Die Sünden auf sich nehmen – klingt irgendwie merkwürdig, dass vor dem Tod eines Menschen deren Sünden von jemand anderen aufgenommen werden können!? Der Begriff „Sündenfresser“ oder „Sündenesserin“ war mir gänzlich fremd. Die Recherche verschiedener Quellen erklärt es dann mit der Einnahme einer rituellen Mahlzeit, um die Sünden einer sterbenden, oder verstorbenen Personen spirituell auf sich zu nehmen. Das würde damit also die Seele der verstorbenen Person reinigen und von der Sünde freisprechen. Diese Rituale wurden am häufigsten in Wales, oder an deren Grenzen praktiziert.
Dieses Ritual verfügt aber auch über ein spezielles System.
Je nach Sünde – präsentiert sich dann auch die jeweilige Speise. Das kann ein
Brot sein, Gemüse, oder Obst, aber auch ein deftiger Braten steht hier auf dem
Speiseplan.
Der vorliegende, historische Roman von Megan Campisi –
„Sünde“ verarbeitet das Thema in einer spannenden und sprachlich
ausdrucksstarken Geschichte.
England, 16. Jahrhundert: Als Anna Owens beim Stehlen eines
Brotlaibs erwischt und verhaftet wird, ahnt sie nicht, dass die Suche nach der
nächsten Mahlzeit künftig ihre geringste Sorge sein wird. Die Waise wird dazu
verurteilt, eine Sündenesserin zu werden. Von der Gesellschaft geächtet und zum
Schweigen verdammt, ist es fortan Annas Aufgabe, Sterbenden die letzte Beichte
abzunehmen und deren Sünden so in sich aufzunehmen. Als ausgerechnet die Zofe
der Königin schwer erkrankt, wird Anna an deren Sterbebett gerufen. Dabei kommt
ihr ein Gerücht zu Ohren – ein Gerücht über ein ungeheuerliches Verbrechen, das
bald weitere Tode fordert und auch für Anna zur Gefahr wird …(Verlagsinfo)
„Sünde“ kann für viele Leser eine sprachliche
Herausforderung sein. Megan Campisi hat ihren ganz eigenen erzählerischen Stil,
an dem man sich erstmal gewöhnen muss. Atmosphärisch zeigt sich der Roman
insgesamt von einer sehr düsteren Seite. Die Einleitung kann man
vielleicht auch mit dem Wort „Hoffnungslos“ beschreiben. Die Welt und die
Zukunft der jungen Waise Anna Owens verflucht sie zu einem Leben der
Stigmatisierten, ähnlich wie der eines Henkers, Abdeckers usw. wird sie zu
einer Ausgestoßenen. Hunger wird Ihre kleinste Sorge sein – die soziale
Ausgrenzung ihre größte. Sie geht nach ihrer Verurteilung zur „Sündenesserin“
in die praxisnahe Ausbildung bei Ruth, die das gleiche Schicksal hat.
Spannend wird „Sünde“ durch das Schicksal der Hauptfigur,
nicht unbedingt durch das verhängnisvolle Geheimnis, mit dem sie konfrontiert
wird. Ihre Welt spiegelt ihr alles an Neid, Angst, Misstrauen, Gier und tiefen
Augenglauben wieder – und sie steht mitten drin, ohne einen Ausweg zu finden.
Durch ihren „Fluch“ sieht sie viel Leid, viel Angst, sie lernt viele kleinere
und größere Geheimnisse kennen. Zugleich lernt sie gezwungenermaßen auch, das
Leben und dessen begrenzte Zeit zu schätzen.
Ihre Figur trägt die ganze Story auf ihren schmalen, jungen
Schultern und das macht sie wirklich gut.
Erzählt wird ihre Geschichte aus ihrer eigenen
„Ich-Perspektive“, sodass der Leser unmittelbar in ihrem Kopf und in ihren
Gedanken steckt.
Megan Campisi`s Debüt ist gelungen. Erzählerisch ist Ihre
Sprache und der Fokus auf nur eine Person etwas befremdlich. Ebenso gibt es
keine Nebengeschichten, oder Personen, die die Story mittragen. Etwas
eindimensional und ausbaubar in jedem Fall. Ich bin gespannt auf die nächsten
Bücher der Schriftstellerin.
Fazit
„Sünde“ ist damit ein kleiner Geheimtipp. Eine dunkle Welt
des Aberglaubens, der Negativität – aber alles in einer spannenden,
persönlichen Atmosphäre.
Michael Sterzik
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