Sonntag, 10. Februar 2008

Der Feind - Rezi von M.Sterzik


In den Zeiten des globalen Terrorismus verfolgen die Geheimdienste der Länder ihre ganze eigenen Interessen und operieren umso mehr in einer Grauzone der Gesetzgebung. Die Männer und Frauen der Geheimdienste leisten oftmals gefährliche Arbeit und tragen ein enormes Risiko für Leib und Leben, aber auch ihre nächsten Angehörigen, ihre Freunde, Bekannten und Verwandten und nicht zuletzt die Ehepartner und Kinder sind gefährdet, sollte jemals irgendeine feindliche Fraktion die eigentliche Identität aufdeckt.
Ihre tagtägliche Arbeit verlangt vieles diesen Menschen alles ab, die in besonderem Maße die Ideologie eines Staates vertreten und ausüben. In Geheimdiensten gibt es keine Moral, keine Ethik, erst recht kein Gut und Böse, keine Gesetze, hier regieren oftmals die politischen und religiösen Wahnvorstellungen, die unberechenbar sind.Der Preis dafür kann gelegentlich zu hoch dafür sein. Persönliche Opfer müssen gebracht werden, auch dessen sind sich diese Männer und Frauen bewusst.
Ihre Arbeit bleibt im Verborgenen, ihr Lohn kann die Rettung von Menschenleben sein, aber an die Öffentlichkeit werden solche Aktionen niemals gelangen. Es sei denn, es geht etwas Grundlegendes schief, dann wird es unangenehm und ungemütlich, denn nicht immer stehen die Regierungen und Staatsoberhäupter verantwortungsvoll hinter ihren Geheimdiensten.Der amerikanische Autor Vince Flynn erzählt in seinem aktuellen Roman "Der Feind" sehr eindrucksvoll von den Risiken und Gefahren eines solchen Geheimdienstlers.Die StoryMitch Rapp ist seit etwa 15 Jahren aktiv in einer paramilitärischen Einheit der CIA tätig.
Sein Aufgabengebiet hat sich seit 9/11 auf die Aufspürung und Liquidierung von Terroristen spezialisiert. Er ist ein Spion, ein staatlicher Auftragskiller mit vielen Erfolgen, die er vorzuzeigen hat, aber genauso ist er liebender und besorgter Ehemann.Sein Privatleben versucht er, so weit es ihm möglich ist, abzuschirmen, aber seine Frau Anna Rielley ist sich der Risiken, denen ihr Mann ausgesetzt ist, durchaus bewusst. Genauso gut weiß sie auch, dass der Geheimdienst allzu oft ein Spielball der politischen Interessen sein kann, schließlich ist sie als bekannte NBC-Korrespondentin für das Weiße Hause sprichwörtlich immer im Bilde.
Rapp ist sich der Tatsache bewusst, dass er sich mit seinen Aktionen eine respektable Zahl von Feinden geschaffen hat, die ihn gerne beseitigt sehen möchten. Deshalb reagiert er anfänglich auch nicht sonderlich verängstigt oder vorsichtig, als er von einem befreundeten Geheimdienst hört, dass auf seinen Tod ein Preis ausgesetzt worden ist. Fast schon zur Routine gewordene Drohungen aus der fundamentalistischen Welt des Islams bringen den altgedienten und erfahrenen Agenten nicht mehr aus der Ruhe.Doch diesmal liegen die Dinge anders. Ein saudiarabischer Prinz hat persönliches Interesse daran, Rapp zu töten, und setzt eine phänomenale Geldsumme als Preis aus, zudem wendet er sich an einen früheren Stasi-Agenten, der sich offiziell zur Ruhe gesetzt hat und nun demjenigen dient, der am besten für seine Fähigkeiten bezahlt. Doch dieser will sich seine 'sauberen' Finger nicht selbst mit Blut beschmutzen und beauftragt seinerseits das wohl gefährlichste Duo in seiner Branche, das den Preis noch einmal neu festlegt und nach seinen eigenen Regeln kooperiert.
Inzwischen gibt es in der CIA und der Regierung interne Probleme zu lösen, die vielleicht dazu beitragen, dass Rapp die Gefährlichkeit seiner Situation falsch einschätzt; hinzu kommt noch die überraschende Feststellung, dass er in wenigen Monaten Vater werden wird.Claudia und Louie - das Paar, welches das Attentat ausführen wird - bereiten sich minutiös auf ihren Einsatz vor. Sie haben jahrelange Erfahrungen vorzuweisen, was das Töten von Menschen angeht, ihr Fehlerquotient bewegt dabei sich gen null. Mit diesem letzten Auftrag, der ihnen verlockend viel Geld einbringen soll, möchten sie ihr gewaltreiches Leben für immer hinter sich lassen und sich eine Existenz aufbauen. Claudia erwartet wie Anna Rielley auch ihr erstes Kind; sie ist gegen die Tötung von Mitch Rapp, den sie auf der Seite der Guten sieht, doch Louie, der als derjenige Mann gelten möchte, der Rapp getötet hat, und das Geld als Hilfe für ein neues Leben ansieht, kann seine Freundin überzeugen, diesen letzten Job anzunehmen.
Das Attentat gelingt scheinbar, das Haus von Mitch Rapp und seiner Frau Anna Rielley wird bei einem Bombenanschlag, der als Gasunfall getarnt wird, vollständig zerstört. Anna Rielley stirbt in den Trümmern ihres Hauses, ihr Mann Rapp überlebt zufällig das Attentat, wird aber selbst schwer verletzt. Im Krankenhaus erholt sich Rapp von seinen Verletzungen; er dämmert dort in unbändiger Wut und verzweifelter Trauer um den Verlust seiner geliebten Frau und seines ungeborenen Kindes.Die Regierung und die CIA befürchten einen Rachefeldzug von Rapp, der die ohnehin schon angespannte diplomatische Situation zu den Ländern des Islams eskalieren lassen und zu einem wahren Flächenbrand ausufern könnte. Aber auch zwischen den beiden Killern eskaliert die persönliche Lage - Claudia, von der Schwangerschaft beeinflusst, hat Angst davor, dass sich Mitch Rapp rächen könnte, und tatsächlich schmiedet dieser mit Unterstützung von Freunden und stiller Akzeptanz der Regierung und der CIA ganz eigene Rachepläne.
Kritik
Vince Flynn hat mit seinem sechsten Roman "Der Feind" aus der Reihe um Mitch Rapp eine sehr vielschichtige und auch mit Tiefgang versehene Geschichte erzählt. Die politische Situation der Vereinigten Staaten wird dabei nicht zu ausgreifend einbezogen, die nicht zu leugnende Fahrlässigkeit eines "Krieges gegen den Terror", wie er derzeit ausgefochten wird, aber auch nicht verklärt. In diesem Roman spielen dafür die Einzelschicksale der Protagonisten die wesentliche Hauptrolle.Die Intrigen innerhalb einer geheimdienstlichen Organisation werden ebenso analysiert wie die Frage nach dem Macht- und Verantwortungsbewusstsein und die Direktive des Präsidenten innerhalb seines Stabes, umringt von politischen Beratern. Wer Macht besitzt, setzt sie ein und wird diese kampflos auch nicht wieder aufgeben wollen; eine grundsätzliche Moral, wie wir Außenstehende sie vielleicht voraussetzen, wird nicht gelebt. Politik und Geheimdienste laufen nicht immer systematisch zusammen, sie bewegen sich oftmals konträr gegeneinander. Wie im Roman selbst der Präsident der USA schon sagt, gab es vor ihm schon die CIA, es gibt sie während seiner Amtsperiode und schließlich wird es sie auch noch nach seiner Regierungszeit geben. Mit jedem Wechsel an dieser Position werden die Interessen neu strukturiert und die Geheimdienste passen sich diesen einfach an.Zweiter wichtiger Ansatzpunkt in diesem Roman sind das Leben der Auftragskiller und das tägliche Miteinander.
Allein das Wort 'Killer' assoziiert etwas sehr Negatives; dass aber diese Charaktere ein Privatleben haben, mit den Sorgen, den Nöten und Ängsten jedes anderen Menschen auch, überlegt sich der Außenstehende selten. Und gerade an dieser Stelle setzt der Autor an und macht sich grundlegende Gedanken über das Seelenleben seiner Figuren.Die Dialoge zwischen Claudia und Louie sind höchst aufschlussreich und vermitteln einen grundlegenden Dialog, der sich parallel zur Handlung konsequent ausbaut. Die Personen, obgleich sie töten, sind nicht neutral oder emotionsfrei, auch nicht zu dem Zeitpunkt, als sie den letzten schicksalhaften Aufrag annehmen. Sie wären es gerne, würden gerne ideologisch zwischen den Welten stehen, aber das tun sie nicht. Ihre Kaltblütigkeit, die in solch einem Beruf von absoluter Notwendigkeit ist, beginnt zu bröckeln, ihre Menschlichkeit wird von Auftrag zu Auftrag größer, ständig hinterfragen sie ihre Aktionen und werden skeptischer und dabei nicht gerade vorsichtiger.Ihre Menschlichkeit berührt. Ihre Entschlossenheit und letztlich ihre Schwäche, ihr Eingeständnis, vielleicht doch etwas Falsches getan zu haben, verstärkt sich noch mehr, als sie begreifen, dass Rapps Frau schwanger war. Sie zu töten, war nicht vorgesehen, in der Branche würde man sagen, es handelte sich um einen Kollateralschaden.
Aber der Tod hat nun mal einen endgültigen Charakter.Auch die Person von Mitch Rapp ist vielschichtig angelegt; zwar wird auch er in den Anfängen als eiskalter Killer geschildert, doch hat er scheinbar sein Herz am rechten Fleck. Seine Frau Anna, der gute Engel ihrer Partnerschaft, hat ihn wohl dahingehend erzogen, Herz zu zeigen, sich privat von den Gräueln seines Berufes abzuwenden.
Vince Flynn hat mit dieser Konstellation einen sehr spannenden Agentenroman verfasst. Sicherlich wirkt der Plot zunächst recht eindimensional, doch das ist er nicht. Die Inhalte sind anders als oft in diesem Genre nicht nur im Bereich der Action anzusiedeln, vielmehr besteht die Fortschreibung der Geschichte aus greifbaren und gut in Szene gesetzten Dialogen. Sicherlich wird die brutale Sichtweise der Attentate bis ins kleinste Detail geschildert, doch kann der interessierte Leser durchaus etwas über die Arbeitsweise von Auftragskillern erfahren, noch mehr aber über die Psychologie der Täter.Die Botschaft des Buches könnte auf den ersten Blick lauten: Auge um Auge, Zahn um Zahn, doch der Verlauf der Geschichte ist vielschichtiger. Wichtig ist auch, dass Rapp begreift, zwischen den Tätern zu unterscheiden; mit seinem persönlichen Schicksal sieht er seine Position aus der radikalen Perspektive eines Angehörigen und nicht derjenigen des Killers, der er nun einmal auch ist.
Vince Flynn entwirft einen fiktiven Realismus, der bestechend und eindrucksvoll in Szene gesetzt wird. Sicherlich verurteilt auch er den Terrorismus dabei, doch leider nur recht einseitig - die Bösen sind für ihn ganz klar die arabischen Staaten mit ihrer verklärten und getrübten Sicht des Islams; zweifelsfrei ein Manko dieser Geschichte. Doch ein wichtiges Augenmerk der Geschichte - die analytische Erörterung in den Dialogen zwischen den einzelnen Personen und Fraktionen und jenen des Killerpaares - rettet den Roman vor einem durchschnittlichen Gesamteindruck. Am Ende fragt man sich wirklich, wer der Feind ist, oder ob man ihn selbst gedanklich produziert, ohne es bewusst zu wollen. Nimmt man selbst dabei eine gewisse Form des Terrorismus in Kauf?
Fazit.
Ich kann "Der Feind" allen Freunden des Genrebereiches Agenten, Spionage und Terrorismus außerordentlich empfehlen. Der Roman weist sicherlich Ähnlichkeiten mit jenen aus der Feder eines Robert Ludlum auf, doch stehen hier die Dialoge gleichwertig mit der Action im Vordergrund. Wesentlich ist hierfür eine gekonnte Mischung aus Fakten, Fiktion und menschlichen, verletzbaren Figuren, die man nicht in ein Klischee einzuordnen vermag. Die Lektüre hat Freude bereitet und ich habe mit den Figuren gelitten und gekämpft, nicht nur mit den 'guten' Charakteren. Jede Figur hat ihre eigene Motivation und ihren eigenen Antrieb, und das kommt hier brillant und bedeutungsvoll zur Geltung.
Der Autor:
Vince Flynn, geboren 1966 in St. Paul, Minnesota, arbeitete in der PR-Branche und verbrachte einige Zeit im US-Elite-Corps der Marines, in dem er Kampfpilot werden wollte. Bald entdeckte er jedoch seine wahre Leidenschaft und eroberte mit dem Schreiben hochaktueller Politthriller die Bestsellerlisten. Für die TV-Serie "24" ist er seit 2005 als Berater tätig. Mit seiner Frau und drei Kindern lebt er in Minneapolis. Alle seine Romane erscheinen bei Heyne.http://www.heyne.de/
Michael Sterzik [09.02.2008]



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