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Montag, 6. Mai 2024

Die Dämmerung - Marc Raabe


Kann man seine Vergangenheit ausblenden, sie vielleicht ignorieren, so dass man historische Ereignisse aus seinem Gedächtnisprotokoll in die ganz tiefe Schublade seiner persönlichsten Gedanken verbannt? Am liebsten vergisst man dann auch noch den Schlüssel zu diesen Schlüsselerlebnissen. Verdrängung kann wunderbar sein, funktioniert aber meistens nur halb so gut.

Die Vergangenheit holt einen dennoch ein, und das oftmals in einer so direkten Konfrontation, dass ein Ausweichen nicht möglich ist. Ein Exit ausgeschlossen und getreu Augen zu und durch, auch das ist oftmals nur ein frommer Wunsch. 

Der Kölner Autor Marc Raabe setzt seine Art-Mayer-Reihe mit dem vorliegenden Titel „Die Dämmerung“ fort. Mit von der Partie sind viele bekannte Figuren, denen man bereits im ersten Band „Hallo“ sagen durfte. Auch die ganz persönlichen Herausforderungen der beiden Ermittler bekommen ihre Bühne.

Im Königswald wird eine bizarr arrangierte Leiche gefunden, halb Mensch, halb Tier. Art Mayer und Nele Tschaikowski identifizieren die Tote als Charlotte Tempel – eine gefeierte Wohltäterin, bei allen beliebt und für den wichtigsten Medienpreis des Landes nominiert. Schnell gerät Tempels einundzwanzigjährige Tochter unter Verdacht: Leo ist rebellisch, unberechenbar und zeichnet ein ganz anderes Bild ihrer Mutter. Doch Art Mayer zweifelt an ihrer Schuld.
Bis eine zweite Frau aus dem Kreis der Nominierten stirbt. Zunächst deutet nichts auf Leo, doch dann taucht ein mysteriöses Tonband mit belastendem Inhalt auf. Wer ist Leo – ein Opfer der Umstände? Oder die jüngste Serientäterin von Berlin, unterwegs zu ihrem dritten Opfer?(Verlagsinfo) 

Die beiden Ermittler Nele Tschaikowski und Art Mayer können getrost als Antihelden bezeichnet werden. Die Art und Weise, wie sie ihre Ermittlungen führen, ist nach den Grundsätzen ihres Berufsstandes und nach dem Lehrbuch der Kriminalistik eher als sehr, sehr frei zu bezeichnen. Nele ist mit dem Polizeipräsidenten verwandt und Art war bzw. ist der Freund des amtierenden Bundeskanzlers. Letzteres spielt hier, wie schon in Band 1, keine untergeordnete Rolle - private und berufliche Ebene gehen hier eine unfreiwillige Symbiose ein, die allerlei aktuelle und historische Herausforderungen mit sich bringt.

Die Haupthandlung sind die bizarren Morde, die originell und plakativ in Szene gesetzt werden. Aber auch die Nebenhandlung, die Geschichte von Jo und Bell, einem jungen Paar aus völlig unterschiedlichen sozialen Schichten, sorgt für spannende Unterhaltung.

Der Kölner Marc Raabe ist durch seinen Beruf in der TV- und Medienproduktion und in der großen Medienwelt verankert. Das merkt man auch als Leser, denn sein Blick auf diesen Mikrokosmos der Reichen und Schönen findet sich hier in Ansätzen wieder. Aber eben nur als Momentaufnahme. Marc Raabe widmet sich vielen aktuellen Themen und so finden sich radikale Klimaaktivisten, dicht gefolgt von Nerds, die durchaus Videos und Bilder zu veröffentlichen wissen, die Fakes sind - die Schattenseiten der kontroversen Themen rund um eine hoffähig werdende künstliche Intelligenz.

Ich war schon immer ein Freund von guten Nebenfiguren. Hier hat Marc Raabe mit der rebellischen Leo eine Figur geschaffen, die vielleicht auch ein Zerrbild unserer heutigen Jugend sein könnte. Eine allgemeingültige Moral wird man hier aber nicht finden, und der Streuung einer einzigen Wahrheit sind Grenzen gesetzt.

Art Mayer ist wie gewohnt als harter Hund angelegt, zeigt aber immer wieder seine verletzliche und weiche Seite - nur nicht öffentlich. Seine Partnerin Nele ist nach den Ereignissen des ersten Teils posttraumatisiert und als werdende Mutter mit sich, ihrer Umwelt und auch ihren Kollegen nicht immer einverstanden.

"Die Dämmerung" ist eine weitere Steigerung des ersten Bandes: Der Morgen". Eine spannende Geschichte, die bewusst von den brillanten Charakteren getragen wird. Marc Raabe überlässt hier nichts dem Zufall und ist ein Meister im Spiel mit einer spannenden Note von Psychologie, die nachhaltig ist. Gerne hätte ich mir noch mehr innen- und medienpolitische Themen gewünscht. Hier kann Marc Raabe in Zukunft sicher noch mehr aus dem persönlichen Nähkästchen plaudern. Die noch interessanteren Nebengeschichten und Nebenfiguren wie Nele und Art werden gekonnt eingesetzt.

Fazit

Mit „Die Dämmerung“ erscheint ein heller Stern am Thrillerhimmel des Jahres 2024. Tolle Charaktere, die uns hoffentlich auch 2025 mit „Die Nacht“ begegnen werden. Ein starker Thriller - unbedingt lesenswert.
Michael Sterzik

Donnerstag, 14. April 2016

Zersetzt - Michael Tsokos / Andreas Gößling

Nach dem Debüt „Zerschunden“ von Michael Tsokos und Andreas Gößling ist nun mit „Zersetzt“ eine Fortsetzung des True-Crime-Thrillers veröffentlicht worden.

Der Thriller „Zerschunden“ endete mit einem fulminanten und dramatischen Cliffhanger, doch der vorliegende Band „Zersetzt“ erzählt die Geschehnisse um den Rechtsmediziner Dr. Fred Abel aus der Abteilung Extremdelikte des BKA, 10 Monate vor dem ersten Teil.

Hut ab vor den Autoren, denn marketingtechnisch verspricht diese Entscheidung einen großen Erfolg. Schließlich wird auch das Schicksal von Dr. Fred Abel in „Zersetzt“ mit keinem Wort erklärt werden können. Also wird der Leser zu dem dritten Band greifen, um die Geschehnisse in der Zeitlinie von „Zerschunden“ weiter verfolgen zu können. Raffinierte Idee.

„Zersetzt“ ist wie sein Vorgänger auch, ein realistischer Thriller, bei der das Autorenduo viel Wert darauf gelegt hat, die Ereignisse so realistisch wie möglich zu erzählen. Die Hauptgeschichte, wie auch die Nebengeschichten, Schauplätze sowie die handelnden Personen haben einen reellen Hintergrund. Für zartbesaitete Leser können die Szenen, die von Folter, Vergewaltigung und Mord handeln, etwas morbide Unterhaltung sein. Fakt ist allerdings – Das „Zersetzt“ so mörderisch spannend ist und den Stempel „True-Crime-Thriller“ einen neuen Maßstab aufdrückt.

Der vorliegende Band gliedert sich in drei Handlungssträngen. In dem Hauptplot wird Dr. Fred Abel vom Innenministerium nach Transnistrien geschickt, einem Miniland, dass nur mit der Gnade des Kreml eine Daseinsberechtigung besitzt. Er soll hier unter Aufsicht des dortigen Geheimdienstes zwei Leichen identifizieren, die die Söhne eines Oligarchen sein könnten. Beide Leichen weisen die Folgen schwerster Folter auf.  Der osteuropäischer Geheimdienst allerdings versucht, das Ergebnis dieser Obduktion für seine Zwecke zu missbrauchen.

Die weiteren beiden Nebenhandlungen sind gut eingebaut und nicht minder spannend. Indessen die zugefügten Grausamkeiten durch einen psychopathischem Mörder und Vergewaltiger erschreckend zu lesen ist. Gerade in dem Bewusstsein: Verdammt, dass ist wirklich so passiert – spielen sich emotionale Szenen ab, die dem Leser einiges abverlangen und unter Garantie, wird das Buch hier nicht aus den Händen gelegt werden können. Besonders die Passagen in der das Grauen und die Ängste durch die Perspektive des Opfers erzählt werden. Brutal und emotional packend dargestellt.

Die dunkle und spannend anhaltende Atmosphäre ist meisterlich gelungen. Die Autoren Michael Tsokos und Andreas Gößling haben allerdings, diesmal die Zügel etwas fester angezogen, denn es geht deutlich brutaler zugange als in „Zerschunden“.

Der Personenkreis um den Rechtsmediziner Dr. Abel ist übersichtlich geordnet und natürlich findet man hier die gleichen Charaktere wie schon im ersten Band vor. Allerdings liegt natürlich die Gewichtung der Haupthandlung auf den breiten Schultern von Dr. Fred Abel. Sympathisch, ehrgeizig und voller versteckter Talente wird in diesem Band vieles von ihm abverlangt, nicht nur psychisch, sondern gerade physisch muss sich Dr. Abel einem anderen Kaliber stellen  und das kann verdammt mörderisch sein. Auch wenn der gute Dr. Abel manchmal dem Leser vorkommt, wie ein kleiner Bruder von 007 James Bond – bekommt er doch immer die Kurve und verliert auch nicht an Sympathie oder Tiefe. Seine Verletzlichkeit und manchmal auch seine ungesunde Naivität lassen in vortrefflich menscheln.

So komplex die Handlung in „Zersetzt“ auch sein mag, verliert die Spannung niemals an Intensität. Hinzu noch lobend zu erwähnen, dass der Leser einen prägnanten und lehrreichen Einblick in den Bereich der Rechtsmedizin bekommt.

„Zersetzt“ ist großartig. Authentisch und von grausamer Realität – ein Pageturner, der im Genre True-Crime-Thriller Maßstäbe setzt.

Ein Roman für diejenigen, die die menschlichen Abgründe fürchten und dennoch faszinierend finden.  Perfekte Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau.

Michael Sterzik

April 16