ist eine junge Frau. Eva ist Dolmetscherin für Polnisch und wird inmitten des vorweihnachtlichen familiären Trubels gebeten, für de Staatsanwaltschaft, die Aussagen der KZ-Überlebenden zu übersetzen.

Das „Weltbild“ der jungen Frau bricht damit Stück für Stück in sich zusammen. Die Verbrechen der Nazis in Auschwitz lassen ihre moralischen und ethischen Säulen in sich zusammenbrechen. Warum hat hier keiner aufbegehrt? Warum haben wir solch ein Leid zugelassen? Was ging in diesen Menschen vor, die so unschuldig aussehend und lächelnd auf der Anklagebank sitzen!? Selbst ihr Verlobter und ihre Eltern reden ihr zu, diese Tätigkeit vor Gericht zu beenden. Die Vergangenheit soll ruhen – sagen sie ihr immer wieder.

Die Naivität dieser jungen Frau wird massiv gestört. Die Fragen, die sie an ihre Eltern stellt, verlaufen zum größtenteils in Schweigen....und Eva recherchiert selbst, welche Werte ihre Eltern früher gelebt haben und wo sie gelebt haben. Es öffnet sich ein Korridor der Angst – links und recht öffnen sich die Türen zu weiteren schrecklichen Erkenntnissen und Wahrheiten, die es ihr unmöglich machen passiv zu bleiben.

Anette Hess katapultiert den Leser mitten in die Sechzigerjahre, ohne Netz und doppelten Boden, ohne Notausgang. Die Atmosphäre des Romans ist beklemmend. Und immer gibt es ein Fingerpointing auf dass: „Vergessen wir doch die Vergangenheit“, auf das spießige Leben im warmen Wohnzimmer, auf die Fassade, die nur durch Schweigen, Verdrängung und Schuld gestützt wird.

Die Autorin hält sich ein einer düsteren und authentischen Dramaturgie. Ihr Erzählstil vermittelt den Schrecken der Überlebenden wie ein brutal geführter Schwertstreich.

Doch zeigt Annette Hess nicht nur die überwölkten Seiten, sondern zeigt auch, dass die Menschen „überlebt“ haben, in dem sie sich lieben, vertrauen, und weiter positiv nach vorne schauen.

Gibt es eine kollektive, oder individuelle Vergebung? Die Nebenfiguren, die Annette Hess hier auffährt, sind weder schuldig, noch unschuldig. Waren sie alle nur tumbe Befehlsempfänger, oder waren sie böse, weil sie die „Macht“ über Leben und Tod hatten?!
Annette Hess verurteilt nicht offensiv. Sie konfrontiert aber absolut straight den Leser mit den Schrecken und der Schuld und nicht zuletzt wird dem Leser die Verdrängung vor Augen geführt – und diese daraus entstehende Emotion ist brutal und kompromisslos nachhaltig.
Offensiv spricht sie noch die Themen „Antisemitismus“ an und der aufkeimenden Hass gegenüber den Gastarbeitern aus Südeuropa, die mit dafür Sorgen, dass wir unsere Komfortzone bekommen haben.  

„Das Deutsches Haus“ ist eine vergangene Gegenwartsliteratur. Ein nachhaltiges Nachdenken, dass wir aufbegehren sollen -  Courage zeigen wenn nötig, einstehen für ein offenes, und tolerantes Deutschland.

Auf den Buchrücken steht: „Dieser Roman kommt genau zur richtigen Zeit“ – ein Zitat der Schauspielerin Iris Berben. Dem stimme ich zu.

Fazit
Der Titel „Deutsches Haus“ ist das Echo unserer Vergangenheit. Ein Roman, der unter die Haut geht, mit dem wir uns auch noch in unserer Komfortzone zurücklehnen und schweigend und nachdenklich innehalten. Großartig und Prädikat – ein Buch das man unbedingt lesen sollte.

Michael Sterzik



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