In vielen Polizeidienststellen stapeln sich ungelöste Kriminalfälle - so genannte „Cold Cases“. Viele von ihnen sind in die Jahre gekommen und liegen teilweise seit Jahrzehnten in verstaubten Regalen und Schränken. Es gibt Abteilungen, die sich immer wieder mit Begeisterung und Motivation diesen historischen Verbrechen widmen - mit sehr unterschiedlichem Erfolg.
Nicht zuletzt der technische Fortschritt, nicht nur neue Verfahren und Mittel in der Ermittlungstechnik, sondern auch im medizinischen Bereich der Analytik gab und gibt es Quantensprünge, die den Tatort oder den Tathergang in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen können.
Für die Angehörigen der Opfer bringt die Aufklärung des Falles Seelenfrieden und vielleicht auch Gerechtigkeit, sofern der Täter noch ermittelt werden kann. Auch für die Ermittler, die sich vielleicht jahrelang mit diesem komplexen Fall beschäftigt haben, wird es eine menschliche Erleichterung sein, diesen Fall abgeschlossen zu haben.
Diese Cold Case - Geschichten werden inzwischen fast inflationär von vielen Krimi- und Thrillerautoren aufgegriffen. „True Crime“ - die wahren Verbrechen sind morbide, faszinierend und spannend und garantieren unterhaltsame Lesestunden.
Christine Brand - Die Gerichtsreporterin und Bestsellerautorin aus der Schweiz greift in ihrem neuesten Roman „Vermisst“ einen historischen Kriminalfall auf.
Malou Löwenberg ist Kommissarin beim Morddezernat und ein Findelkind. Als sie Dario kennenlernt, ist sie von seiner Geschichte fasziniert: Darios Mutter verschwand an seinem fünften Geburtstag spurlos. Obwohl alles dagegenspricht, glaubt er, dass seine Mutter noch lebt. An ihre eigene Geschichte erinnert, beginnt Malou zu ermitteln. Sie stößt auf immer mehr Vermisstenfälle: Alle Frauen verschwanden am fünften Geburtstag ihrer Kinder und alle Kinder erhalten ebenso wie Dario bis heute mysteriöse Geburtstagskarten …(Verlagsinfo)
Die Geschichte spielt in der Schweiz und ist wohl der Auftakt zu einer neuen Serie.
Spannend ist der Roman - aber dass die Ermittlerin wieder einmal persönlich in den Fall verwickelt ist, ist schon ein wenig haarsträubend. Unterhaltsam ja - aber unglaubwürdig, auch wenn das Leben offensichtlich die besten Krimis schreibt.
Eine Reihe von Vermissten, die möglicherweise auf das Konto eines Serienmörders gehen, der makabre Botschaften an Kinder schickt? Eine Kommissarin, die sich auf eine schräge Beziehung einlässt, die ebenfalls ohne Eltern aufgewachsen ist und nun die Scherben ihrer privaten und beruflichen Herausforderungen aufsammeln und sortieren will?
Natürlich geht es auch um Emotionen. Die Frage, ob die eigene Mutter noch lebt, der Verlust, die offenen Fragen, das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein - all diese Gefühle werden in die Figur des Dario implantiert. Aber auch die zweite Hauptfigur - Malou Löwenberg - rennt ihrer Vergangenheit hinterher und versucht über ihren demenzkranken Vater mehr über ihre Herkunft zu erfahren.
So nehmen auch diverse Nebengeschichten viel Raum ein. Sie drängen die Haupthandlung nicht in den Hintergrund. Aber natürlich verlängern sie den Umfang des Romans ungemein. Christine Brand verbindet diese Elemente auf grandiose Weise, so dass, wenn man von Unterhaltung sprechen will, diese nicht geschmälert wird.
„Vermisst“ ist auf jeden Fall ein sehr unterhaltsamer Krimi und am Ende des Romans gibt es schon einen logischen Ausblick auf die kommende Handlung. Atmosphärisch interessant - manchmal nicht unbedingt logisch und die Hands-on-Mentalität von Malou übergreifend auch nicht als realistische Ermittlungsarbeit zu bezeichnen.
Fazit
Ein spannender Krimi - der noch viel Luft nach oben hat. Ich empfehle dringend, die privaten Herausforderungen der Ermittler nicht immer in die Haupthandlung einfließen zu lassen. „True Crime„ schön und gut - „Real Life“ dann eher eine Räuberpistole.
Michael Sterzik
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