Inhalt
Rothenburg ob der Tauber, um
1540. Maria wächst als Henkerstochter auf. Als ihr Vater sie zum ersten Mal zu
einer Hinrichtung mitnimmt, wendet sie sich mit Grausen ab. Als Tochter eines
«Unehrlichen» meidet man sie; doch sie genießt auch viele Freiheiten. Wie ihre
Brüder lernt sie Lesen und Schreiben, und wenn ihr Vater von der Heilkunde
erzählt, auf die er sich wie jeder Henker seiner Zeit versteht, ist sie sogar
stolz auf ihn. Marias Leben ändert sich von Grund auf, als sie im Alter von
achtzehn den Sohn und baldigen Nachfolger des Freiburger Henkers heiraten soll.
Maria beschließt zu fliehen – auch weil sie endlich herausfinden will, weshalb
ihre Eltern über die Herkunft ihrer Mutter schweigen …(Verlagsinfo)
Kritik
Mit dem Mittelalter
verbinden wir eine blutige und brutale Epoche. Man spricht von einer dunklen
Zeit, dem dunklen Mittelalter. Doch befasst man sich intensiver mit dieser
Thematik, so zeigt sich schnell, ein ganz anderes Bild. Nichtsdestotrotz gab es
in den Berufsgruppen unter den einfachen Menschen Tätigkeiten, die sozial
gesehen stark ausgegrenzt und verachtet, ja manchmal auch gefürchtet wurden.
Der Aberglauben und
natürlich die starke religiöse Bindung an die Kirche und ihren Glauben,
verbreiteten mit ihren Vorstellungen von Sünde und Fegefeuer eine Botschaft des
Schreckens.
Klerus und Adel, später dann
die Ratsherren und Patrizier (Kaufleute) waren hoch angesehen in der Bevölkerung.
Der soziale Bodensatz waren die Gerber, die Bettler und Beutelschneider, die
Spielleute und Hausierer.
In dieser feudalen
Ständeordnung, die es in fast allen Städten gegeben hat, bildeten diese Berufe
die soziale Randgruppe. Diese Menschen hatten wenig an persönlichen Besitz,
waren oftmals durch ihre Status darauf angewiesen, als Tagelöhner durchs Land
zu ziehen. Wer in solch eine Familie hineingeboren wurde, war zeit seines
Lebens darin festgehalten. Nur wenige Menschen versuchten selbstbewusst, hier
ihren eigenen Weg zu gehen.
Einer dieser unehrlichen
Berufe und vielleicht auch einer der einsamsten, mysteriösen, war der des
Henkers, Scharfrichters. Aberglauben, Vorurteilen und Ängste führten zu einer
Isolation dieser ohnehin schon sozial verdammten Randgruppe.
Die Autorin Astrid Fritz
beschreibt in ihrem aktuellen Roman: „Henkersmarie“, den Beruf des Henkers in
allen Facetten. Perfekt recherchiert, spiegelt die Autorin souverän und absolut
brillant wieder. Sie konzentriert sich allerdings nicht auf die blutige
Tätigkeit des Henkers, der ja nicht nur die Todesstrafe vollzog, sondern auch
foltern sowie in manchen Städten verendete Tiere usw. entsorgen musste. Das
Aufgabenspektrum war nicht klein, und so wurde die ganze Familie mit
einbezogen. In der Geschichte erzählt die Autorin viel über den Tagesablauf
einer Familie, erzählt dabei realistisch betrachtet, dass die Henker so nah sie
dem Gevatter Tod auch waren, das Leben liebten und auch durch ihre
Anatomiekenntnisse, oftmals die Pflichten und Fürsorge eines Apothekers, Baders
oder gar eines Arztes wahrnahm. Historisch gesehen verklärt die Autorin das
realistische Bild des Henkers nicht. Weder dramatisiert oder romantisiert sie
diesen Berufszweig. Im Grunde waren die Henker zumeist sehr intelligente und
gebildete Menschen, viele konnten lesen, rechnen oder sich rhetorisch gut
ausdrücken. Die überlieferten Schattenseiten, waren der Schmerz der bleibt,
wenn man ein Leben auslöschen muss. Vielleicht ist es leichter, wenn man genau
weiß, dass der Verurteilte den Tod verdiente, doch so ein posttraumatisches
Erlebnis hinterlässt immer seine Spuren. Alkoholismus, Selbstmord, frühe
Krankheiten oder auch selbst auferlegte Einsamkeit, versprachen kein biblisch
hohes Alter. Dieser psychologische Druck muss enorm gewesen sein.
„Henkersmarie“ wird aus
vielen Perspektiven erzählt. Primär steht die Tochter des Henkers im
Mittelpunkt der Geschichte. Als junges Mädchen, als Kind und später als junge
Frau erlebt diese Figur Höhen und Tiefen mit ihrer Familie. Von sozialer Ausgrenzung
und entgegengebrachten Hass, der ihre Familie erreicht, bis hin zu Verständnis,
wahrer Freundschaft und aufkeimender Liebe.
Parallel dazu erzählt die
Autorin, die klassischen Familienschwierigkeiten und lässt damit den Leser an
dem Leben der ganzen Familie teilnehmen. Der Drang und die Motivation aus
dieser Henkersfamilie auszubrechen, zieht sich als Grundgedanke durch die
gesamte Handlung. Sensibel und einfühlsam, dabei aber sich immer an
historischen Quellen anlehnend, entwickelt sich so die Geschichte und erzeugt
damit eine Spannung auf, die durchweg nicht an Fahrt verliert.
Wer hier im Detail grausige
und blutige Hinrichtungen erwarten sollte, dürfte enttäuscht werden. Im
Mittelpunkt stehen hier die wirklich sympathischen Figuren. Allerdings gibt es
kaum einen Charakter, der wirklich eindimensional den Part des Bösen übernimmt.
Eine bis fast bis Ende des Romans hin, mysteriöse Rolle spielt die Ehefrau des
Henkers. Doch der aufmerksame Leser wird über das Schicksal dieser Frau die
richtigen Rückschlüsse ziehen können. Als Inspiration hat die Autorin ein
historisch, belegtes Ereignis in ihrem Roman eingebaut.
Fazit
Es gibt nicht viele
kritische Punkte. Zum Ende des Romans hin flaut die Spannung allerdings ab und
wirkte auf mich als zu schnell erzählt. Einzelne Protagonisten wurden viel zu
schnell plötzlich von der Bühne genommen.
„Henkersmarie“ erzählt die
wundervolle, sensible und realistische Geschichte einer Henkersfamilie, die
inmitten einer Zeit spielt, die durch soziale Vorurteile und Ängste geprägt
wurde. Vergessen wir aber dabei bitte nicht, dass jede Entwicklung, jeder Drang
nach Individualismus und Verwirklichung seinen Preis hat.
In jedem Fall ist „Henkersmarie“
so spannend und scharf erzählt, wie ein Richtschwert, dabei sensibel und
detailverliebt erzählt. Ein großartiger und wirklicher historischer Roman, der
überzeugt und Spannung garantiert.
Michael Sterzik
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