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Mittwoch, 26. Februar 2025

Schattenwald - Jan-Erik Fjell


Die menschliche Psyche ist immer noch ein großes Rätsel: Wo fängt krankhaftes Verhalten an, wo hört es auf? Was können Auslöser sein - bei denen uns die Sicherungen durchbrennen und wir alle Vernunft ausschalten? Wir sehen rot in einer Momentaufnahme, die unser Leben und das Leben anderer radikal verändern kann - und überschreiten damit eine Grenze, von der es kein Zurück mehr gibt.

Die Begegnung mit dem Tod, in welcher Form auch immer, ist so eine Grenze - danach verändern wir uns. Entweder, weil wir zu viel Schmerz und Grauen erlebt und gesehen haben, oder weil wir selbst getötet haben. Diese Narben auf der Seele verschwinden nie. Man kann mit ihnen leben - aber der Preis dafür kann so hoch sein, dass wir diesen Schmerz und diese Last nicht mehr ertragen können. 

Auch Polizisten oder Soldaten in Kriegseinsätzen werden seelisch verletzt - und diese posttraumatischen Erlebnisse können sie ein Leben lang begleiten. 

Mit diesen Themen beschäftigt sich der norwegische Autor Jan-Erik Fjell im dritten Roman der Reihe um Magnus Torp und Anton Brekke.

Nach einer durchfeierten Nacht verschwindet nahe Oslo die junge Cecilie Olin. Zwei Tage später wird ihre Leiche in einem Waldstück entdeckt, sie wurde entsetzlich misshandelt und erdrosselt, ihr Ehering fehlt. Sofort fällt der Verdacht auf Cecilies Mann, doch dann wird eine weitere Frau vermisst. Der junge Ermittler Magnus Torp sucht Hilfe bei seinem Kollegen und Mentor Anton Brekke, der der Polizei nach einem traumatischen Fall den Rücken gekehrt hat. Zunächst will Anton nichts mit der Sache zu tun haben, zu sehr quälen ihn die Dämonen der Vergangenheit. Doch das Verbrechen lässt ihm keine Ruhe. Anton begibt sich auf die Spur des Mörders und damit erneut in bedrohliche Dunkelheit. (Verlagsinfo) 

Dieser dritte Band ist aus vielen Gründen großartig. Die Beziehungsebene zwischen Torp und Brekke ist interessant, nicht nur, weil sie völlig unterschiedlich ermitteln und ihre Charaktere so verschieden sind, sondern auch, weil sie sich immer weiter entwickelt. Es hat etwas von einem Schüler-Lehrer-Verhältnis, aber auch von einer sehr tiefen und verständnisvollen Freundschaft. 

Bitte nicht irritieren lassen - der vorliegende Band ist der 8. Teil dieser Reihe - die anderen werden, denke ich, nach und nach ebenfalls im Goldmann Verlag erscheinen.

Die Geschichte ist spannend, vielleicht auch deshalb, weil der Perspektivwechsel in die Vergangenheit aus der Sicht des Täters erzählt wird. So wird schnell klar, dass es sich um Serienverbrechen handelt, die in der Vergangenheit begonnen haben. Parallel zu diesem Fall ermittelt Anton Brekke auf eigene Faust. Er hat seinen Job bei der Polizei freiwillig an den Nagel gehängt und ist nun eine Art Sozialarbeiter. Diese Tätigkeit füllt ihn zwar nicht aus - aber er kann ein Verbrechen und gegebenenfalls einen möglichen Täter durch seine Erfahrung und sein Wissen identifizieren. Mit Verdächtigen geht er nicht besonders sensibel um - das muss er auch nicht, wenn er selbst etwas aufklären will. Sein Privatleben wird kaum thematisiert - außer, dass er spielsüchtig ist und sich damit ein wenig finanziert. Insgesamt wirkt er unruhig und seine Freundschaft mit Magnus Torp wird auf eine harte Probe gestellt. 

Magnus Torp hingegen zeigt sich gewohnt pflichtbewusst und übernimmt eine führende Rolle bei den Ermittlungen. Seine Geduld mit Anton Brekke wird auf eine harte Probe gestellt - aber er glaubt und vertraut seinem alten Freund und Mentor fast blind. 

Das letzte Drittel des Romans steigert die Spannung enorm, doch am Ende werden nicht alle Einzelgeschichten aufgelöst und auch das Schicksal der beiden Freunde endet mit einem dramatischen Ereignis, dessen Ausgang allerdings offen bleibt. 

Damit macht der Autor natürlich Lust auf Band 9. Ich empfehle aber auch, die beiden Vorgänger zu lesen: „Nachtjagd“ und „Dunkelwald“, denn die Beziehung und damit die Vorgeschichte von Torp und Brekke ist wichtig, um ihre beiden aktuellen Standpunkte besser verstehen zu können.

Fazit

Der Schatten zwischen Vergangenheit und Zukunft ist dunkel und abgrundtief böse. Ein großartiger Roman - eine großartige Serie, die zu den besten Skandinaviens gehört.

Michael Sterzik

Mittwoch, 5. Februar 2025

Buchvorstellungen btb - Frühjahr 2025

Hallo zusammen.

Heute möchte ich Ihnen die neuen Krimis vorstellen, die im Frühjahr 2025 bei btb erscheinen! Bei Interesse merke ich Sie gerne für ein Rezensionsexemplar vor oder schicke Ihnen vorab die Fahne als pdf.

»Wenn das Wasser steigt« ist der neue Bestseller der spanischen Krimikönigin Dolores Redondo. In ihrem neuesten gefeierten Spannungsroman verwebt sie historische Tatsachen, wie das Rätsel um den Serienmörder und die verheerende Überschwemmung in Bilbao. Ihre Figuren faszinieren durch große psychologische Tiefe und zeigen, zu wie viel Grausamkeit, aber auch Hoffnung die Menschen fähig sind. ET: 12. März 2025

Nach »Die Psychologin« und »Die Affäre« ist »Die Witwe« der neue Psychothriller der norwegischen Bestsellerautorin Helene Flood! Die Autorin arbeitete selbst als Psychologin bevor sie zum internationalen Thriller-Star avancierte. In ihrem neuen Buch geht es um Evy, in deren Haus nach dem Tod ihres Mannes seltsame Dinge passieren. Wird sie langsam verrückt, oder trachtet ihr jemand nach dem Leben? ET: 26. März 2025

Anton Marklunds Kriminalroman »Der Flug des Falken« ist der furiose Auftakt einer neuen schwedischen Krimireihe. Eine Sozialarbeiterin, die in die Zukunft schauen kann, ein totes Mädchen am See - »Einer der besten schwedischen Kriminalromane des Jahres. Mit einer ungewöhnlichen weiblichen Hauptfigur.« findet Bibliotekstjänst ET: 16. April 2025


Dolores Redondo
Wenn das Wasser steigt
Thriller



Der Polizist Noah Scott ist herzkrank und weiß, dass seine Lebenszeit begrenzt ist. Doch er ist besessen davon, das Rätsel um den Serienmörder John Bible zu lösen, der Ende der 60er-Jahre junge Frauen tötete und nie gefasst wurde. Jetzt, im Jahr 1983, folgt Noah einer neuen Spur, die ihn nach Bilbao führt. Er weiß, dass sich der Mörder hier versteckt hält, und durchforstet die Stadt, deren herbe Schönheit ihn gefangen nimmt, bis sich eine Jahrhundert-Flut ankündigt, die alles zu verschlingen droht.

Helene Flood
Die Witwe
Psychothriller



Eine gutbürgerliche Nachbarschaft in Oslo: Auf offener Straße bricht Erling zusammen und stirbt. Allein im großen gemeinsamen Haus sitzt Evy, seine Frau, mit der er seit fünfundvierzig Jahren verheiratet war. Irgendetwas – das wird ihr immer klarer – stimmt nicht mit dem Tod ihres Mannes. Gegenstände verschwinden aus dem Haus, die drei erwachsenen Kinder verbergen Dinge vor ihr, und die Kellertür, die immer verschlossen ist, steht plötzlich offen. Nach vielen Jahren taucht ein alter Freund aus Erlings Jugend auf, und teilt Evy Unglaubliches mit. Wer wollte Erling schaden? Und verfolgt derjenige, der ihm nach dem Leben trachtete, nun auch Evy?

Anton Marklund
Der Flug des Falken
Kriminalroman



Die Sozialarbeiterin Ramona Lindh hat eine besondere Gabe: Sie kann Bruchstücke aus der Vergangenheit und Zukunft von Menschen sehen. Als in der Nähe von Ramonas Wohnort eine junge Frau tot am See aufgefunden wird, bittet die Polizei um Mithilfe. Wie konnte es in dem beschaulichen Ort in Nordschweden zu dieser Gewalttat kommen? Und was hat es mit dem Falken auf sich, der neuerdings häufig über dem See kreist? Ramona berührt das Schicksal der Ermordeten. Sie versucht, ihre Fähigkeiten nützlich einzusetzen, weiß aber auch, dass ihre Gabe Segen und Fluch zugleich ist.

Bilder und Texte - zur Verfügung gestellt vom btb Verlag. 

Michael Sterzik 


Donnerstag, 5. Dezember 2024

Die Besten Krimis/Thriller des Jahres 2024

Weihnachten steht vor der Tür. Wir freuen uns nicht nur auf Geschenke, sondern auch auf eine hoffentlich besinnliche Zeit. Zeit für uns - Zeit für andere - Zeit für ein Miteinander und ja, vielleicht auch Zeit, um sich in ein gutes Buch zu vertiefen. 

Diese Bücher, die ich nun vorstelle, waren für mich in diesem Jahr die spannendsten Titel aus dem Genre Thriller/Krimi.  Alle Rezensionen zu diesem Titel findet man auf diesem Blog.

Auch bei Facebook gibt es die Rezensionen auf meiner Literaturbühne Michael Sterzik zu finden. 

Michael Sterzik - Literaturbühne

1. Die Weiße Stunde  (Alex Beer) Verlag Limes

2. Nachtwasser (Läckberg/Fexeus) Verlag Knaur

3. Das Auge der Nacht (Cilla & Rolf Björlind) Verlag btb

4. Die Dämmerung (Marc Raabe) Verlag Ullstein 

5. Nachtkommando (Simon Scarrow) Verlag Piper

6. Seven Days (Steve Cavanagh) Verlag Goldmann

7. Stille Falle (Anders de lat Motte) Verlag Knaur

8. Monster (Nele Neuhaus) Verlag Ullstein 

9. Zeit des Terrors (Christian v. Ditfurth) Verlag C.Bertelsmann

10. Vermisst (Christine Brand) Verlag Goldmann 


Die Titel sind nicht aufsteigend oder absteigend sortiert. 

Vielen Dank an die Verlage, die mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben. Diese Buchbesprechungen sind keine gekauften Rezensionen. Weder habe ich mich in meiner Meinung durch andere überreden lassen, noch bewerte ich diese Titel nach Sympathie für den oder die Autor(in).
























Montag, 6. Mai 2024

Die Dämmerung - Marc Raabe


Kann man seine Vergangenheit ausblenden, sie vielleicht ignorieren, so dass man historische Ereignisse aus seinem Gedächtnisprotokoll in die ganz tiefe Schublade seiner persönlichsten Gedanken verbannt? Am liebsten vergisst man dann auch noch den Schlüssel zu diesen Schlüsselerlebnissen. Verdrängung kann wunderbar sein, funktioniert aber meistens nur halb so gut.

Die Vergangenheit holt einen dennoch ein, und das oftmals in einer so direkten Konfrontation, dass ein Ausweichen nicht möglich ist. Ein Exit ausgeschlossen und getreu Augen zu und durch, auch das ist oftmals nur ein frommer Wunsch. 

Der Kölner Autor Marc Raabe setzt seine Art-Mayer-Reihe mit dem vorliegenden Titel „Die Dämmerung“ fort. Mit von der Partie sind viele bekannte Figuren, denen man bereits im ersten Band „Hallo“ sagen durfte. Auch die ganz persönlichen Herausforderungen der beiden Ermittler bekommen ihre Bühne.

Im Königswald wird eine bizarr arrangierte Leiche gefunden, halb Mensch, halb Tier. Art Mayer und Nele Tschaikowski identifizieren die Tote als Charlotte Tempel – eine gefeierte Wohltäterin, bei allen beliebt und für den wichtigsten Medienpreis des Landes nominiert. Schnell gerät Tempels einundzwanzigjährige Tochter unter Verdacht: Leo ist rebellisch, unberechenbar und zeichnet ein ganz anderes Bild ihrer Mutter. Doch Art Mayer zweifelt an ihrer Schuld.
Bis eine zweite Frau aus dem Kreis der Nominierten stirbt. Zunächst deutet nichts auf Leo, doch dann taucht ein mysteriöses Tonband mit belastendem Inhalt auf. Wer ist Leo – ein Opfer der Umstände? Oder die jüngste Serientäterin von Berlin, unterwegs zu ihrem dritten Opfer?(Verlagsinfo) 

Die beiden Ermittler Nele Tschaikowski und Art Mayer können getrost als Antihelden bezeichnet werden. Die Art und Weise, wie sie ihre Ermittlungen führen, ist nach den Grundsätzen ihres Berufsstandes und nach dem Lehrbuch der Kriminalistik eher als sehr, sehr frei zu bezeichnen. Nele ist mit dem Polizeipräsidenten verwandt und Art war bzw. ist der Freund des amtierenden Bundeskanzlers. Letzteres spielt hier, wie schon in Band 1, keine untergeordnete Rolle - private und berufliche Ebene gehen hier eine unfreiwillige Symbiose ein, die allerlei aktuelle und historische Herausforderungen mit sich bringt.

Die Haupthandlung sind die bizarren Morde, die originell und plakativ in Szene gesetzt werden. Aber auch die Nebenhandlung, die Geschichte von Jo und Bell, einem jungen Paar aus völlig unterschiedlichen sozialen Schichten, sorgt für spannende Unterhaltung.

Der Kölner Marc Raabe ist durch seinen Beruf in der TV- und Medienproduktion und in der großen Medienwelt verankert. Das merkt man auch als Leser, denn sein Blick auf diesen Mikrokosmos der Reichen und Schönen findet sich hier in Ansätzen wieder. Aber eben nur als Momentaufnahme. Marc Raabe widmet sich vielen aktuellen Themen und so finden sich radikale Klimaaktivisten, dicht gefolgt von Nerds, die durchaus Videos und Bilder zu veröffentlichen wissen, die Fakes sind - die Schattenseiten der kontroversen Themen rund um eine hoffähig werdende künstliche Intelligenz.

Ich war schon immer ein Freund von guten Nebenfiguren. Hier hat Marc Raabe mit der rebellischen Leo eine Figur geschaffen, die vielleicht auch ein Zerrbild unserer heutigen Jugend sein könnte. Eine allgemeingültige Moral wird man hier aber nicht finden, und der Streuung einer einzigen Wahrheit sind Grenzen gesetzt.

Art Mayer ist wie gewohnt als harter Hund angelegt, zeigt aber immer wieder seine verletzliche und weiche Seite - nur nicht öffentlich. Seine Partnerin Nele ist nach den Ereignissen des ersten Teils posttraumatisiert und als werdende Mutter mit sich, ihrer Umwelt und auch ihren Kollegen nicht immer einverstanden.

"Die Dämmerung" ist eine weitere Steigerung des ersten Bandes: Der Morgen". Eine spannende Geschichte, die bewusst von den brillanten Charakteren getragen wird. Marc Raabe überlässt hier nichts dem Zufall und ist ein Meister im Spiel mit einer spannenden Note von Psychologie, die nachhaltig ist. Gerne hätte ich mir noch mehr innen- und medienpolitische Themen gewünscht. Hier kann Marc Raabe in Zukunft sicher noch mehr aus dem persönlichen Nähkästchen plaudern. Die noch interessanteren Nebengeschichten und Nebenfiguren wie Nele und Art werden gekonnt eingesetzt.

Fazit

Mit „Die Dämmerung“ erscheint ein heller Stern am Thrillerhimmel des Jahres 2024. Tolle Charaktere, die uns hoffentlich auch 2025 mit „Die Nacht“ begegnen werden. Ein starker Thriller - unbedingt lesenswert.
Michael Sterzik

Samstag, 27. April 2024

Extinction - Wenn das Böse erwacht - Douglas Preston


Kann der Mensch wirklich „Gott“ spielen und Leben erschaffen, in die Evolution eingreifen und mit Hilfe modernster Gentechnik längst ausgestorbene Tiere und Pflanzen wieder zum Leben erwecken? Ich bin sicher, das ist möglich, nicht erst seit Dolly dem Schaf. Es gibt genug Privatlabors auf der Welt. Vielleicht sind sie gerade dabei, die Zeit zurückzudrehen. „Das Leben findet einen Weg“ auch außerhalb des Reagenzglases, des abgeschirmten Labors. Dass ein solcher Traum zum Alptraum werden kann, steht in der Frage. Und aus dem göttlichen Funken könnte durchaus etwas entstehen, das man vielleicht nicht kontrollieren kann.
„Jurassic Park“ - der Roman des verstorbenen amerikanischen Autors Michael Crichton hat diese Vorstellung auch im Kino erfolgreich thematisiert. Doch schon bald könnte aus der Fiktion eine neue Realität werden. Douglas Preston, Teil des Autorenduos Preston & Child, liebt es, wissenschaftliche Themen mit spannenden Geschichten zu verbinden. Dabei werden auch schon mal paranormale Theorien verarbeitet - immer mit dem drohenden Fingerzeig: "Was wäre wenn?

Tief in den Rocky Mountains liegt das gigantische Ferienresort Erebus. Dank modernster Gentechnik können die betuchten Gäste wie vor Jahrtausenden wollige Mammuts, gewaltige Riesenhirsche und meterhohe Riesenfaultiere in ihrem natürlichen Habitat erleben. Als ein Millionärssohn und seine Frau entführt und im Hinterland tot aufgefunden werden, gerät eine Gruppe von gewaltbereiten Öko-Terroristen in Verdacht. FBI-Agentin Frances Cash und Sheriff James Colcord sollen den Fall schleunigst aufklären. Doch dann häufen sich die Morde, und der 400 Quadratkilometer umfassende Ferienort muss evakuiert werden. Inmitten der prähistorischen Flora und Fauna werden Cash und Colcord mit etwas Bösem konfrontiert, dem es nicht ums Neubeleben, sondern ums Auslöschen geht …(Verlagsinfo) 

Man erkennt beim Lesen schnell gewisse Parallelen zu „Jurassic Park“. Auch hier wird eine neue Welt erschlossen. Für Außenstehende hermetisch abgeriegelt, wird dieser Park gegen ein gewisses Entgelt natürlich gerne der Öffentlichkeit gezeigt. So ist es nicht verwunderlich, dass hier hinter den verschlossenen Labortüren grundsätzlich etwas schief gelaufen ist. Aber was wurde geweckt und warum sollte es gleich „böse“ sein? Weil die neue/alte Lebensform nach Freiheit ruft und konsequent lieber selbstbestimmt leben möchte, als eine künstliche Marionette für ein Vergnügen und die Forschung zu sein? Ist das also „böse“?

Es dauert sehr, sehr lange, bis der Vorhang gelüftet und das „Böse“ präsentiert wird. 
Der eigentliche Spannungsbogen, der sich bis dahin hätte entwickeln können, wurde nicht aufgebaut. Stattdessen gab es die Suche nach den beiden verschwundenen Besuchern, endlose Dialoge über die Richtung der Ermittlungen und viele andere Ereignisse, die schließlich in einer Sackgasse endeten.

Keiner der Protagonisten ist in der Lage, die erzählerische Bühne wirklich auszufüllen und, wenn auch zu Beginn keine Spannung aufkommt, so doch zumindest eine spannende Atmosphäre zu erzeugen. Zum Ende hin überschlagen sich die Actionszenen und es kommt Spannung auf, die aber auch nur von kurzer Dauer und Intensität ist. 

Wissenschaftlich plätschert die Geschichte auch so vor sich hin, erst im Nachwort erfahren wir vom Autor selbst eine Momentaufnahme der vielleicht schon jetzt angedachten Möglichkeiten, mit Hilfe der Gentechnik Leben zu schaffen, das heute vielleicht noch als „ausgestorben“ bezeichnet werden kann.

An sich kein schlechter Roman, aber inhaltlich zu schwach, um wirklich zu überzeugen. Eine Fortsetzung ist nicht ausgeschlossen, aber dann weniger wissenschaftlich und mehr als „Märchenstunde“.

Fazit

Inhaltlich schwach, gelegentlich spannend - das Nachwort glänzt mit Informationen, die besser in die Geschichte selbst hätten integriert werden sollen.

Michael Sterzik

Samstag, 3. Juni 2023

Liar - Seve Cavanagh


Es gibt Justizthriller, deren Story sich nicht auf die Tat konzentriert, sondern auf den Schlagabtausch im Gerichtssaal. Verteidigung gegen den Staatsanwalt – die Geschworenen sind das Schlüsselelement und entscheiden oftmals auch zwischen Leben und Tod. Das amerikanische Rechtssystem im Gerichtssaal inkludiert auch viel Theater, viel Dramatik und die Knöpfe der Emotionalität, die man bei den Geschworenen oftmals aktiviert, entscheiden zwischen Schuld und Unschuld.

Was ist Lüge und was ist Wahrheit? Nicht immer einfach – und es gibt ein sattes Minenfeld an Halbwahrheiten, perspektivischen Grauzonen und schmerzhaften Tatsachen, denen man sich nicht stellen möchte – aber ausweichen ist auch keine Option.

Hier wird manipuliert und Verteidigung und Staatsanwalt bauen sich lange vor Prozessbeginn eine Strategie auf – ein fast schon minutiöses Drehbuch. Das größte Risiko ist die Unwissenheit – die versteckten Lügen der Zeugen, die Wahrheiten, die sich ggf. vor den polizeilichen Behörden noch nicht offenbart hatten, die aber jetzt auftauchen könnten. Ein Rotstift – der das Drehbuch einäschern könnte.

Der Autor des vorliegenden Titels: „Liar“ – Steve Cavanagh ist Jurist. Seine Schwerpunkte Strafrecht und Prozessführung machten ihn zu einem erfolgreichen Bürgerrechtsanwalt. Er weiß also sehr genau, wovon er schreibt.

Leonard Howells durchlebt einen Albtraum: Seine Tochter Caroline wurde entführt und dabei lebensgefährlich verletzt. Nur einem Mann traut Howell zu, sie zu retten: Eddie Flynn. Eddie weiß, wie es ist, eine Tochter zu verlieren. Und als ehemaliger Betrüger und jetziger Spitzenanwalt kennt er alle Tricks, um seine Gegner hinters Licht zu führen. Doch als die Lösegeldübergabe scheitert und Leonard Howells selbst unter Verdacht gerät, sind plötzlich zwei Leben in Gefahr. Irgendjemand zieht im Hintergrund die Fäden in einem Spiel, das vor vielen Jahren begann. Und in dem Eddie bald nicht mehr weiß, wer die Wahrheit sagt, und wer lügt ...(Verlagsinfo)

Inzwischen gibt es 7 Bände um den ehemaligen Trickbetrüger und jetzigen New Yorker Anwalt Eddie Flynn. „Liar“ ist der dritte Band – die Titel kann unabhängig voneinander lesen.

Kommen wir also zurück zum Thema „Justizthriller“. Seve Cavanagh beweist als Autor ein hohes Talent. Seine unkonventionelle Art eine nachhaltige Spannung zu erzeugen, ist brillant. Seine Trickkiste, die er bei seiner Figur Eddie Flynn öffnet, ist ebenfalls eine kleine Schatztruhe. Eddie Flynn ist und bleibt ein Trickbetrüger, aber ein ehrlicher, der vor Ort alle seine Tricks sehr gezielt einzusetzen vermag: theatralische Überzeugungskraft, Ablenkung und Irritation und zum Schluss weiß selbst der Zeuge, der Angeklagte, der Richter und der Staatsanwalt nicht mehr, was hier eigentlich passiert. Eddie Flynn zieht seine persönliche Show durch.

Sei es drum – er hat ein starkes Verständnis für die Wahrheit, verfügt über einen genialen Verstand und er ist und bleibt ein talentierter Trickser.

Das Tempo der Handlung ist ausgewogen. Der Fall ist recht kompliziert und jede Partei verstrickt sich selbst in diesem Netz voller falschen Verdächtigungen, voller schauspielerischer Manipulation und letztlich auch Überraschungen die plötzlich da sind.

Es zieht sich ein wenig hin, bevor man Eddie Flynn in den Gerichtssaal  begleitet. Da die Story sehr, sehr komplex ist, muss man sich stark konzentrieren und sehr aufmerksam lesen, um auch nur zu erahnen, wie das Verbrechen wirklich stattgefunden hat. Trotzdem ist man am Ende sehr, sehr positiv überrascht über das Konstrukt, dass sich Steve Cavanagh ausgedacht hat. Gerade vor Gericht zeigt sich die Klasse der Protagonisten und der komplexen Handlung.

Auch die anderen Figuren brillieren in Ihrer Darstellung und manchmal auch in ihrer Verwandlung. Special Agent Harper ist wieder mit von der Partie und auch Eddie Flynns Freund und Mentor Richter Harry Ford hat eine wichtige Nebenrolle. Starke Figuren, die viel dazu beitragen, der Story eine Tiefe zu geben. Auch die Ermittlungsarbeit, die wie ein Puzzle aufgebaut ist, wirkt sich stark auf die Intensität aus. Es folgen immer wieder neue Elemente, die alles wieder gekonnt auf einen neuen Ausgangspunkt setzen.

Der Trick des Erfolges ist der Trick eine Atmosphäre zu schaffen, der das „Böse“ vielfältig zeigt, aber den Wahrheiten ebenfalls viel Perspektive gibt.

Fazit

Das Gesicht der Lüge und der Wahrheit – so spannend erzählt, dass sich wünscht im Gericht zu sein. Perfekte Unterhaltung dank toller und vielseitiger Figuren.

Michael Sterzik

Donnerstag, 1. Juni 2023

Die Verborgenen - Linus Geschke

Was wissen wir über die Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung? Kennen wir all ihre Geheimnisse, all ihre Sünden? Was wissen wir über die Wünsche, die Sehnsüchte und Hoffnungen unserer Lieblingsmenschen? Diese „Verborgenen“ Emotionen sind ein Teil eines jeden Menschen. Wir alle haben Empfindungen, die man gleichwohl auch als besagte „Leichen im Keller“ bezeichnen könnte. 

 

Wie be- und verurteilen wir die Menschen, die wir meinen, so gut zu kennen? Sind wir so tolerant wie man es erwartet, wie wir es selbst von uns erwarten? Wir sind alle Schauspieler und wir übernehmen die Regie für unser eigenes Leben. Wir manipulieren, verbiegen, verbergen Wahrheiten und Lügen vor uns selbst und vor anderen. Niemand kennt uns so gut, wie wir selbst. 

 

Das führt selbstverständlich zu Konflikten in Freund- und Partnerschaften, wenn vielleicht nur ein Bruchteil dessen, was wir verschleiern wollen, an die Oberfläche treibt. Diese persönlichen Offenbarungseide können alles zerstören und diese leidenschaftlichen Tsunamis können auch viele andere Menschen mitreißen.

 

Selbst in unseren Wohnungen und in unseren Häusern verstecken wir Teile unserer Vergangenheit und Gegenwart. Das kann vieles sein; Gegenstände, Tagebücher, Urkunden, Schmuck, Erinnerungen usw. – es gibt kein Haus und keine Wohnung, in denen nichts vor den Augen anderer versteckt wird. 

 

Stellen wir uns nun vor, dass, wenn wir schlafen, jemand im Schatten, in der Dunkelheit stehend uns beobachtet. Wir sind schutzlos ausgeliefert und ahnen nichts von einer Gefahr in unmittelbarer Nähe. Stellen wir uns vor, wir verlassen unsere Wohnung und jemand schleicht durchs Haus und sucht systematisch unsere materiellen Schwächen. Vielleicht bedient sich die Person an unserem Essen, duscht und kleidet sich mit unseren Sachen ein? Ein unvorstellbarer Gedanke – aber leider auch Realität. 

 

Es gibt diese Menschen, die in Häusern in verstaubten Dachböden und dunklen Kellern hausen und nur darauf warten, dass die Räumlichkeiten und Bewohner schlafen, oder diese das Haus verlassen. Diese Eindringlinge werden als „Phrogs“ bezeichnet, abgeleitet von englischen „frog“ (Frosch). Sie bleiben nicht lange an einem Ort, sie ziehen bald weiter, vielleicht wenn es langweilig wird, sie alles entdeckt haben, oder die Bewohner ahnen, dass sie ggf. nicht mehr alleine sind. 

 

Linus Geschke hat all diesen Themen eine Bühne in dem vorliegenden Roman: „Die Verborgenen“ gegeben.

 

Sven und Franziska Hoffmann haben alles, wovon sie einst träumten: eine wunderbare Tochter und ein traumhaftes Haus an der Küste. Alles könnte perfekt sein. Doch dann dringt jemand heimlich in ihr Haus ein. Der ungebetene Gast bedient sich an ihrem Essen, stöbert in ihren Schränken und steht neben ihren Betten, wenn sie schlafen. Als dann noch Gegenstände verschwinden und fremde Fußspuren im Keller auftauchen, bezichtigen sich die Eheleute gegenseitig. Je merkwürdiger die Vorgänge in ihrem Haus werden, desto mehr bröckelt die makellose Fassade der perfekten Familie. Und genau das ist es, was der Eindringling will …(Verlagsinfo)

 

Linus Geschke beweist mal wieder sein vielseitiges Talent. „Die Verborgenen“ ist kein Actionkracher, es ist ein eindrucksvoller und hoch unterhaltsamer Psycho-Thriller. Die Spannung liegt erst verborgen in diesem Haus der Familie, liegt versteckt hinter der Fassade jedes einzelnen Bewohners. Und genau hier fängt die atmosphärische Raffinesse an. Sven, Franziska und ihre Tochter Tabea lassen tief in ihr innerstes Selbst blicken. Sie alle nehmen eine erzählerische Perspektive ein, wie auch „Die Verborgenen“ selbst. Lügen, Wahrheiten, gespielte Emotionen und kriminelle Entgleisungen, Hass, Wut und auch die Liebe – all diese idealisierten Gefühle spielen über die Personen ausgedrückt die wesentliche Rolle. 

 

Tiefer und tiefer tauchen wir in die Psyche dieser Menschen ein und diese präsentieren uns viele verschiedene Abstufungen ihrer perspektivischen Wahrheit. 

Wir fangen unbewusst damit an, diese Menschen zu ver- und zu beurteilen, wir empfinden Sympathie und Antipathie, nur um wenig später festzustellen, dass alles verborgen ist – auch unser empfundenes Bild dieser Figuren. Auch in die Psyche der „Verborgenen“ dringen wir ein – aber langsamer. 

 

Die Spannung schleicht sich langsam, aber stetig in unsere Köpfe. In den einzelnen Kapiteln kommen immer mehr und mehr Wahrheiten auf den Flur der „Wahrheiten“. Diese sammeln sich in einem Kessel voll von brodelnden Gefühlen, der bald mit einer zerstörerischen Wucht explodieren wird. 

 

Lüge und Wahrheit – sind zwei Geschwister in diesem Roman. Sie zanken sich in jedem Kapitel, doch einen strahlenden Finalisten wird es nicht geben. Selbst ein Happy End –  ist nicht frei von Schuld. 

 

„Die Verborgenen“ ist komplex und komplett psychologisch aufgebaut. Linus Geschke beschreibt diesen Roman, als sein „Herzstück“ – ist es auch – ein Roman mit Verstand und Gefühl konzipiert. 

 

Es gibt nicht viel Kritik. Das Ende wird mit Überschallgeschwindigkeit erzählt, und leider bleiben hier die Charaktere der Familie etwas im „Abseits“ sehen. Einen insgesamt vollendeten Abschluss in Hinblick auf eine kleine Aussicht dieser Figuren auf die Zukunft wäre der Story dienlich gewesen. 

 

„Die Verborgenen“ ist eine abgeschlossene Geschichte. Einen weiteren Teil wird es nicht geben. Ich hoffe allerdings, dass Linus Geschke – den Psycho-Thriller für sich entdeckt hat. Intelligent und facettenreich – mit viel Gefühl, das manchmal lauter ist als der Schuss einer Waffe und auch vernichtender sein kann. 

 

Fazit

 

Eine intelligente Offenbarung von Wahrheit und Lüge, hinter der Fassade von Menschen. Perfektes Spiel, bei dem jeder gewinnt und verliert. Unbedingt lesen. 

 

Michael Sterzik



  

Samstag, 22. April 2023

Der Morgen - Marc Raabe


Die Wahrheit – aus verschiedenen Perspektiven ist diese für die unterschiedlichen Menschen nicht immer gut. Sie kann verletzen, sie kann befreien und ebenfalls eine Bürde sein. Die Wahrheit ist eine variabel in einer Gleichung voller unbekannten Faktoren. Interpretierbar und man kann sie auch in jegliche Richtung verbiegen.

Letztlich drängt sie sich immer ans Licht und nur der Zeitpunkt könnte eine Überraschung sein. Die Wahrheit ist in der Realpolitik aus verschiedenen Standpunkten heraus gesehen nicht unschuldig. Und auch in Gesetzen und Vorschriften wirkt sie manipulierbar und äußerst angespannt.

Im neuesten Thriller von Marc Raabe geht es um die Wahrheit verschiedener Personen, in unterschiedlichen Berufen, um eine Freundschaft, eine Schuld und Rache. Marc Raabe jongliert mit vielen Themen wie z.B. die mediale Manipulation von Fakten, dem Einfluss von journalistischer Berichterstattung und um öffentliche Personen für die, die „Wahrheit“ Angriff oder Verteidigung darstellt.

Dabei beweist die Handlung eine hohe Aktualität von brisanten Themen und Marc Raabe geht originelle Wege mit seinen Figuren. Auch wenn der „Bundeskanzler“ in Person hier eine gewisse Nebenrolle spielt, so wird es nicht politisch. Hier wird dieser als „Mensch“ gezeigt, der aber seinen als öffentliche Person, politischen Anzug immer trägt. Aber ist er „Unantastbar“ wenn die Vergangenheit ggf. ans Licht kommt, so nachvollziehbar wie jugendliche Handlungen auch sein mögen? Als öffentliche Person werden alle Nuancen der Vergangenheit, der Gegenwart und einer geplanten Zukunft transparenter als man glauben mag.

Im morgendlichen Schneegestöber an der Berliner Siegessäule steht ein verlassener Kleinlaster. Auf der Ladefläche findet die Polizei eine halbnackte tote Frau. Jemand hat ihr mit roter Farbe etwas auf den Körper geschrieben - die Privatadresse des Bundeskanzlers.
Am Tatort trifft die unerfahrene und ehrgeizige Kommissar-Anwärterin Nele Tschaikowski auf den berüchtigten Ermittler Artur Mayer. Was sie nicht wissen: Das ist kein Zufall.( Verlagsinfo)

Das Ermittlerduo bestehend aus Art Mayer und Nele Tschaikowski ist ambivalent. Der erfahrende alte Wolf und der junge Nachwuchs. Beide starke Charaktere mit unkonventioneller Methodik eine Ermittlung durchzuführen. Die Figuren sind stark und tiefgehend erzählt. Die Vergangenheit von Art spielt eine große dramatische Rolle und verbindet den Kriminalfall und alte Freunde und Feinde. Die Wellen, die der junge Art und seine Freunde auslösen, erreichen sehr schnell die Gegenwart und dieser emotionale Tsunami könnte ihr Leben auf immer verändern.

Die Dialoge sind herausragend gut und Marc Raabe versteht es auch dadurch, die Stärken und Schwächen seiner toll aufgestellten Figuren sympathisch und authentisch darzustellen. Die Verletzlichkeit aller Charaktere unterstreicht nur noch mehr die gegenwärtige Spannung. Diese ist hoch – sie dreht und wendet sich, und viele Szenen kommen überraschend daher. Marc Raabe spart auch nicht den gegenwärtigen journalistischen Einfluss zu beschreiben. Wo fängt die Pressefreiheit an – wo hört sich auf – da wären wir also wieder beim Kernthema: der „Wahrheit“.

Loyalität und steht eine Freundschaft außerhalb der Gesetze? Genug Zündstoff um gesellschaftliche Themen genauer zu hinterfragen Der Balanceakt von Marc Raabe gelingt sehr gut – so spannend, tiefgründig und unkonventionell erzählt – damit gehört der Titel „Der Raabe“ zu einem Roman, den man unbedingt lesen sollte.

Er ist auch der Auftakt einer neuen Serie und beide Hauptfiguren haben viel Potenzial für weitere Storys.

Fazit

Ein Meisterwerk, das mit aktuellen Themen eine Spannung erzeugt, die fast beispiellos ist. Originelle Story, die eine perfekte Unterhaltung bietet. Prädikat: Ein must-read-Titel.

Michael Sterzik

Dienstag, 14. März 2023

Brennender Zorn - Line Holm und Stine Bolther


Das ist schon nicht ganz einfach mit der Vergangenheit, vieles kann man verdrängen, ignorieren, ausblenden, und sich doch in Sicherheit wiegen, dass es niemals an die Öffentlichkeit kommt, oder sowieso einen einholt. Doch die Realität beweist, dass es oftmals ganz anders ist. Und Jahre, womöglich Jahrzehnte später geht diese stille Zeitkapsel dann mit einem Knalleffekt hoch, und es ist laut, unangenehm, unfreundlich und verdammt unpassend.

Schicksal – oder ist diese eine Methode des Universums uns daran zu erinnern, dass es universelle Gesetzmäßigkeiten gibt und uns die lange Nase zeigt?

Es passiert immer wieder, dass ein alter „Cold Case Fall“ gelöst, oder der Täter durch Zufall überführt wird. Ja, sicherlich wird nicht alles aufgeklärt, aber die Schatten der Vergangenheit werden immer mal wieder ausgeleuchtet.

In dem vorliegenden Band „Brennender Zorn“ geht es um ein Verbrechen, das über 70 Jahre zurückliegt, also faktisch im Zweiten Weltkrieg geschehen sein musste. Ein Kriegsverbrechen, oder nur ein Mord und kann man das Opfer und den Tathergang noch rekonstruieren? Der erste Handlungsstrang verspricht also eine mysteriöse Spannung. Zurück in unsere Zeit, mit aktuellen Themen, die auch in Dänemark mit einer gewissen Brisanz zu sehen sind. Die Kritik am Staat, seinem Rechtssystem, seinen polizeilichen Behörden, inmitten einer sowie politischen unruhigen Zeitenwende. Die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung ist ansteigend, die personelle Besetzung bei der Polizei fällt immer schwächer aus. Die Behörden sind nicht planlos, nur manchmal bis an die Grenzen unterbesetzt. Die Willkür der Bürger wird geweckt, viele nehmen sich das Recht heraus: Staatsanwalt und Richter spielen zu können und zu wollen und bewegen sich mitunter jenseits aller Gesetze und reden wir doch erst gar nicht von einem moralischen Kompass.

In Jütland wird das Skelett einer jungen Frau gefunden. Sie starb durch einen Schuss in den Nacken. Die Tat liegt über siebzig Jahre zurück, Polizeihistorikerin Maria Just übernimmt die Ermittlungen. Währenddessen wird der Leiter des Dezernats für Gewaltverbrechen in Kopenhagen überfahren und beinahe getötet. Die Polizei steckt in einer tiefen Krise, und in diesem aufgeheizten Klima soll Kommissar Mikael Dirk herausfinden, wer den Anschlag auf seinen Chef verübt hat und das Land destabilisieren will. Als es zu einem weiteren Attentat kommt, erhält Mikael unerwartete Hilfe von Maria. Wer profitiert davon, wenn die Polizei ihr Gewaltmonopol verliert, und was verbindet die tote junge Frau mit den Tätern von heute? (Verlagsinfo)

Vergangenheit und Gegenwart im Staate Dänemark. Vor 70 Jahren war Europa vom Krieg überschattet und eine gewisse grausame Eigendynamik entwickelte sich. Rache, Vergeltung, alte Rechnungen und totale Willkürlichkeit einzelner militärischer und paramilitärischer Gruppen und aus Opfern konnten so auch Täter werden.

„Brennender Zorn“ ist der zweite Band um die Polizeihistorikerin Maria Just und dem Kriminalbeamten Mikael Dirk. Der erste Band „Gefrorenes Herz“ war als Debütroman schon sehr gelungen, doch der vorliegende ist vielseitiger, die Charakter intensiver dargestellt, die Kombination von historischer Gegenwart und aktuellen Herausforderungen ausgewogener.

Beide Handlungen sind auf ihre Art brillant erzählt. Das die gegenwärtige die Innenpolitik aufgreift und auch die Machtkämpfe der Politiker thematisiert werden, ist ebenfalls hoch spannend. Die beiden Autorinnen schildern ihre Story sehr authentisch und ziehen keine Grenze zwischen Gut und Böse – oder Opfer und Täter. Diese „Neutralität“ verspricht eine spannende Realität und katapultiert allerlei Themen aufs Podium. Rechtspopulismus, die Wut und Anspannung innerhalb der Gesellschaft, die verzweifelte Hilflosigkeit der Ermittlungsbehörden und letztlich die verschiedenen Interessen einzelner Politiker.

Die beiden Hauptfiguren Maria Just und Mikael Dirk sind „erwachsener“ geworden und agieren einzeln wie auch vereint sehr nachvollziehbar. Das beider Privatleben immer mal wieder in kleinen Szenen aufgeweckt wird unterstreicht nur die sowieso allgegenwärtige Spannung. Es gibt wenig Nebenpersonen – eine tragende ist die des Kollegen von Mikael, der im ersten Teil in Notwehr einen Menschen töten musste, um beider leben zu retten. Die Spannungen zwischen diesen beiden schaukeln sich hoch und sind auch nach Band 2 noch lange nicht am Ende. Dies ist auch für mich einer der wenigen Kritikpunkte, denn diese nun platzierte Nebenfigur hätte man mehr einbeziehen müssen.

Mikael steht im absoluten Fokus der Handlung und immens unter Druck. Als inzwischen Leiter für das Dezernat für Gewaltverbrechen muss er nun „Zähne“ zeigen, koordinieren, leiten und Entscheidungen treffen. Spannung also innerhalb von diversen Spannungen. Auch zwischenmenschlich geschieht also auf verschiedenen Ebenen, mehr als vergleichbar in Band 1 es der Fall war.

Am Ende und es ist nicht das Ende dieser Reihe – gibt es eine ganze Reihe von etwaigen Wahrscheinlichkeiten und Alternativen, die ggf. den zu erwartenden dritten Band noch spannender gestalten könnte.

Sehr lobenswert auch, dass der Leser einen Blick in die Vergangenheit Dänemarks werfen kann, die allerdings ähnliche Herausforderungen hatten, wie andere europäische Länder, die unter deutscher Besatzung waren.

Fazit

Par exellence - einer der spannendsten Kriminalromane in diesem Jahr und eine Reihe, die man nicht verpassen sollte. Alles richtig gemacht.

 

Michael Sterzik

Samstag, 4. Februar 2023

Tanz mit dem Tod - Christian v. Ditfurth


Das Berlin der 1930 Jahre, war politisch, kulturell und sozial gesehen ein gefährlicher, unruhiger Ort. Als Machtzentrum liefen hier alle Fäden des anfänglichen, dritten Reiches zusammen. Die NSDAP, die SA, die SS – sie alle formierten sich, um ihrem Führer dienlich zu sein und um ein neues Deutschland zu erschaffen. Dafür waren diesen alle Mittel recht, sie scheuten nicht vor Mord zurück, ihre Weltordnung musste durchgesetzt werden. Ein totalitärer, verbrecherischer Staat, der in den 30-Jahren gebildet wurde, und der 1939 den zweiten Weltkrieg entfachen sollte. Die deutsche Bevölkerung war depressiv, verunsichert, in ihren Augen gedemütigt und hatte kein Ziel vor Augen. Eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte vor, Veteranen des 1. Weltkrieges und demoralisierte Politiker waren sich uneins – einzig und allein einte sie die Verzweiflung und die Suche nach einem „Schuldigen“ für die Situation Deutschlands.

Es gab schon damals Widerstand in der Bevölkerung, sie sahen schon das schreckliche Antlitz eines neuen Krieges vor Augen, doch sie spielten fast alle mit, sie verrieten sich, ihre Mitmenschen, ihre Moral und Gerechtigkeit und Gesetzte wurden vielmehr zu Richtlinien, die nicht mehr die Kraft hatten, sich aufzulehnen.

Das vorliegende Buch von Christian v. Ditfurth „Tanz mit dem Tod“ spiegelt, die atmosphärische Angst der Menschen, aber nicht der Angst, sondern auch das verbrecherische Denken und Handeln.  

Berlin-Wedding, November 1932: Sieben SA-Männer stürmen eine Kneipe und erschießen Kurt Esser, Redakteur des KPD-Blatts »Rote Fahne«. Dem jungen Kriminalpolizisten Karl Raben gelingt es, den Anführer der Mörder, Gustav Fehrkamp, zu stellen. Doch kaum ist Hitler 1933 an der Macht, kommt Fehrkamp auf freien Fuß. Raben hat fortan nur noch einen Gedanken: Gerechtigkeit. Für sein Vorhaben geht er einen Pakt mit dem Teufel ein und arbeitet für die gerade gegründete Geheime Staatspolizei. Damit ist sein Leben in der Hand von Gestapo-Chef Reinhard Heydrich. Genauso wie das seiner Frau Lena, die jüdischer Herkunft ist. Wie kann ein Polizist für Gerechtigkeit sorgen, wenn das Unrecht die Macht ergreift?»Tanz mit dem Tod« ist der fulminante Auftakt einer historischen Krimireihe in Berlin. In den folgenden Bänden jagt Karl Raben Essers Mörder in den Zeiten des Aufstiegs und des Untergangs des Nationalsozialismus und löst den letzten Fall in der gerade gegründeten Bundesrepublik.(Verlagsinfo)

In der Geschichte begegnen wir einen Zeitgeist mit vielen Facetten und Christian v. Ditfurth öffnet die Büchse der Pandora und konfrontiert uns mit der Überlegung: „Wie hätten wir gehandelt“ – wären wir angepasste Mitläufer gewesen, oder Widerständler, denen jeden Tag bewusst ist, dass sie in Lebensgefahr sind?

Der Hauptcharakter Karl Raben vermischt sich in beidem. Sein Gerechtigkeitssinn lässt es zu, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen. Um den Roman geschichtlich zu intensiv wie möglich zu erzählen, begegnen wir den Schlüsselgestalten des Nazi-Regimes, Heydrich, Himmler, Röhm, Göbbels – die zusammen und gegeneinander um die Gunst des „Führers“ kämpfen, und natürlich auch eine Machtposition einzunehmen. Es ist erschreckend zu lesen, wie sehr diese Figuren die Menschen um sich manipulieren, verängstigen und wie Schachfiguren auf einem politischen Schachspiel ausnutzen. Kraftvoll, sensibel und verzweifelt kämpfend zeigen sich Karl Raben und seine Frau Lena, die sich mal anpassen, müssen, um nicht in den Mühlen des Regimes zerfetzt zu werden.

Christian v. Ditfurth zeichnet ein trauriges, aber reelles Bild dieser Zeit. Man braucht etwas an Zeit, um sich mit dem erzählerischen Stil des Autors zu akklimatisieren. Und auch wenn eine gewisse Hoffnungslosigkeit in jedem Kapitel zu finden ist – berühren einen die Dialoge der beiden Eheleute Karl und Lena – die auch nicht ohne Humor sind. Gerade der Part von Lena, ist aufmüpfig, frech und frisch und sehr, sehr selbstbewusst – doch auch sie kommt an ihre Grenzen.

Das „Richtige“ tun in einer Diktatur? Sich dem „Bösen“ bedienen, um eine andere „Bösartigkeit“ zu eliminieren? Heiligt der Zweck diese Mittel – der Roman gibt keine Antworten darauf. Alles in allem ist einer der Hauptdarsteller die „Dramatik“.

Die Ideologie der Nazis, die aus dem Quadrat Heydrich, Himmler, Goebbels und Röhm spricht, lässt einen schaudern. Allein dieser machtvolle Personenkult, der diese umgibt – und keiner sieht hinter den Kulissen und erkennt die Gefahr!? Erschreckend.

Das Buch besitzt durchaus Längen, da konnte der historische Kern des Autors, den Unterhaltungskünstler einfach mal ausstechen. Insgesamt aber animiert das Ende und des Romans den Leser sehr, auch zum zweiten Band zu greifen, wenn dieser veröffentlicht wird. Christian v. Ditfurth verleiht seinen Figuren eine so inhaltliche und charakterliche Tiefe, dass es ein Vergnügen ist, mit diesen zu leiden und zu leben.

Fazit

Der Pakt und der politische Tanz mit vielen Teufeln – ein spannendes Buch mit einem nachhaltigen, erzählerischen Echo.

Michael Sterzik



Samstag, 24. Dezember 2022

Rachejagd - Gequält - Stevens & Suchanek


Ein Gewaltverbrechen – der Täter wird verhaftet, vielleicht flüchtet er auch noch, das Opfer überlebt, vielleicht körperlich unversehrt – doch die Psyche dieses Menschen lässt sich nicht einfach wieder auf den Ursprungszustand zurücksetzen. Also zurück auf „0“ – alles verdrängt, vergeben, vergessen – findet mal so gar nicht statt. Viele Menschen erholen sich nicht – trotz aller therapeutischen Behandlungen, mit der man versucht die verletzte Seele zu reparieren. Posttraumatische Störungen können sich immer wieder einstellen – ein Geräusch, ein Geruch, eine situative Ähnlichkeit und schon findet man sich wieder in einer schrecklichen Zeitschleife gefangen, die mitunter eine seelische Qual ist.

Depressionen, Schamgefühl, Hilflosigkeit und vielleicht trägt man sich auch damit sein Leben zu beenden, um endlich dem Schmerz und der Angst zu entfliehen. Ein Überleben kann schrecklicher für das Opfer sein, wie der physische Tod.

Das Autorenduo Stevens & Suchanek greifen diese Themen in ihrer neuen Trilogie auf. Im Heyne Verlag ist nun der erste Band „Rachejagd – Gequält“ veröffentlicht worden.

Vor drei Jahren wurde Journalistin Anna Jones zusammen mit ihrer Freundin Natalie entführt und von ihrem Peiniger Edward Harris auf vielfache Art gequält. Anna konnte fliehen, Natalie starb. Diese Schuld verfolgt Anna bis heute. Als sie einen blutbefleckten Brief erhält, wird schnell klar: Edward Harris ist zurück. Nick Coleman, Annas Jugendliebe und FBI-Agent, nimmt die Ermittlungen auf. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Zane Newton, der Profilerin Lynette McKenzie und Nick versucht Anna herauszufinden, was Harris vorhat. Ein perfides Spiel beginnt, bei dem nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Ein Spiel, das nicht nur für Anna tödlich enden könnte. Ein Spiel, das nur ein Ziel hat: Rache.(Verlagsinfo)

Der erste Band ist eine rasante Jagd nach dem Täter, nach einer Aufarbeitung, nach einem „Warum“, einer Rache und Vergeltung. Doch wofür das alles? Bringt es die Toten zurück? Kann es den Schmerz der Vergangenheit auflösen? „Rachejagd – Gequält“ ist viel Action, viele Irrungen, Wendungen, Überraschungen, denen man begegnet, allerdings ist es manchmal etwas zu übertrieben und Logik und eine vernünftige, nachvollziehbare Strategie sich dieser Bedrohung zu stellen gibt es nicht.

Spannend und unterhaltsam ist dieser Roman – aber weit davon entfernt, realistisch zu sein. Es ist ein wenig wie „Gute Zeiten – schlechten Zeiten“ , wobei die schlechten Zeiten dramatisch überwiegen.

Die Action steht hier als Platzhirsch auf der erzählerischen Bühne. Klassische Ermittlungsarbeit des FBI wird nicht thematisiert. Die Ermittlungsgruppe, eine hochintelligente Profilerin, ein IT-Nerd, ein FBI-Agent zwischen Liebe, Vernunft und Pflicht, und ein ehemaliges Just-in-Time-Opfer, die wirklich anstrengend ist. Dieses Quartett soll also den Fall lösen – ohne weitere Hilfe von Behörden etc.? Schöne Räuberpistole, die sich hier vorstellt. Die Charakterzeichnung der Figuren ist ein großer Kritikpunkt, denn sind nicht mehr als oberflächlich entworfen, mit dem einen oder anderem Klischee kombiniert. Einzig und allein die Profilerin zeigt ein gewisses Profil und scheint auch ein Profi zu sein – allerdings ist dilettantisch in die Story eingebaut.

Die Story wird aus mehreren Perspektiven erzählt, leider viel zu wenig aus Sicht des Täters, das hätte der Spannung und vor allem der Tiefe gutgetan. Es wäre ein Duell auf Augenhöhe – hier ist nur ein actionreicher Schlagabtausch – schnell – hart – und vor allem stark übertrieben und unrealistisch.

Es kommt halt auch immer darauf an, mit welcher Erwartungshaltung man ein Buch aufschlägt. Ein intelligenter Thriller ist „Rachejagd – Gequält“ niemals – Popcornunterhaltung auf Papier. Unterhaltsam, locker und leicht – aber mag einen auch zu packen.

Kommen wir zum letzten und allergrößten Kritikpunkt. Was hat eine „Liebesgeschichte“ in einem derartigen Actionthriller verloren? Die Figuren „Nick“ und „Anna“ , eine Jugendliebe, die sich jetzt auch Jahre später noch nicht erwachsen anfühlt. Unweigerlich denkt man dabei, dass die beiden beim Untergang der Titanic zu dämlich gewesen wären, dass es auch nur einer auf diese Tür im eisigen Meer geschafft hätte. Verliebt sein – ja oder nein – eine Komödie in mehreren Akten – Ausgang ungewiss. Wertung: Absolut überflüssig.  

Die Reihe könnte trotzdem gut werden – weil die Geschichte einer Rache und Vergeltung interessant konzipiert ist. Die Frage nach dem: Warum? Weshalb? Wieso?  - rettet den Roman und motiviert den Leser mindestens auch nach Band 2 zu greifen.

Fazit

Unterhaltsam und spannend und die dunkle Seite ist interessanter und vielseitiger, vor allem nicht so langweilig wie die „Guten“. Hier gibt es viel Luft nach „oben“. Der zweite Band muss hoffentlich logischer und ruhiger sein. Mehr psychologische Raffinessen bitte – als sein oder Nichtsein, oder mache ich das jetzt, oder auch nicht.

Michael Sterzik