Samstag, 11. Februar 2023

Der Kriminalist - Tim Sullivan


 Es gibt immer wieder Menschen mit besonderen Inselbegabungen und Talenten, die uns faszinieren, verwundern und manchmal können wir diese auch nicht erklären. Menschen mit dem Asperger-Syndrom haben eine neuronale Störung – es ist eine besondere Form des Autismus. Ihre Wahrnehmungen von Situationen und die Verarbeitung verschiedener Reize beeinträchtigen ihr Leben. Sie sind überempfindlich und leben scheinbar in ihren eigenen Strukturen, deren Muster ihnen eine gewisse Sicherheit geben.

Doch gerade diese Menschen können Hochbegabt sein, oder eine Inselbegabung haben, z.B. ein Fotografisches Gedächtnis, mathematisches Talent für Strukturen und Muster und vieles mehr. Doch das Asperger-Syndrom lässt diese Menschen, die „andersartig“ sind, zu Einzelgängern werden, je nachdem wie stark es ausgeprägt ist.

Ihre „soziale“ Wahrnehmung der Mitmenschen ist oft mehr wie anstrengend für sie, da sie die analogen Kommunikationsformen Blickkontakt, Gestik und Mimik nicht erkennen, einordnen und definieren können. Auch sprachlicher Humor, Wortspiele, Witze, Ironie und Sarkasmus – damit können sie nicht umgehen. Das wirkt auf andere Menschen befremdlich, ungeschickt und oftmals werden sie für „Freaks“ gehalten. Diese Vorurteile, oder das Nicht-Wissen der anderen – über das Syndrom, machen diesen sensiblen und intelligenten Menschen das Leben manchmal sehr schwer.

Im vorliegenden Kriminalroman von Tim Sullivan „Der Kriminalist“ ist die Hauptperson DS George Cross, ein Ermittler der Polizei mit einer Form des Asperger-Syndroms die Schlüsselgestalt und der eigentliche Bezugspunkt der Story.

DS George Cross kann mit sozialen Konventionen nichts anfangen, für seine Kollegen ist er oft schwierig im Umgang. Doch dank seiner Besessenheit für Logik, Muster und jedes noch so kleine Detail, ist seine Aufklärungsrate die beste der ganzen Einheit. Und so hegt er sofort Zweifel, als seine Kollegen nach einem Leichenfund in einem Bristoler Park zu dem Schluss kommen, dass der Tod des Mannes die Folge eines Streits unter Obdachlosen sein muss. Cross beginnt, in der Vergangenheit des Opfers zu graben, und merkt schnell, dass es Verbindungen zu einem alten Fall gibt. Einem Mord, der fünfzehn Jahre nicht aufgeklärt wurde. Und der Täter hat nicht vor, sich nach so vielen Jahren von diesem exzentrischen Kommissar das Handwerk legen zu lassen …(Verlagsinfo)

Der Titel „Der Kriminalist“ ist wenig attraktiv gewählt – der Original-Titel „The Dentist“ wäre angebrachter gewesen. Nichtsdestotrotz ist der Roman großartig geworden. Das liegt aber nicht einer spannenden Story, sondern ist dem Hauptdarsteller DS George Cross zu verdanken. Der Autor Tim Sullivan hat mit dieser Figur einen Ermittler konzipiert, der in der gegenwärtigen Spannungsliteratur mit seiner autistischen Inselbegabung eine „Insel“ ist. Aber eine sehr attraktive, tiefsinnige und vielfältige Figur darstellt.

Kommen wir aber erst zur Story, die ist ausgefeilt und komplexer, als man es vielleicht vermutet. Wendige Überraschungen und vieles, was sich im ersten Moment als vorhersehbar bezeichnen könnte – ist es dann letztlich doch nicht. Das Ensemble der Figuren ist ebenfalls interessant – egal ob es sich um eine weitere Hauptperson handelt, oder nur eine einfache Nebenfigur ist, alle zusammen bilden ein komplex gut eingestelltes Orchester, bei dem jeder seinen Part perfekt beherrscht. Die junge Polizistin, die hoch motiviert versucht vor George Cross zu glänzen und erstmal mit ihrem wunderlichen Chef klarkommen muss. Die Partnerin von George Cross, die immer wieder zwischen den Menschen und ihm als emotionale „Übersetzerin“ fungiert und Cross immer wieder erklären muss, was die Menschen mit denen er zu tun hat, durch Gestik, Mimik oder Wortwahl eigentlich aussagen wollen. Dann gibt es noch den Vater von George Cross – eine sympathische Nebenfigur, die eine „Heimat“ für seinen Sohn darstellt.

Der eingesetzte Humor ist erstklassig und resultiert natürlich durch George Cross selbst, der halt für Smalltalk, soziale Kommunikation und zwischenmenschliche Beziehungen wenig übrig hat. Er „lernt“ zwar dazu, aber trotzdem produziert er größere und kleinere Fettnäpfchen in dieser er wie ein Dinosaurier im Porzellanladen selbstverständlich reintritt. Das wirkt sensibel, trägt einen gewissen Humor bei und ist der „Fokus“ der Handlung.

Die Dialoge sind rhetorisch toll in Szene gesetzt. Egal, mit wem auch immer George Cross spricht, wird es spannend und bietet eine Unterhaltung auf hohem Niveau. Sein Talent „, Muster“ zu erkennen und definieren machen aus dem Polizisten George Cross eine Verhörspezialisten, den man als Gesprächspartner selbst überhaupt nicht durchschauen kann. Seine Nachteile – zeigen sich also als Vorteile in dieser Art von Ermittlungen.

Tim Sullivan zeigt George Cross aber nicht nur als wunderlichen, intelligenten Ermittler, sondern auch als einen „Menschen“ der versucht Brücken zu seiner Persönlichkeit zu entwickeln. Diese Hilflosigkeit ist so wunderbar beschrieben, so sympathisch gezeichnet.

Damit ist „Der Kriminallist“ kein Ermittler von der Stange, sondern schon etwas Besonderes. Die Reihe wird fortgesetzt, so hoffe ich doch. Tim Sullivan weiß als erfolgreicher Drehbuchautor, wie man die Menschen unterhält.

Für mich ist „Der Kriminalist“ einer der Romane in diesem Jahr, der mich positiv überrascht hat. Auch wenn die Story abwechslungsreich und wirklich gut und spannend ist, so hätte diese noch besser sein können. Aber wir warten mal die weitere Entwicklung ab.,

Fazit

Ein wunderlicher, hilfloser Ermittler, der eine intelligente und humorvolle Unterhaltung bietet. Eine innovative Insel im Genre „Kriminalliteratur“ – die großartig ist.

Michael Sterzik



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