Ende des 19. Jahrhundert war der spirituelle Glaube stark verbreitet. In Séancen wurden Verstorbene aus dem Jenseits kontaktiert – Ein Kanal dafür waren bestimmte Personen, die als Medium fungieren und durch ihr Talent befähigt waren, Botschaften aus dem Jenseits zu interpretieren. Weitere Phänomene waren Telekinese, Levitation und selbstverständlich wurden Geister auch fotografiert. Die Teilnehmer einer Séance wurden teilweise suggeriert, Außenstehenden über diese Veranstaltungen nichts zu berichten.
Man kann sich also vorstellen, dass hier viel Lug, Betrug stattfand, um die Illusion zu perfektionieren. Eine Séance wurde oft bei schummrigem Kerzenlicht, oder auch in völliger Dunkelheit durchgeführt. Das Medium und ggf. auch dessen Komplizen waren ungeheuerlich einfallsreich, um in dieser Atmosphäre den Jenseitskontakt herstellen zu können. Mit dieser Betrügerei konnte man trauernden Personen, die sich danach sehnten, ein „Überlebenszeichen“ über den Tod hinaus von ihren liebenden, verstorbenen Menschen zu erhalten, viel Geld verdienen. Alles in allem, also eine „Geistreiche“ Veranstaltungen, nur halt ohne die Hauptdarsteller, die weniger dämonische, oder gespenstische Züge aufwiesen, sondern trickreiche Betrüger waren.
Im vorliegenden Roman von Oliver Pötzsch wird das Thema u.a. auch thematisiert.
Wien, 1895: In der Gruft unter dem Stephansdom finden Touristen zwischen Knochen und Schädeln eine männliche Leiche: Das Gesicht vor Entsetzen verzerrt, ansonsten unversehrt. Ist der Mann vor Angst gestorben? Was hat ihn dermaßen in Panik versetzt? Während im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts der Spiritismus grassiert und an jeder Ecke Séancen abgehalten werden, pochte der Tote – ein Gelehrter – auf die Naturwissenschaften und deckte Schwindler auf. Hat er sich dabei die Finger verbrannt? Parallel zu den von Leopold von Herzfeldt geführten Ermittlungen wird der Totengräber Augustin Rothmayer durch seine Adoptivtochter Anna auf etwas anderes aufmerksam: Im Waisenhaus der Stadt verschwinden immer wieder Kinder ... Vergreift sich jemand an den Schutzlosen oder geht wirklich ein Geist um in der Donaumetropole? (Verlagsinfo)
Oliver Pötzsch widmet sich in dieser Reihe gerne dem Übernatürlichen, doch diesmal geht es nicht um den Glauben an Vampire, Untote, oder um wandelnde Mumien und todbringende Flüche – diesmal besuchen „Geister“ aus der paranormalen Welt die Handlung. Das Ermittlertrio besteht wie in den beiden Bänden zuvor aus dem adeligen jungen Baron von Herzfeldt, der Polizeifotografin Julia, und dem äußerst intelligenten Totengräber Augustin, der trotz der Nähe zu dem Tod, nicht an Geister glaubt.
Oliver Pötzsch ist ein großartiger Erzähler von historischen Geschichten – zumal es sich um Kriminalgeschichten handelt. Die Hauptstadt Österreichs – Wien – ist wieder alleiniger Schauplatz der Handlung, die um die Jahrhundertwende spielt. Neben den Hauptpersonen finden sich zwei neue Charaktere ein; die Mutter von Leopold von Herzfeldt und der Schöpfer von Sherlock Holmes – der Brite Arthur Conan Doyle. Seinen Charakter schildert Oliver Pötzsch absolut authentisch. Es stimmt also das dieser, Wien öfters besuchte und neben seiner Recherche für seine kommenden Werke, den Spiritismus äußerst zugetan war.
Diese beiden Charaktere bringen viel verspielten Humor mit und wirken souverän als Bereicherung. Oliver Pötzsch ist bekannt für sein detailliertes, historisches Fachwissen, das er absolut selbstverständlich einbaut. Die Handlung ist spannend, kommt aber inhaltlich mit den beiden Vorgängerromanen nicht mit. Zum Teil liegt es daran, dass die drei Hauptfiguren sich charakterlich nicht weiterentwickeln. Die Liebelei zwischen Leopold und Julia plätschert munter vor sich hin, mit den gleichen Herausforderungen, Wünschen und Ängsten der beiden Liebenden. Der Totengräber Augustin findet sich inhaltlich in der zweiten Reihe wieder. Sehr schade – denn dieser hat das größte Potenzial, dass einfach nicht vollendens ausgespielt wird.
Am Ende des Romans stehen wir an einem Scheideweg bei den Figuren und ich bin gespannt, wie es mit dem Trio weitergehen könnte. Wenn es weitergeht – müssen die Figuren, die wir kennen- und lieben gelernt haben, sich verändern, bzw. neue Wege einschlagen.
Fazit
Eine faszinierende geistreiche Geistergeschichte, die Spannung garantiert und uns in eine Zeitmaschine setzt. Eine großartige Reihe, die man als Couchkriminologe lesen muss.
Michael Sterzik
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