John Grisham feierte mit seinem Bestseller „Die Firma“ einen großen internationalen Erfolg. Durch die Verfilmung mit Tom Cruise wurde der Titel zu einem der bekanntesten des Erfolgsautors. Als ehemaliger Anwalt versteht es der Amerikaner, das nordamerikanische Rechtssystem und die verschiedenen Instanzen der Justiz auf spannende und sehr informative Art und Weise darzustellen. Als Leser begleiten wir die Protagonisten bis vor den Richterstuhl, sitzen mit dem Angeklagten im Gerichtssaal und warten auf das Urteil. Wir verfolgen die rhetorischen Wortgefechte zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Die Justiz ist nicht blind, sie ist nicht unvoreingenommen, sie ist nicht unparteiisch - sie ist mitunter käuflich, sie ist manipulierbar.
Der Roman „Die Entführung“ ist eine Fortsetzung von „Die Firma“, und wir treffen den Anwalt Mitch McDeere - nur fünfzehn Jahre später. Erfahren und inzwischen Vater von zwei Kindern, ist er ein erfolgreicher Anwalt in New York.
Es ist ein ambitioniertes Vorhaben, eine Fortsetzung zu einem so erfolgreichen Titel zu schreiben. Die Erwartungen der Leserinnen und Leser können sehr hoch sein. Die Handlung spielt nicht vor Gericht. „Die Entführung“ ist ein Politthriller, der gnadenlos vom Weg abgekommen ist.
Fünfzehn Jahre ist es her, dass Mitch McDeere gemeinsam mit dem FBI seine kriminelle alte Firma hat hochgehen lassen. Mittlerweile arbeitet er in der größten Anwaltskanzlei der Welt in Manhattan. Da holt ihn das Verbrechen wieder ein: Als ihn ein Mentor in Rom um einen Gefallen bittet, findet sich Mitch schnell im Zentrum eines mörderischen Konflikts wieder. Er soll durch eine immense Lösegeldzahlung eine Geiselnahme beenden, doch die Umstände sind dramatisch. Schon bald ist nicht nur er selbst in Gefahr, sondern auch die, die ihm nahestehen. (Verlagsinfo)
Wer erwartet, dass dieser Titel an die Spannung des ersten Teils anknüpft, wird enttäuscht. Es geht nur sekundär um ein juristisches Thema, wie auch eine Geiselnahme, bzw. die Verhandlungen um die Freilassung der Geisel, dem Rechtssystem wenig Präsenz bietet, um sich von einer überzeugenden Seite zu zeigen.
Wir erfahren viel über die Organisation großer Anwaltskanzleien. Wir reisen in ein Libyen unter der Willkürherrschaft Gaddafis. Mit einer aktuellen politischen Situation hat dieser Titel also nichts im Sinn. Das ist schade, denn diese Aktualität hätte dem Roman vielleicht den Weg zum Erfolg geebnet. An keiner Stelle wird die Geschichte spannend. Nicht einmal eine interessante Wendung, eine Momentaufnahme, die man als nachhaltig empfinden könnte, blitzt auf.
Auch die Figuren sind nicht überzeugend positioniert. Mitch McDeere und seine Frau, die auch im ersten Band eine Nebenrolle spielte, werden immer wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Nicht von außen betrachtet, denken sie immer wieder an die dramatischen, spektakulären Ereignisse zurück, die sie in Lebensgefahr brachten. Keine Figur trägt die Handlung oder treibt sie in eine Richtung, die den Leser fesseln könnte. Kaum vorhanden sind auch Nebengeschichten mit interessanten, charismatischen Charakteren.
Fazit
„Die Entführung“ entführt den Leser in eine überdimensionierte Kurzgeschichte. Mit einem Justizthriller hat das Buch nur wenig zu tun. John Grisham vergibt hier die Chance, eine bekannte und erfolgreiche Figur nachhaltig für spätere Romane aufzubauen. Zwar solide geschrieben, aber zu keinem Zeitpunkt atmosphärisch spannend. Leider enttäuschend.
Michael Sterzik
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