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Donnerstag, 11. Juni 2015

Henkersmarie - Astrid Fritz


Inhalt

Rothenburg ob der Tauber, um 1540. Maria wächst als Henkerstochter auf. Als ihr Vater sie zum ersten Mal zu einer Hinrichtung mitnimmt, wendet sie sich mit Grausen ab. Als Tochter eines «Unehrlichen» meidet man sie; doch sie genießt auch viele Freiheiten. Wie ihre Brüder lernt sie Lesen und Schreiben, und wenn ihr Vater von der Heilkunde erzählt, auf die er sich wie jeder Henker seiner Zeit versteht, ist sie sogar stolz auf ihn. Marias Leben ändert sich von Grund auf, als sie im Alter von achtzehn den Sohn und baldigen Nachfolger des Freiburger Henkers heiraten soll. Maria beschließt zu fliehen – auch weil sie endlich herausfinden will, weshalb ihre Eltern über die Herkunft ihrer Mutter schweigen …(Verlagsinfo)



Kritik

Mit dem Mittelalter verbinden wir eine blutige und brutale Epoche. Man spricht von einer dunklen Zeit, dem dunklen Mittelalter. Doch befasst man sich intensiver mit dieser Thematik, so zeigt sich schnell, ein ganz anderes Bild. Nichtsdestotrotz gab es in den Berufsgruppen unter den einfachen Menschen Tätigkeiten, die sozial gesehen stark ausgegrenzt und verachtet, ja manchmal auch gefürchtet wurden.

Der Aberglauben und natürlich die starke religiöse Bindung an die Kirche und ihren Glauben, verbreiteten mit ihren Vorstellungen von Sünde und Fegefeuer eine Botschaft des Schreckens.

Klerus und Adel, später dann die Ratsherren und Patrizier (Kaufleute) waren hoch angesehen in der Bevölkerung. Der soziale Bodensatz waren die Gerber, die Bettler und Beutelschneider, die Spielleute und Hausierer.

In dieser feudalen Ständeordnung, die es in fast allen Städten gegeben hat, bildeten diese Berufe die soziale Randgruppe. Diese Menschen hatten wenig an persönlichen Besitz, waren oftmals durch ihre Status darauf angewiesen, als Tagelöhner durchs Land zu ziehen. Wer in solch eine Familie hineingeboren wurde, war zeit seines Lebens darin festgehalten. Nur wenige Menschen versuchten selbstbewusst, hier ihren eigenen Weg zu gehen.

Einer dieser unehrlichen Berufe und vielleicht auch einer der einsamsten, mysteriösen, war der des Henkers, Scharfrichters. Aberglauben, Vorurteilen und Ängste führten zu einer Isolation dieser ohnehin schon sozial verdammten Randgruppe.

Die Autorin Astrid Fritz beschreibt in ihrem aktuellen Roman: „Henkersmarie“, den Beruf des Henkers in allen Facetten. Perfekt recherchiert, spiegelt die Autorin souverän und absolut brillant wieder. Sie konzentriert sich allerdings nicht auf die blutige Tätigkeit des Henkers, der ja nicht nur die Todesstrafe vollzog, sondern auch foltern sowie in manchen Städten verendete Tiere usw. entsorgen musste. Das Aufgabenspektrum war nicht klein, und so wurde die ganze Familie mit einbezogen. In der Geschichte erzählt die Autorin viel über den Tagesablauf einer Familie, erzählt dabei realistisch betrachtet, dass die Henker so nah sie dem Gevatter Tod auch waren, das Leben liebten und auch durch ihre Anatomiekenntnisse, oftmals die Pflichten und Fürsorge eines Apothekers, Baders oder gar eines Arztes wahrnahm. Historisch gesehen verklärt die Autorin das realistische Bild des Henkers nicht. Weder dramatisiert oder romantisiert sie diesen Berufszweig. Im Grunde waren die Henker zumeist sehr intelligente und gebildete Menschen, viele konnten lesen, rechnen oder sich rhetorisch gut ausdrücken. Die überlieferten Schattenseiten, waren der Schmerz der bleibt, wenn man ein Leben auslöschen muss. Vielleicht ist es leichter, wenn man genau weiß, dass der Verurteilte den Tod verdiente, doch so ein posttraumatisches Erlebnis hinterlässt immer seine Spuren. Alkoholismus, Selbstmord, frühe Krankheiten oder auch selbst auferlegte Einsamkeit, versprachen kein biblisch hohes Alter. Dieser psychologische Druck muss enorm gewesen sein.

„Henkersmarie“ wird aus vielen Perspektiven erzählt. Primär steht die Tochter des Henkers im Mittelpunkt der Geschichte. Als junges Mädchen, als Kind und später als junge Frau erlebt diese Figur Höhen und Tiefen mit ihrer Familie. Von sozialer Ausgrenzung und entgegengebrachten Hass, der ihre Familie erreicht, bis hin zu Verständnis, wahrer Freundschaft und aufkeimender Liebe.

Parallel dazu erzählt die Autorin, die klassischen Familienschwierigkeiten und lässt damit den Leser an dem Leben der ganzen Familie teilnehmen. Der Drang und die Motivation aus dieser Henkersfamilie auszubrechen, zieht sich als Grundgedanke durch die gesamte Handlung. Sensibel und einfühlsam, dabei aber sich immer an historischen Quellen anlehnend, entwickelt sich so die Geschichte und erzeugt damit eine Spannung auf, die durchweg nicht an Fahrt verliert.

Wer hier im Detail grausige und blutige Hinrichtungen erwarten sollte, dürfte enttäuscht werden. Im Mittelpunkt stehen hier die wirklich sympathischen Figuren. Allerdings gibt es kaum einen Charakter, der wirklich eindimensional den Part des Bösen übernimmt. Eine bis fast bis Ende des Romans hin, mysteriöse Rolle spielt die Ehefrau des Henkers. Doch der aufmerksame Leser wird über das Schicksal dieser Frau die richtigen Rückschlüsse ziehen können. Als Inspiration hat die Autorin ein historisch, belegtes Ereignis in ihrem Roman eingebaut.

Fazit

Es gibt nicht viele kritische Punkte. Zum Ende des Romans hin flaut die Spannung allerdings ab und wirkte auf mich als zu schnell erzählt. Einzelne Protagonisten wurden viel zu schnell plötzlich von der Bühne genommen.

„Henkersmarie“ erzählt die wundervolle, sensible und realistische Geschichte einer Henkersfamilie, die inmitten einer Zeit spielt, die durch soziale Vorurteile und Ängste geprägt wurde. Vergessen wir aber dabei bitte nicht, dass jede Entwicklung, jeder Drang nach Individualismus und Verwirklichung seinen Preis hat.

In jedem Fall ist „Henkersmarie“ so spannend und scharf erzählt, wie ein Richtschwert, dabei sensibel und detailverliebt erzählt. Ein großartiger und wirklicher historischer Roman, der überzeugt und Spannung garantiert.

Michael Sterzik