Mord im Orient-Express“ von Agatha Christie dürfte von allen Freunden der Literatur vertraut sein. Und wenn man diesen nicht gelesen hat, dann hat man ihn mit einer hohen Wahrscheinlichkeit im Fernsehen, oder im Kino gesehen. Das Setting eines Mordes auf einem „begrenzten“ regionalen Gebiet und eine lockere, zahlenmäßig überschaubare Anhäufung von denkbaren Tätern – dürfe auch schon vertraut sein.
Jeder kann der Mörder sein, oder womöglich ein enger Komplize. Jedenfalls ist die Atmosphäre sowieso schon angespannt, denn wer ist ggf. das nächste Opfer. Die Frage nach einem vermeintlichen Motiv ist erstmal ganz nach hinten gestellt. Die Angst geht um und schleicht sich in die Köpfe der „Überlebenden“. Wen kann man vertrauen? Wer hat etwas zu verbergen? Diese Spannungsmomente reihen sich dann auf wie auf einer unstabilen Kette. Die Spannung und eine gewisse Verängstigung dürften fast schon greifbar sein – sind sie aber nicht. Das „Böse“ treibt ein morbides, psychologisches Versteckspiel.
Die britische Autorin Ruth Ware verwendet genau diese Storyline für ihren neuesten Roman: „Das Chalet“. Wie ihre begnadete Autorenkollegin Agatha Christie orientiert sie sich an eben genau diesem Setting. Es ist allerdings kein fahrender Orient Express, sondern ein Hotel in den französischen Alpen, dass aufgrund einer vernichtenden Lawine, von der Außenwelt förmlich abgeschnitten und nun eingeschneit ist. 10 junge Menschen eines IT-StartUp Unternehmens wollen hier über die Vergangenheit und eine vielversprechende Zukunft diskutierten. Angestellte und Firmeninhaber mit entsprechenden Anteilen bilden allerdings auch unterschiedliche Interessengruppen, schließlich gibt es lukratives Übernahmeangebot, das millionenschwer ist.
Ein Luxus-Chalet in den französischen Alpen mitten im tiefsten Winter. Die Mitarbeiter eines erfolgreichen Social-Media-Start-ups haben sich hier eingemietet, um über das Übernahmeangebot eines großen Unternehmens zu diskutieren. Die Stimmung ist angespannt. Alle hier haben etwas zu verlieren. Und manche viel zu gewinnen. Dann beginnt das Grauen: Ein Mitglied der Gruppe nach dem anderen wird ermordet oder verschwindet. Nach einem Lawinenabgang ist das Chalet von der Außenwelt abgeschnitten, es gibt keinen Handyempfang. Der Killer muss einer der Gäste sein…(Verlagsinfo)
Der Thriller ist wenig originell, schließlich dürfte man etwas Ähnliches schon gelesen, oder gesehen haben. Spannend ist „Das Chalet“ – aber auch nur ausreichend, denn wer der Mörder ist, stellt sich recht schnell heraus. Selbst die psychologische Anspannung, eine Atmosphäre der unfassbaren Angst unter den Figuren stellt sich nicht ein. Zu ruhig, manchmal fast schon teilnahmslos, in einer Erwartungshaltung verharrend und paralysiert, passiert hier zu wenig. Die Beziehungsebenen sind auch nicht umfassend aufgeklärt und letztlich überschlagen sich die Ereignisse und fokussieren sich auf zwei Teilnehmer. Ein psychologisches Duell auf Augenhöhe, dessen Verlauf und Ende leider nicht überrascht. Die Dialoge sind auch nicht ausführlich und der Story angemessen und tiefer gehender erzählt.
Auseinandersetzungen, zu wenig Perspektivwechsel. Denn genau das wäre für die Story mehr wie dienlich gewesen. Eine anschauliche und in die Tiefe gehende Interpretation der Figuren gibt es auch nicht. Interessant allerdings ist die Technologie, die Idee dieses jungen Unternehmens. Das ist auch der einzige bleibende und nachhaltige Gedanke, wenn man das „Das Chalet“ beendet hat.
Das Motiv ist etwas wild konstruiert – das Ende durchaus vorhersehbar und in sich auch nicht befriedigend, da man als Leser nicht weiß, was wird aus diesen Charakteren denn nun werden. Fassen wir also zusammen, das Tempo ist zu hoch, die Beziehungsebenen nicht ausgearbeitet, die Story vorhersehbar, die Figuren damit oberflächlich.
Fazit
„Das Chalet“ konnte mich nicht beeindrucken, oder überzeugen. Die Spannung wurde wie von einer Lawine begraben, die Figuren sind dabei wohl erstickt. Wenig unterhaltsam und man auch nicht nichts verpasst, wenn man diesen Thriller nicht gelesen hat.
Michael Sterzik
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