Montag, 8. Juni 2009

Shantaram - Gregory David Roberts

Bombay – die indische Millionen Metropole wie sie noch bis 1996 hieß und anschließend bekannt als Mumbai wurde, ist eine multiethnische und multikulturelle Stadt und eine der größten und sicherlich auch faszinierendsten der Welt. Unzählige Volksgruppen und Menschen aus vielen anderen Nationen aus Europa, Amerika und auch Asien haben ihre Spuren hinterlassen und prägen und entwickeln diese Metropole laufend weiter.

Mit seinen Hafen ist er einer der wichtigsten wirtschaftlichen Dreh- und Angelpunkt für Im- und Export und deswegen zur Hauptstadt des Handels geworden. Als einer der größten Städte der Welt gibt in Bombay natürlich auch die größten Probleme; inmitten der Stadtteile reihen sich wohlhabende Siedlungen gleich an die zahlreichen Slums an, die mal größer, und mal kleiner werden, sofern diese von den Stadtoberen akzeptiert werden.

Wie auch die Wirtschaft floriert auch die Kriminelle Organisation. Wo es offensichtlichen Reichtum gibt, der gerne auch zur Schau gestellt wird, so gibt es hier auch Armuts- und Elendsviertel, die von Bossen beherrscht werden. An Humanitäre Hilfe in den Slum mangelt es an jeder Ecke; Drogen beherrschen hier den Handel und das (Über)leben in der Unterwelt. Medikamente und ärztliche Versorgung ist der privilegierten Gesellschaft vorbehalten, so dass es hier ganze Viertel gibt, in denen durch Krankheit die zu Tode verurteilten ein jämmerliches Dasein fristen.

Indien ver- und bezaubert, im Gegensatz zu Europa und dem amerikanischen Kontinent, begleitet uns die Aura des Landes wie ein Märchen. Ihr Leben, Ihr Denken und Handeln ist so ganz anders als wie wir es kennen. Betrachten wir es mit einem philosophischen Auge so verflüchtigt sich schnell unser romantisiertes, von Vorurteilen geprägtes Weltbild. Für manche Menschen ist das Leben mit all seinen Entbehrungen und Gefahren die dort leben wollen eine Überraschung denn nach einiger Zeit relativieren sich die Träume und der Aufschlag auf den Boden der Tatsachen könnte recht schmerzhaft sein.

Indien ist so weit entfernt, dass es für flüchtige Verbrecher wie ein Paradies wirkt. Der Einfluss nationaler und internationaler Gerichtsbarkeit, sowie die Verfolgung durch Staatsanwalt und Polizei ist gering bis gar nicht vorhanden.

Gregory David Roberts hat in seinem Roman „Shantaram“ ein raues, aber zugleich umfassendes, faszinierendes Bild dieser Metropole gegeben, und dabei einen leidenschaftlichen Roman verfasst.

Inhalt

Lindsay ein junger Australier hat zwei Jahre seiner langjährigen Haftstrafe in einem Hochsicherheitsgefängnis verbracht, als ihm seine spektakuläre Flucht gelingt. Lindsay hat alles verloren, Frau und Kind, seinen Job. Diese Schicksalsschläge haben ihn mit Drogen und Verbrechen konfrontiert, eine Spirale die im Gefängnis endete.

Um internationalen Fahndern zu entkommen flüchtet Lindsay mit falschen Papieren ausgestattet, nach Bombay. Die Indische Kulturhauptstadt, diese scheinbar völlig neue Welt wirkt verstörend und anfangs fremd auf ihn. Durch Zufall lernt er den jungen Inder Prabaker kennen, der zuerst als Fremdenführer Lindsay die schillernde und übergroße Stadt zeigt und erklärt. Als gestrandeter lernt er andere Menschen kennen die in Bombay ähnlich wie er selbst, einen Neuanfang suchen. Lindsay wird durch Prabaker der inzwischen sein Freund geworden ist in die ungeschriebenen Gesetze der Stadt und dessen Unterwelt eingeführt. Er lernt einflussreiche Menschen aus dem Drogenmilieu kennen, die die Stadt mit beherrschen und regieren. Alle scheint miteinander verwoben zu sein, jeder macht in seiner Welt Geschäfte und ist abhängig voneinander, dies zu durchschauen wäre ohne die Hilfe des jungen Inders ein unmöglich.

Lindsay baut sich eine Familie auf mit vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten die bald alles für ihn sind. Da ist Karla, eine bildhübsche aber kalte Frau mit Schweizer Wurzeln in die er sich verliebt. Auch einflussreiche Männer aus Bombays Unterwelt begleiten den jungen Mann und er entwickelt zu diesen kriminellen Männern ein tiefsinniges, fast schon väterliches Verhältnis.

Prabaker der spürt, dass Lindsay auf seine Art hin „verloren“ ist, führt ihn in seine Familie ein in der dieser wie ein Sohn aufgenommen und akzeptiert wird. Diese Zeit prägt den jungen Mann, und lässt ihn über seine Vergangenheit und seine vielen Möglichkeiten der Zukunft nachdanken. Prabaker ist es auch der Linbaba wie er jetzt genannt wird, sein eigenes Haus vermittelt. Inmitten der Slums lernt Lin Menschen kennen die obgleich ihrer Nöte und Sorgen füreinander einstehen, leben und Verantwortung übernehmen. Diese Exotische Welt birgt viel Gnadenlosigkeit, aber auch viel Hoffnung für die dort lebenden Menschen die in Baracken hausen, die notdürftig aus Blech, Plastik und Holz, eher schlecht als recht bestehen.

Lindsays neue Heimat wird wenig später zum Teil durch ein Feuer vernichtet, viele Menschen werden durch Flammen und Rauch verletzt und durch seine Medizin- und Erste Hilfe Kenntnisse wird Lin schnell zum Arzt in diesem Slum. Doch auch hier ist er abhängig von der Unterwelt und den Bossen, die die Slums regieren und mit Nahrungsmitteln und Medikamenten versorgen. Obwohl Lin der keine medizinischer Ausbildung genossen hat, wird er von den Menschen schnell als Slumarzt akzeptiert. Seine Praxis ist Anlaufstelle für die vielen Verletzten und Kranken die ihn in immer größerer Anzahl aufsuchen, ebenso wie die vielen Leprakranken die in eigenen Slums, etwas abgegrenzt wohnen. Lin wird zu „Shantaram“ wie ihn Prabaker tauft – ein Mann des Friedens.

Durch seine Naivität und nicht zuletzt durch seine ominösen Verbindungen zur Unterwelt wird Lin verraten und wird in Bombays gefürchtetes Arthur Road Gefängnis gesteckt. Dort wird er brutal gefoltert, und fast zerbrochen....

Als Lin durch einen einflussreichen Unterwelt Boss aus dem Gefängnis herausgeholt wird, verfolgt Lin das alleinige Ziel sich an den jenigen zu rächen der für seinen Gefängnisaufenthalt verantwortlich ist....

Kritik

Selten hat ein Autor Bombay ein so intensives Gesicht verliehen wie es Gregory David Roberts geschafft hat. Roberts weiß auch wovon er schreibt, denn die Person „Shantaram“ oder Lindsay ist er selbst. „Shantaram“ ist seine Biografie, und seine Erlebnisse hat er in diesem Roman verarbeitet.

Der Leser erlebt den Alltag Bombays. Die exotische Stadt hat viele Facetten, wir erleben in den Slums, Drogen, Alkohol, familiäre Gewalt. Krankheit, Armut und medizinischen Missstände. Die Gesellschaftlichen und sozialen Schichten mit der ihrer ungeschriebenen Hierarchie begegnet uns ebenso wie die vielen Sorgen und Nöte der in den Slums wohnenden Menschen. Der Autor lässt uns aber auch an philosophischen Gedanken der Protagonisten teilhaben, wenn ich Männerrunden oder in Dialogen zweier Personen über verschiedene Themen diskutiert wird.

Die Atmosphäre von „Shantaram“ ist eine besondere. Der Leser taucht ein die Metropole Bombays, in die Straßen der Slums und in die Gedankenwelten der Protagonisten.

Der über 1088 Seiten Umfangreiche Roman bietet spannende Literatur, der den Leser schon ab den ersten Seiten in Bombays Atmosphäre katapultiert. Die Protagonisten zwar zahlreich, sind so grandios konzipiert, dass man mit diesen Figuren leidet, wütend und verzweifelt ist, und zugleich einen tiefsinnigen Schauer empfindet, folgt man den Dialogen die wirklich etwas darstellen, da diese fast niemals belanglos und langweilig sind. Hinter jeder Szene steckt viel Gefühl und führt uns in Gedanken in Regionen die wir gar noch erforscht haben.

Philosophisch interpretiert geht es in „Shantaram“ immer um „Liebe“. Der Fokus der Liebe zu anderen, zu sich selbst, zu etwas höheren, zu einer Aufgabe – Liebe verfolgt den Leser durch alle Kapitel. Das Lindsay oder Linbaba, oder Shantaram wie er genannt wird, von einem Schicksalsschlag gleich in den nächsten geschubst wird, ist nicht unglaubwürdig erzählt. Das Tempo in „Shantaram“ ist nicht überdimensioniert, es überfährt den Leser nicht, aber lässt ihn auch nicht zru Ruhe kommen.

Spannend ist die Haupthandlung wie kaum eine andere, aber hier wird diese nicht durch Gewalt und Action in ein festes Korsett geschnürt, sondern weil die liebevollen Figuren in dem Roman kostbar und individuell Leben, Dramatik, Philosophie und auch Gewalt einhauchen.

Der „Guru“, der sensible und etwas schlitzohrige Prabaker ist eine Figur die man fast schon lieber gewinnt als den Hauptprotagonisten Lindsay. Seine Botschaften, ob versteckt oder wirklich mit dem imaginären Zeigefinger hindeutend sind nicht ohne Humor und auch nicht ohne Hintergedanken. Ohne Prabaker wäre Lindsay „verloren“ gewesen, in psychischer wie auch physischer Weise. Selten erlebt man in Geschichten derartige Figuren die man faszinierend verfolgt, obwohl diese Nebenfiguren sind, aber nicht im Schatten der Schlüsselgestalt stehen.

Karla in der sich Lindsay Hals über Kopf verliebt und sich benimmt wie in den Anfängen der Pubertät, ist nicht nur schön an Gestalt sondern auch sensibel, verletzbar und gerade wegen letztern, eiskalt. Bindungen und Gefühle will sie sich nicht stellen, sie scheut die Verantwortung, doch bringt sie es so schonend und plausibel bei, dass man ihre Beweggründe logisch und auch emotional nachvollziehen kann.

Fazit

„Shantaram“ ist ein epischer Roman, ein wunderbarer Exot in der literarischen Welt der Leidenschaftlich versucht die „Liebe“ in Worte zu fassen und dem es auch gelingt. Zwischen den Zeilen und den vielen Handlungen gibt es so viel Wissenswertes und imposantes zu erleben, dass jedes Gefühl egal ob nun freudig oder traurig, ausgelebt werden kann.

„Shantaram“ ist auch oder gerade deswegen so faszinierend weil der Schöpfer – der Autor Gregory David Roberts, seine Geschichte autobiografisch erzählt und dabei nicht nur sein „altes Ego“ sondern auch sich selbst entdeckt und lieben lernt.

Indien, nicht das Indien der Kolonialzeit hat mit „Shantaram“ ein umfassende Perspektive bekommen, mit vielen Blickwinkeln und vielen Persönlichkeiten die uns manchmal wie ein Spiegel vor Augen gehalten wird und wir uns wiedererkennen. Wenn Geschichten Emotionen in uns wecken uns unsere Menschlichkeit bewusst machen, so sind diese mehr wie wertvoll und bedingungslos zu empfehlen.

Die Filmrechte von „Shantaram“ sind längst verkauft, gesichert hat sie sich Johnny Depp. Und eines ist schon jetzt sicher: „Shantaram“, die Geschichte lebt von ihren Charakteren und ihren Schicksalen. Ein Roman, vielleicht auch später ein Film an den man sich erinnern wird und ganz klar auf eine Fortsetzung warten wird.

„Shantaram“ ist Tragik, Dramatik und Liebe in Persona.

Michael Sterzik



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

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