Montag, 27. Juli 2020

Ketten und Macht - Die Napoleon-Saga (Band 2) - Simon Scarrow


Der vorliegende Band ist der zweite Roman um die beiden großen Generäle ihrer Zeit und behandelt die Jahre 1795 – 1803. Vorab sei zu sagen, dass es noch zwei weitere Bände dieser außerordentlich guten historischen Reihe geben wird. England und Frankreich waren in dieser Epoche vielleicht die zwei Weltmächte, die nicht nur um Europa kämpften, sondern auch in Asien und Afrika Kolonien eröffneten, oder sagen wir doch besser mit Feuer und Schwert eroberten?! Beide Nationen gingen hier wenig diplomatisch vor – die Mittel ähnelten sich – nur die Herangehensweise unterschied sich doch sehr. Frankreich hatte noch immer mit seiner Revolution innenpolitisch zu tun – Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit – nette Parolen unter denen auch mörderische Verbrechen stattfanden. Englands Krone dagegen – der Erzfeind, baute mit seinen Rotröcken militärisch seine Kolonien aus. Ebenfalls war England zu seiner Zeit, die größte und mächtigste Seemacht und verfügte daher auch wirtschaftlich gesehen, über viele Ressourcen. Zwei Weltmächte – zwei Männer – zwei Schicksale – unter denen Europa verändert und gestaltet wurde. Napoleon Bonaparte und Arthur Wellesley – zwei Visionäre, zwei militärische Strategen – zwei Gewinner und Verlierer – waren Sie beide Offiziere und Gentleman?

Simon Scarrows Fokus liegt in dieser Reihe auf ebendiesen beiden Figuren. Sicherlich ist auch der vorliegende Band dominierend, wenn wir über die erzählerische Darstellung von Schlachten sprechen, doch er ist viel mehr. „Ketten und Macht“ ist eine belletristische Analyse dieser beiden Männer. Napoleon und Wellesley sind noch beide „junge“ Männer und in diesem Band offenbart sich ihr militärisches Talent. Doch die Interpretation der Charaktereigenschaften, ist noch vielseitiger und tiefgründiger erzählt und ist der eigentliche tragende „rote Faden“ der Story. Beides Machtmenschen – doch charakterlich ist der Brite Arthur Wellesley ein wahrer Gentleman und Napoleon moralisch gedeutet, ein grober Mann der wenige Emotionen zulässt und wenn dann nur auf seine Freunde und Familie bezogen. Andere Menschen sind uninteressant – sie sind ein Mittel zum Zweck – instrumentalisierte Werkzeuge um seine persönliche Macht auszubauen und um jeden Preis zu festigen. Die Grundzüge eines totalitären Despoten offenbaren sich hier mit einer brutalen Authentizität.

Im Chaos, das die Französische Revolution hinterlässt, wird Napoleon des Verrats angeklagt. Um seine Reputation zu retten, begibt der große Feldherr sich auf Kriegszüge nach Italien und Ägypten. Während Napoleon sich in zahlreichen blutigen Schlachten verliert, schickt England sich an, unter der Führung Wellingtons das mächtige Frankreich zu unterwerfen. Die beiden großen Schlachtenlenker Napoleon und Wellington stehen sich als erbitterte Feinde gegenüber in einem Kampf, der die Grundfesten der Weltgeschichte erschüttert ...(Verlagsinfo)

Krieg ist immer Gewalt – ist immer grausam und blutig. Doch es gibt auch Grenzen, die ehrenhaft und moralisch sind. Wie geht man als Kolonialherr mit den Einheimischen und den eingesetzten Marionetten um, die das französische, oder britische Recht durchzusetzen!? Auch hier zeigen sich bei beiden Figuren ganz adversative Handlungen. Napoleon begeht Kriegsverbrechen – ordnet Massaker an und beweist später auch innenpolitisch seinen Machtwillen um jeden Preis.

Spannend ist „Ketten und Macht“ allemal – eben nicht nur die Erzählung von historischen Schlachten, sondern vielmehr um die persönliche Entwicklung. Die Talente der beiden Generäle, deren Schicksale die miteinander verwoben sind, zeigen sich hier. Wellesley ist ein brillanter Organisator, mit einem detaillierten Blick für eine Strategie – dabei ist er menschlich sympathischer gezeichneter, als sein späterer französischer Rivale. Genau diese Botschaft unterliegt den ganzen Roman. Der Sympathiefaktor reguliert sich bei Wellesley auf der „Haben-Seite“ – Napoleons Bilanz bezieht sich faktisch auf der „Soll-Seite“.

„Ketten und Macht“ ist ein Kriegsroman – aber ein sehr intelligenter, dessen Aufbau sich voll vielen anderen historischen Romanen sehr positiv abhebt. Eine sehr lebendige Erzählung, eine analytische Aufbereitung der Charaktere. Alles erzählt auf einer besonders guten atmosphärischen Bühne.

Abwechselnd lässt Simon Scarrow die Handlung aus der Perspektive von Wellesley und Napoleon erzählen. Beide Figuren begegnen sich in diesem Roman noch nicht. Jeder hat seine Laufbahn – seine „Lehrjahre“, und nur wenige Jahre später stehen sie sich gegenüber – als Feinde.

Die Orte der Handlungen sind Ägypten, Indien, Frankreich und Italien. Die innenpolitische Entwicklung erzählt Simon Scarrow primär auf Seiten Frankreichs. Als Kinder der Revolution – nun in der Pubertät angekommen lässt Napoleon als „Bürger“ als Konsul auf Lebenszeit keine Konkurrenz zu. Zensur – Manipulation – Mord – alles für eine brüderliche, gleichsame Freiheit.

Jeder Geschichtsinteressierte Leser wird begeistert sein. Simon Scarrow hält sich sehr gut an den historischen Fakten, natürlich verwendet er Freiheiten in diesem Unterhaltungsroman – doch Fakten und Fiktion sind perfekt und harmonisch verwendet worden. Selbst und das ist mehr wie gut hält sich der Autor an den zeitgenössischen Quellen, die beide Charaktere interpretieren.

Fazit

„Ketten und Macht“ ist eine bildgewaltige, wuchtige Psychoanalyse der beiden Generäle – die Europa einnahmen und befreiten. Packende Geschichte – die lebendig und ehrlich erzählt werden. Die Leichtigkeit einer erzählerischen Spannung ist hier formvollendet. Brillant.

Michael Sterzik


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