Samstag, 30. September 2023

Refugium - John Ajvide Lindqvist

 


Der Autor des vorliegenden Titels: „Refugium“ – John Ajvide Lindqvist ist in seinem Heimatland ein sehr bekannter Autor. Viele seiner Werke – Kurzgeschichten, Romane wurden international vermarktet.

Wenn man es nicht vorher wüsste, empfindet man beim Lesen des Romans immer den Eindruck; irgendwo habe ich mal etwas Ähnliches gelesen, oder gesehen? Diese gewissen Parallelitäten kommen nicht von ungefähr. Lindqvist war ein potenzieller Kandidat, um die „Millennium-Reihe“ von Stieg Larsson weiter fortzuführen. Nach David Lagercrantz der den sechsten Teil verfasst hatte, und durchaus erfolgreich war – suchte der Verlag eine Abwechslung. Laut dem Autor hätte er sich durchaus gefreut, Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist neue Abenteuer erlebe zu lassen. Sein Skript wurde allerdings vom Verlag abgelehnt.

Tja, was macht man nun also mit einer Handlung und Figuren, die eigentlich vielversprechend sind und die man dann nicht veröffentlichen darf. Man schreibt diese um.

Ursprünglich sollte Kim Ribbing, der die Spuren eines tiefen Traumas in sich trägt, die ehemalige Polizistin Julia Malmros bei Recherchen unterstützen. Doch dann erschüttert ein Verbrechen das sommerliche Leben in den Schären. Mittsommer. Der längste Tag. Die dunkelste Nacht. Nicht weit von Julias Ferienhaus werden die Gäste eines Mitsommerfests grausam hingerichtet. Nur Astrid Helander, der Tochter der Familie, gelingt es, sich zu retten. Aber das junge Mädchen ist verstummt. Für Julia ist die Zeit gekommen, zu handeln. Während Kim sich auf die Spur der Täter setzt und ihnen im World Wide Web und rund um den Globus folgt, nutzt Julia ihre Kontakte zur Kriminalpolizei. Ausgerechnet ihr Exmann Johnny ist mit den Ermittlungen betraut. Wer steht hinter den Auftragskillern? Und was hat Kim Ribbing zu verbergen, der immer wieder im Alleingang arbeitet (Verlagsinfo)

Lindqvist tauscht die Geschlechter und damit auch deren Talente und Eigenschaften aus. Obwohl man den schriftstellerischen Stil, seinen Ausdruck und seine Sprache von Stieg Larsson nicht ersetzen, oder kopieren kann, ist der vorliegende Band herausragend erzählt. Eine Reihe, die durch unterschiedliche Autoren erzählt wird, sollte man die verschiedenen Stile nicht vergleichen. Unabhängig davon besteht doch die offensichtliche Möglichkeit, die Figuren weiterzuentwickeln, obgleich die Substanz dieses Charakters erhalten bleiben soll.

Sollte man „Millennium“ nicht kennen, so findet man hier einen hervorragenden und abwechslungsreichen Spannungsroman. „Refugium“ ist aber trotz der Spannung keinen Roman, der sich zu ernst nimmt. Der schlitzohrige Humor des Autors findet hier seine Bühne. Vergleicht man charakteristische Tiefe der beiden Hauptakteure Julia und Kim – so werden beide gleichen Einblicke in ihre Vergangenheit und Gegenwart geben. Julia Malmros ist das alte Ego ihres Schöpfers Lindqvist – es ist wohl eine persönliche Aufarbeitung und Abrechnung der scheinbar schmerzlichen Absage, dass Erbe von Stieg Larsson nicht anzutreten.

Es sind die Geheimnisse und die Distanziertheit die Kim mit sich trägt, die den Leser völlig einfangen und auch faszinieren werden. Seine traumatisierte Vergangenheit wird aufgearbeitet, seine Persönlichkeit hat sich noch lange nicht vollständig offenbart. Viele Szenen und auch die Figuren sind manchmal polarisierend – das ist allerdings auch so gewollt. Mit dem zweiten kommenden Band dieser Reihe werden die Altlasten sicherlich abgearbeitet sein und die Figuren werden sich womöglich von einer anderen Seite zeigen. Besonders gut gelungen sind die emotionalen Themen, wenn nicht nur die Figuren Gefühle zeigen, sondern auch die atmosphärische Stimmung, deren man sich nicht entziehen kann.

Die Beziehungsebene zwischen den beiden ist liebenswert chaotisch. Wohin der Weg der beiden als Duo, als Paar, als Freunde gehen wird, ist absolut offen.

Der Zeitgeist – die aktuellen Themen, die uns bewegen, Klimaschutz, Wirtschaft, Energiekrise, Korruption und die politischen Interessen findet man ansatzweise thematisch in „Refugium“ auch wieder. Größere Ansprüche werden hier nicht bedient – also bitte die ggf. hohe Erwartungshaltung minimieren.

Der zweite Band könnte die historischen Traumata von Kim als Grundstein haben. Wie seine literarisch verwandte Seele Lisbeth Salander verfolgt er den Weg einer Abrechnung mit seinen früheren Peinigern. Das dürfte interessant werden.

Fazit

Erfrischende Spannung – zwei tolle Figuren, die zusammen mehr Fragen aufwerfen, als beantworten. Ein sehr eigensinniger Schreibstil – der frech und munter ein Talent offenbart. Damit empfehle ich diesen Titel, denn er gehört absolut zu den stärksten Thrillern dieses Jahres.

Michael Sterzik

 

 

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