Freitag, 20. Januar 2012

Ich habe den Todesengel überlebt - Ein Mengele-Opfer erzählt (Eva Mozes Kor)


"Dreimal in der Woche gingen wir in das Hauptlager von Auschwitz zu Experimenten. Diese dauerten sechs bis acht Stunden. Wir mussten nackt in einem Raum sitzen. Jeder Teil unseres Körpers wurde vermessen, betastet, mit Tabellen verglichen und fotografiert. Auf jede Bewegung wurde geachtet. Ich fühlte mich wie ein Tier in einem Käfig. Dreimal in der Woche gingen wir ins Blutlabor. Dort wurden uns Keime und Chemikalien injiziert, und sie nahmen uns viel Blut ab."
- Eva Mozes Kor: Heilung von Auschwitz und Mengeles Experimenten


Die Konzentrationslager im Dritten Reich, in Nazi-Deutschland, sind ein Schrecken, eine Mahnung an weitere Generationen und ein Beweis für ein Verbrechen, das in der Geschichte beispielslos ist. Mit dem Holocaust verbinden wir die Ermordung von sechs Millionen Juden und unzähligen Menschen, die aufgrund von Krankheiten, Behinderungen oder aufgrund von anderen ideologischen Gedanken grausam getötet wurden.

Doch es gab noch grausamere Schicksale als das Endgültige und die für viele Menschen willkommene Erlösung durch den Tod. Unter der Leitung von deutschen Ärzten wurden an lebenden Menschen medizinische Experimente durchgeführt. Es ging hier nicht primär um die Entwicklung von lebensrettenden Medikamenten, sondern um die Erforschung von Infektionen und Krankheiten sowie um das Erreichen, sauberes Erbgut zu produzieren. In Auschwitz wurden kleinere Lager und Sektionen eingerichtet, um gerade Zigeuner- und jüdische Kinder zu selektieren und gesondert unterzubringen.

Dr. Josef Mengele, ein charismatischer, höflicher und gut aussehender Arzt, übernahm die Leitung in Auschwitz-Birkenau. Ehemalige Häftlinge beschrieben Dr. Mengele immer als gut gekleidet, höflich und zuvorkommend. Trotzdem war er ein Mörder, der für Zehntausende Opfer verantwortlich war, die er durch medizinische Experimente und Versuche umgebracht hat. Er war ein eiskalter Todesengel, der schon beim Eintreffen von neuen jüdischen Familien durch seine persönliche Selektion über Tod oder Leben entschied.

Besonders die medizinische Forschung an ein- und zweieigen Zwillingen war eines seiner größten Interessengebiete. Die Erforschung des identischen Erbgutes war zu der Zeit das interessanteste Thema, um sich vielleicht in medizinischen Gesellschaftskreisen profilieren zu können.


Die jüdische Überlebende Eva Mozes Kor, die zusammen mit ihrer eineiigen Zwillingsschwester Miriam in Auschwitz interniert war, erzählt in ihrem Buch "Ich habe den Todesengel überlebt" von ihrer lebensgefährlichen Zeit, in der das Zwillingspaar missbraucht worden ist.

Sehr eindringlich erzählt die überlebende Autorin ihre, noch anfänglich unbekümmerte Kinderzeit, die sich immer weiter durch Verfolgungen und Bedrohungen verschlimmerte. Sie schildert die Ankunft in dem KZ, die letzte Begegnung mit ihren Eltern und Geschwistern die es nicht überlebt haben. Der Alltag in den Fabrikanlagen des Todes ist menschenverachtend, die Glücklichen sterben als Erste, die anderen, besonders Kinder, sind oftmals nur "Meerschweinchen" für die dortigen Ärzte.

Eva Mozes Kor transportiert ihre Erlebnisse, ohne zu dramatisieren. Erzählt von anderen Kindern, die nicht überlebt haben, von Versuchen an ihr und ihrer Schwester, die so morbide grausam klingen, dass es unmöglich ist, Dr. Mengele noch als Mensch bezeichnen zu können. Doch sie verurteilt oder beurteilt diesen Mann nicht, sie berichtet nur aus ihrer eigenen Wahrnehmung und Perspektive.

Bezeugt werden Experimente mit Injektionen von Fremdstoffen und Krankheitserregen, mit Bluttransfusionen und chirurgischen Eingriffen, die ohne Narkose durchgeführt wurden. Mengele tötete oder beauftrage andere Ärzte, er war der Tod in Person.

Eva und Miriam überleben die Tortur in Auschwitz. Evas Schwester allerdings ist schwer krank und stirbt an den Folgen der Experimente 1993. Die Autorin erzählt von den Jahren später, erzählt von ihrer Übersiedlung ins Gelobte Land Israel. Doch das Grauen und die Ereignisse kann sie nicht vergessen. Mithilfe der Jugendbuchautorin Lisa Rojany Bucceri gelingt es ihr, das erlebte Grauen auf Papier zu bringen. Es ist ihr Nachlass, es ist ihre Mahnung und es auch eine Botschaft vergeben zu können.

Sie ist eine der letzten Zeitzeugen und erzählt gerade auch für jugendliche Leser ihre Lebensgeschichte, ohne  mit künstlichen zu dramatisieren.

Das Buch "Ich habe den Todesengel überlebt - Ein Mengele-Opfer erzählt", ist berührend und authentisch und gerade auch für Schulklassen, die den Holocaust im Geschichtsunterricht behandeln, äußerst empfehlenswert.

Am Ende gibt es neben einigen Bildnachweisen noch eine chronologische Zeitleiste und ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen, die auch in diesem Buch vorkommen.

Ich habe größten Respekt vor der Autorin, die betont, dass das Vergeben wichtig sei, aber man nicht vergessen dürfte, was den Kindern und natürlich auch den anderen Opfern des Nazi-Regimes angetan wurde. Körperliche Wunden heilen, doch seelische Narben schmerzen für immer.


Fazit

"Ich habe den Todesengel überlebt - Ein Mengele Opfer erzählt" von Eva Mozes Kor und Lisa Rojany Bucciere ist eine wahre Geschichte, die man gelesen haben sollte.

Als Erinnerung an ihrer Schwester, als Mahnung und als Botschaft vergeben und vergessen zu dürfen, hinterlässt und die Autorin ein Plädoyer für den Willen zu überleben.

Eines der ganz wichtigen Bücher in diesem Jahr und für alle jugendlichen Leser eines, das man gelesen haben sollte.


Autoren

Eva Mozes Kor (geborene Eva Mozes; * 30. Januar1934 in Portz, Rumänien) ist eine Überlebende des Holocaust und wurde zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Miriam von Josef Mengele für Experimente in der Zwillingsforschung missbraucht. Sie löste kritische Reaktionen bei anderen Holocaust-Überlebenden aus, als sie am 50. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz persönlich allen Nationalsozialisten ihre Taten vergab.
Kor wurde 1944 mit ihrer Familie nach Auschwitz deportiert und erhielt die Gefangenennummer A-7063. Ihre Eltern und die zwei älteren Schwestern starben in den Gaskammern. Sie und ihre Zwillingsschwester aber überlebten die grausamen Experimente und kehrten nach dem Krieg nach Rumänien zurück. 1950 siedelten beide nach Israel über und traten später der israelischen Armee bei. Den Amerikaner Michael Kor, ebenfalls ein Überlebender der Konzentrationslager, heiratete Eva Mozes im Jahr 1960 und zog nach Terre Haute in Indiana, wo sie noch heute lebt.

Kor gründete die Children of Auschwitz-Nazi's Deadly Lab Experiments Survivors (C.A.N.D.L.E.S.) und konnte bisher 122 Überlebende der Zwillingsexperimente ausfindig machen. Sie kämpft bis heute darum, die medizinischen Folgen und Hintergründe der Versuche in Erfahrung zu bringen - nur so können die Opfer hinreichend behandelt werden.

Die Filmemacher Bob Hercules und Cheri Pugh begleiteten Kor über Jahre hinweg mit der Kamera, woraus der Film "Forgiving Dr. Mengele" entstand.

Lisa Rojany Buccieri hat über 100 Kinderbücher verfasst, darunter auch mehrere Bestseller und preisgekrönte Werke. Sie arbeitet zudem als Lektorin und ist seit mehr als 20 Jahren in der Branche tätig. Lisa Rojany Buccieri lebt mit ihrer Familie in Los Angeles.


Taschenbuch: 224 Seiten
ISBN-13: 978-3570401095

www.randomhouse.de/cbjugendbuch
Michael Sterzik





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