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Montag, 22. Juli 2024

Vermisst - Der Fall Anna - Christine Brand


In vielen Polizeidienststellen stapeln sich ungelöste Kriminalfälle - so genannte „Cold Cases“. Viele von ihnen sind in die Jahre gekommen und liegen teilweise seit Jahrzehnten in verstaubten Regalen und Schränken. Es gibt Abteilungen, die sich immer wieder mit Begeisterung und Motivation diesen historischen Verbrechen widmen - mit sehr unterschiedlichem Erfolg. 

Nicht zuletzt der technische Fortschritt, nicht nur neue Verfahren und Mittel in der Ermittlungstechnik, sondern auch im medizinischen Bereich der Analytik gab und gibt es Quantensprünge, die den Tatort oder den Tathergang in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen können.

Für die Angehörigen der Opfer bringt die Aufklärung des Falles Seelenfrieden und vielleicht auch Gerechtigkeit, sofern der Täter noch ermittelt werden kann. Auch für die Ermittler, die sich vielleicht jahrelang mit diesem komplexen Fall beschäftigt haben, wird es eine menschliche Erleichterung sein, diesen Fall abgeschlossen zu haben. 

Diese Cold Case - Geschichten werden inzwischen fast inflationär von vielen Krimi- und Thrillerautoren aufgegriffen. „True Crime“ - die wahren Verbrechen sind morbide, faszinierend und spannend und garantieren unterhaltsame Lesestunden. 

Christine Brand - Die Gerichtsreporterin und Bestsellerautorin aus der Schweiz greift in ihrem neuesten Roman „Vermisst“ einen historischen Kriminalfall auf.

Malou Löwenberg ist Kommissarin beim Morddezernat und ein Findelkind. Als sie Dario kennenlernt, ist sie von seiner Geschichte fasziniert: Darios Mutter verschwand an seinem fünften Geburtstag spurlos. Obwohl alles dagegenspricht, glaubt er, dass seine Mutter noch lebt. An ihre eigene Geschichte erinnert, beginnt Malou zu ermitteln. Sie stößt auf immer mehr Vermisstenfälle: Alle Frauen verschwanden am fünften Geburtstag ihrer Kinder und alle Kinder erhalten ebenso wie Dario bis heute mysteriöse Geburtstagskarten …(Verlagsinfo) 

Die Geschichte spielt in der Schweiz und ist wohl der Auftakt zu einer neuen Serie. 
Spannend ist der Roman - aber dass die Ermittlerin wieder einmal persönlich in den Fall verwickelt ist, ist schon ein wenig haarsträubend. Unterhaltsam ja - aber unglaubwürdig, auch wenn das Leben offensichtlich die besten Krimis schreibt. 

Eine Reihe von Vermissten, die möglicherweise auf das Konto eines Serienmörders gehen, der makabre Botschaften an Kinder schickt? Eine Kommissarin, die sich auf eine schräge Beziehung einlässt, die ebenfalls ohne Eltern aufgewachsen ist und nun die Scherben ihrer privaten und beruflichen Herausforderungen aufsammeln und sortieren will?

Natürlich geht es auch um Emotionen. Die Frage, ob die eigene Mutter noch lebt, der Verlust, die offenen Fragen, das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein - all diese Gefühle werden in die Figur des Dario implantiert. Aber auch die zweite Hauptfigur - Malou Löwenberg - rennt ihrer Vergangenheit hinterher und versucht über ihren demenzkranken Vater mehr über ihre Herkunft zu erfahren. 

So nehmen auch diverse Nebengeschichten viel Raum ein. Sie drängen die Haupthandlung nicht in den Hintergrund. Aber natürlich verlängern sie den Umfang des Romans ungemein. Christine Brand verbindet diese Elemente auf grandiose Weise, so dass, wenn man von Unterhaltung sprechen will, diese nicht geschmälert wird.

„Vermisst“ ist auf jeden Fall ein sehr unterhaltsamer Krimi und am Ende des Romans gibt es schon einen logischen Ausblick auf die kommende Handlung. Atmosphärisch interessant - manchmal nicht unbedingt logisch und die Hands-on-Mentalität von Malou übergreifend auch nicht als realistische Ermittlungsarbeit zu bezeichnen. 

Fazit

Ein spannender Krimi - der noch viel Luft nach oben hat. Ich empfehle dringend, die privaten Herausforderungen der Ermittler nicht immer in die Haupthandlung einfließen zu lassen. „True Crime„ schön und gut - „Real Life“ dann eher eine Räuberpistole. 

Michael Sterzik

Sonntag, 29. Mai 2022

Der Unbekannte - Christine Brand


Der aktuelle Titel: „Der Unbekannte“ ist der vierte Band einer Reihe um Nathaniel, der Journalistin Milla Nova und dem Ermittler Sandro Bandini. Man kann die drei vorherigen Bände „Blind“, „Die Patientin“ und „Der Bruder“ unabhängig voneinander lesen, aber empfehle ich es nicht, da man sonst die Charaktereigenschaften der Protagonisten nur schwer folgen kann.

Die Story spielt in der Schweiz und siehe da, auch hier erzählt die Autorin von paramilitärischen Einheiten, die von einer geheimen Regierungseinheit gesteuert werden. Alte Sünden ehemaliger Nachrichtenoffiziere und auch der Linksextremismus und die Unterstützung der Terroreinheit RAF werden hier als Themengebiete verwendet. Christine Brand jongliert diesen Themen gekonnt und verbindet sie am Ende alle. Die Perspektive der Opfer und Täter und manche Figuren sind beides – ist sehr spannend gelungen.

Nathaniel ist blind – seit seinem elften Lebensjahr, als sein Vater die gesamte Familie tötete und nur Nathaniel verletzt überlebte. So hat es ihm die Polizei erzählt, an die Geschichte glaubt Nathaniel seit nun drei Jahrzehnten. Er beschließt, sich endlich seiner traumatischen Vergangenheit zu stellen und verlangt Einsicht in die Fallakten. Doch die Unterlagen offenbaren Ungereimtheiten. Es scheint, als ob die Polizei etwas, was damals geschah, unter Verschluss halten möchte. Nathaniel realisiert, dass der wahre Mörder seiner Familie womöglich noch immer auf freiem Fuß ist – und sein Vater unschuldig sein könnte. Doch seine gute Freundin, die TV-Reporterin Milla, scheint ihm dieses Mal nicht helfen zu können, noch dazu da deren Freund Sandro Bandini als Polizist in die Vertuschung der Wahrheit über Nathaniels Familie verwickelt sein könnte. Es scheint, als sei Nathaniel auf sich allein gestellt ...(Verlagsinfo)

Da ich die anderen Titel vor diesem nicht gelesen habe, fällt meine Kritik ggf. etwas hart aus. An dieser Stelle kann ich nur noch einmal dringend empfehlen – die Vorgängertitel zu lesen.

Die Figuren und auch die Story ist mir viel zu oberflächlich ausgemalt.  Letzteres ist mir zu wenig im Detail ausgebaut. Der Hintergrund ist mir zu wenig definiert. Die erzählerische Aussicht ist mir zu unentwickelt, dabei hätten manche Personen so viel zu berichten gehabt.

Die Story wirkt authentisch, ist aber im Grunde natürlich fiktiv. Man kann sich die neutrale Schweiz schwerlich als ehemaligen Geheimdienstposten vorstellen. Das klang bisweilen ein bisschen absurd.

Gegen Ende des Romans nimmt die Spannung und die Unterhaltung wirklich Fahrt auf. Nicht nur ebendiese Spannung, sondern auch viel Sensibilität zeichnen das letzte Drittel aus. Leider gibt es da zu wenig davon – in dem langweiligen Intro passiert zwar viel – aber eben nicht im angemessenen Tempo.

Lobenswert ist der unterschwellige Humor, der in vielen Szenen schmunzeln lässt. Die Situationskomik beherrscht die Autorin und sie hat ein Faible für gesellschaftliche Randgruppen, ein Blinder, eine Kleinwüchsige und einige andere, interessante Charaktere menscheln munter hin und her und ganz klar gibt es viele Sympathiepunkte für die Blindenhündin, die schonmal etwas die Orientierung verliert.

Christine Brand schriftstellerischer Stil, ihr Umgang mit Sprache und Ausdruck ist hervorragend. Spielerisch entwickelt sich neben munterer Situationskomik dann selbstverständlich sehr sensible Szenen, die unter die Haut gehen.

„Der Unbekannte“ ist ein sehr solider, spannender Titel – den ggf. inhaltsvoller, ansprechender empfindet, wenn man die Vorgängertitel gelesen hat.

Fazit

Spannende Vielseitigkeit – intelligenter Humor und eine ansprechende Sensibilität.

Michael Sterzik

Dienstag, 12. Oktober 2021

Wahre Verbrechen - Christine Brand


Die Autorin Christine Brand weiß, wovon sie schreibt – es sind keine fiktiven Geschichten, über die sie schreibt. Als Journalistin hat sie die Prozesse vor Gericht begleitet, hat sich mit den Verbrechen auseinandergesetzt, recherchiert, mit Opfern und Polizisten gesprochen – so tief in das „Böse“ eingetaucht und damit in finstere, dunkelste Abgründe gesehen.

Das Leben schreibt die spannendsten und originellsten Geschichten und diese sechs Geschichten, die von Christine Brand erzählt sind nicht nur spannend, sondern vermitteln auch eine Botschaft, über die man sich Gedanken machen muss.

Ein Thema, auf das die Autorin hier eingeht, ist das Justizsystem – ist das Rechtssystem in der Schweiz und Deutschland fehlerfrei und objektiv genug, um damit wirklich „Recht“ zu sprechen, um der Gerechtigkeit zu entsprechen. Es bleiben eine Menge Fragen offen – Fehler in den Ermittlungen führen dazu, dass „Täter“ geschützt werden können, das ist leider auch keine Fiktion. Ein weiteres Faktum ist leider auch, dass unverhältnismäßig und bei offensichtlichen Unregelmäßigkeiten weggeschaut wird – und nicht nur das, über Monate hinweg werden diese merkwürdigen Ereignisse, die jegliche Statistik und Vernunft einfach einäschern, verdrängt und ignoriert. Das Ergebnis davon ist mörderisch. Es hätten mehrere Leben gerettet werden können, und viele Angehörige hätten sich unendliches Leid erspart.  

Ein unauffälliges Ehepaar wird zum tödlichen Duo – mit einem absurden Motiv. Ein Mann gesteht den Mord an seiner Frau und wird doch freigesprochen. Ein kleines Dorf wird von einer unvorstellbaren Tat erschüttert. Christine Brand, Autorin des Bestsellers »Blind« und weiterer Kriminalromane um ein Schweizer Ermittlerduo, war als Gerichtsreporterin bei den Prozessen zu diesen und anderen Fällen hautnah dabei und hat Einblicke in die Geschichten von Tätern, Opfern und Publikum wie kaum jemand sonst. Sie erzählt von den Verbrechen, spannender und oft unglaublicher als jeder Krimi, und davon, wie es ist, im Gerichtssaal zu sitzen und in die tiefsten Abgründe der Menschen zu blicken.(Verlagsinfo)

„Wahre Verbrechen“ von Christine Brand geht tief unter die Haut. Erschreckend, verstörend, beängstigend und es entwickelt sich auch eine gewisse Verärgerung. Die Kriminalfälle sind abgeschlossen – soweit so gut, aber das Leid für die Angehörigen ist allerdings ein Lebenslänglich. Stellt sich die Frage – was passiert mit diesen Angehörigen, wird ihnen geholfen, haben sie eine Begleitung in der schweren Zeit, damit meine ich keine finanzielle Unterstützung, es bringt die Toten nicht zurück?!

Der Blick hinter dem Spiegel des Verbrechens – diese Perspektive, die uns Christine Brand beschreibt, ist authentisch und spannend. Dass diese auch eine faszinierende Unterhaltung ist, steht außer Frage – doch lassen die Geschichten den Leser nicht los. Das Echo der Gewalt, der Wut und des Schreckens hallen noch länger nach.

Die Motive der Täter sind beängstigend – ein Blick in deren psychologischer grausamen Welt ist verstörend. Die Täter sind keine „Monster“ – man sieht  und merkt es ihnen nicht an, dass diese ggf. krankhaft veranlagt sind. Es könnte jeder von uns sein, der Nachbar, der Freund, der Bekannte – eine Person, die man meint zu kennen, aber gefährliche Soziopathen sind.

Christine Brand versucht zu erklären, welche Motive diese Straftäter hatten, welche Vorgehensweise sie gewählt haben, um Menschen bewusst zu töten. Sie erzählt von deren Auftritt vor Gericht, von dem Strafmaß und lässt auch das Leid der Angehörigen wirken. Genau das macht das Buch „Wahre Verbrechen“ zu einem wirklich hervorragenden Titel. Der Gesamtblick auf das Verbrechen – aus verschiedenen Perspektiven – keine dramatischen Momentaufnahmen, die in ein theatralisches Licht gesetzt werden.

Wer mehr über diese Fälle wissen möchte, dem wird es einfach gemacht über das Internet zu recherchieren. Christine Brand gibt es in ihrem Buch selbst ein Stimme – sie erzählt von ihren eigenen Emotionen, von Wut, einer Traurigkeit, von Mitgefühl – es ist auch eine persönliche Aufarbeitung von diesen Fällen, die sie als Journalistin vor Gericht begleitet hat. Völlig loslassen, sich nach dem Verlassen des Gerichtsgebäudes auf den Alltag einzulassen, ich vermute, dass das schwer war und nicht wirklich gut funktioniert.

Fazit

„Wahre Verbrechen“ von Cristina Brand ist exzellent erzählt. Der Schrecken, die Wut –alle Emotionen, die man empfindet, sich „wahr“ – das Echo der Gewalttaten klingt nach. Die Wut und die Verzweiflung der Angehörigen wird ein Podium geschaffen. Es bleiben kritische Fragen übrig, die zwar nicht beantwortet werden – aber die aufrüttelnd sind. Ein sehr, sehr starker Titel aus dem Genre „True Crime“. Prädikat: Unbedingt lesen.

Michael Sterzik