Donnerstag, 28. März 2024

Nachtkommando - Simon Scarrow


Der Zweite Weltkrieg - der Holocaust - die systematische Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten in Deutschland, die Millionen Menschen das Leben kostete. Der planmäßige Mord, ein Verbrechen jenseits aller Menschlichkeit, jenseits von Ethik und Moral, das kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges mit der Verfolgung der Juden in Europa begann. Doch nicht nur Juden wurden ermordet, jede Gruppe von Menschen, die dem Regime im Weg stand, als Gefahr galt, erwartete ein Todesurteil. Homosexuelle, politisch Verfolgte, Sinti und Roma und andere sollten nach der Ideologie des NS-Regimes vernichtet werden. Als lebensunwert galten auch Menschen mit Geisteskrankheiten, Erbkrankheiten und körperlichen Behinderungen. Diese Krankenmorde schlossen auch die Tötung von Kindern ein. Die nordisch-germanische Rasse sollte erhalten werden, ganz im Sinne der Eugenik, der Rassenhygiene, die die Ausmerzung der Kranken als natürliche Auslese erklärte. Im Rahmen der nationalsozialistischen Erbgesundheitspolitik wurde sie zum Staatsziel.

Simon Scarrow thematisiert das Thema der Kinder-„Euthanasie“ in seinem neuen Titel: „Nachtkommando“. Der Kriminalinspektor Horst Schenke, hat hier seinen zweiten Auftritt. 
Berlin, Januar 1940: In einer eiskalten Nacht kehren ein SS-Arzt und seine Frau von einem Konzertabend zurück. Als die Sonne aufgeht, liegt der Arzt leblos in einer Blutlache vor seinem Schreibtisch, darauf ein Abschiedsbrief. Doch seine Witwe ist überzeugt, dass es sich um Mord handelt, und wendet sich an Kriminalinspektor Horst Schenke. Gegen den Willen seiner Vorgesetzten ermittelt Schenke und stößt auf immer weitere brisante Details. Er ahnt, dass er einem schrecklichen Geheimnis größeren Ausmaßes auf der Spur ist und seine Ermittlungen möglicherweise nicht überleben wird ...(Verlagsinfo) 

„Nachtkommando“ ist ein spannendes Zeitzeugnis, das unter die Haut geht. Emotional katapultiert die Geschichte in einen Abgrund, der in der Geschichte zwar bekannt ist, aber wenig thematisiert wird. Der Schrecken, den der Leser empfindet, ist gewaltig. 
Die Geschichte spielt im Jahr 1940, Polen ist erobert, der Zweite Weltkrieg hat begonnen. Das Naziregime ordnet nicht nur die militärischen und politischen Strukturen völlig neu. Auch traditionelle, gesellschaftliche und soziale Formationen werden zerschlagen. Der Nationalsozialismus durchdringt alles. Die Verfolgung und Deportation der Juden beginnt. Die Todesmaschinerie wird in Gang gesetzt.  

Staatliches Unrecht - Verbrechen, bei denen die Ermittler zwischen Pflicht und Menschlichkeit stehen. Wie geht man vor, wenn man feststellt, dass der Staat systematisch „Kinder“ ermordet, die nicht in die kranke Ideologie passen? Verzweifelte Eltern - Väter, die sich rächen wollen und dabei selbst eine Grenze überschreiten. Aber hat diese Grenze überhaupt noch eine Bedeutung, wenn die Menschlichkeit außer Kraft gesetzt ist? 

Die Bevölkerung wusste zum Teil von den Verbrechen, die geschahen, sie ahnte es zumindest, sie waren verängstigte Mitläufer, Nutznießer der Nazis, aber auch wissentlich Täter, die ihre Macht missbrauchten, um zu töten, aus Lust, aus der Motivation, sich zu bereichern etc. Der systematische Massenmord war bekannt und wurde verschwiegen.

Das Simon Scarrow das Thema „Euthanasie“ aufgreift und damit die Morde an Kindern in der Story als zentralisiertes Element erzählt ist im Grunde genommen ambitioniert. Der Schrecken dieser Mordlust an Kindern, die als Fehlschläge eingeordnet werden, berührt sehr. Doch der Autor konfrontiert uns auch damit, dass die Menschen unter dem Naziregime vor Angst nicht rebellierten, oder kritische Fragen stellten. Die Angst vor Denunzierung, vor Verhaftung und letztlich auch vor der Ermordung lähmte die Gesellschaft. Auch das ist eine unmittelbare Botschaft des Autors.  

Die Protagonisten, vor allem das Ermittlertrio, sind interessant gezeichnet. Horst Schenke glaubt noch an das System, hadert mit sich, dass er nicht an der Front ist, und doch ist er voller Zweifel, voller Fragen und Antworten, die er weder leise noch laut auszusprechen wagt. Wir schreiben das Jahr 1940 - noch glaubt man an die deutsche Weltherrschaft. Auch Schenkes Gewissen, seine seelische Not, steht im Mittelpunkt, und man darf gespannt sein, welche Rolle er in den kommenden Romanen dieser spannenden Reihe spielen wird. Er ist ein „Stellvertreter“ für das Volk, das sich anpassen will, um nicht aufzufallen - doch der seelische Druck dürfte mit den kommenden Kriegsjahren zunehmen und sich entladen wollen.

Simon Scarrow hat sehr gut recherchiert und eine sehr stimmungsvolle, authentische Atmosphäre geschaffen, die den Leser kompromisslos auf eine Zeitreise in eine dunkle Epoche schickt. „Nachtkommando“ behandelt konsequent ein brisantes Thema, das man nicht vergessen sollte. 

Es gibt Nebengeschichten, die immer wieder um die Frage kreisen, auf welcher Seite man sich moralisch und menschlich positionieren will. Manchmal stehen sich diese Komponenten selbst im Weg, auch wenn der Leser dadurch einen guten Einblick in den Alltag unter der Naziherrschaft erhält. 

Selbst das Nachwort des Romans ist lesenswert und konfrontiert den Leser mit Tatsachen, die dem Roman nachhaltig ein sehr gutes Zeugnis ausstellen. So wird auch deutlich, mit welcher Intensität sich der Autor diesem Buch gewidmet hat.

Fazit

Eine Konfrontation und ein dunkles Vermächtnis, so spannend und emotional erzählt, dass „Nachtkommando“ ein sehr wichtiges Buch ist. 
Brillant erzählt - ein Pageturner, den man unbedingt lesen sollte. Gegen das Vergessen.

Michael Sterzik 



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