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Mittwoch, 27. Oktober 2021

Witness X - Deine Seele ist der Tatort - S.E.Moorhead


Gedankenkontrolle – oder das Nachempfinden von Erfahrungen einer Person und das mit visuellen und Audio-Elementen – als würde man einen Film sehen, in dem man die Emotionen und tatsächlichen Erinnerungen des Protagonisten fühlt, sieht, riecht. Wäre dies realisierbar und wenn ja, in welchen medizinischen, therapeutischen Bereichen könnte man diese einsetzen? Wäre diese auch für die polizeilichen Behörden ein wertvolles Werkzeug um einen Tathergang zu analysieren?

Wir würden dabei ethische und moralische Türen eintreten. Ein Blick in das innerste „Selbst“ – ein psychologischer Offenbarungseid, der mitunter Gefühle und Ereignisse zeigt, die dessen Persönlichkeit verletzen könnten.

Die Idee ist nicht neu – erinnern wir uns an dem Film „Strange Days“ aus dem Jahre 1995. Hier wird die Technologie auf einer Cyberpunk-Bühne verwendet. Übrigens ist der Film sehr zu empfehlen.

Nun im Jahre 2021 angekommen, greift die britische Autorin S.E.Moorhead zu einer sehr ähnlichen Technologie in ihrem Debütwerk: „Witness X – Deine Seele ist der Tatort. Die Story spielt im Jahre 2035 – die digitale Technik hat sich natürlich auch bei Alltagsgegenständen verändert, ist kommunikativer, persönlicher geworden. Dabei ist das vorliegende Buch, aber keine Science Fiction, auch kein Cyberpunkroman mit wilden futuristischen Ideen. Es ist ein Thriller geworden und ein sehr spannender.

Sein Opferprofil: Heilige & Hure
Sein Tatort: London, jeden Februar
Sein Aufenthaltsort: ein Hochsicherheitsgefängnis ... Oder?

Wieder ist es Februar. Wieder wird eine brutal entstellte Leiche gefunden. Neuropsychologin Kyra Sullivan erkennt Parallelen zu den Taten des Februar-Killers, dem vor 14 Jahren ihre Schwester zum Opfer fiel. Sie fürchtet, dass es bald ein zweites Opfer geben wird und der Falsche hinter Gittern sitzt. Eine neue, höchst umstrittene Technologie könnte Kyra helfen, den wahren Killer zu stellen – doch die Folgen für ihre Seele wären schrecklich. (Verlagsinfo)

Ein Neuropsychologischer Thriller – mit wissenschaftlichem Fundament, und dabei noch nicht mal unrealistisch. Ein Erinnerungstransfer ist eine hochemotionale Reise in den Gedankenpalast eines anderen Menschen. Spannend und erkenntnisreich in jedem Fall – doch unsere Psyche ist noch immer in der Medizin zum Teil unentdecktes Land. „Witness X – überzeugt nicht nur über einen hochkomplexen Spannungsbogen, sondern überzeugt durch erzählerische Emotionen, die die Hauptperson Kyra an ihre Grenzen bringt. Diese touristischen Flashbacks in die Gedanken eines anderen funktionieren recht gut – aber die Nebenwirkungen und Effekte sind extrem nachhaltig. Kyra sieht „verstorbene“ Personen – als „Geister“ – als Phänomene. Sie ist sich nicht mal sicher – ob sie das träumt, oder diese real sind und mit ihr interagieren möchte. Hinzu noch erhebliche Vorwürfe, dass sie ihrer Schwester nicht helfen konnte und ist der Killer, den sie ins Gefängnis gebracht hat, wirklich der Täter, oder hat sie sich einfach emotional verwirrt und geirrt?

Die Story ist ungemein spannend und vielfältig. Tolle Dialoge präsentieren sich. Die Atmosphäre, in die uns die Autorin katapultiert, ist zum großen Teil sehr, sehr angespannt, manchmal düster und verzweifelt, aber nicht, ohne dass hier eine Hoffnung und Erlösung entstehen könnte.

Diese Dramaturgie wirkt überzeugend, dass Tempo der Story überschlägt sich nicht in wilden actiongeladenen Szenen. Die Raffinesse sind diese Gänsehautmomente, manchmal plötzlich auftretende explosive Emotionen, die den Leser überfallen.

Die erzählerischen Perspektiven wechseln souverän, sodass sie ein Gesamtbild zeigen bei dem Kyra, der Täter usw. ihre Beweggründe offenbaren. Aus dem wissenschaftlichen, technologischen Bereich erfährt man leider viel zu wenig. Hier hätte ich mir durchaus mehr Hintergrundwissen und Erklärungen gewünscht.

Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Fortsetzung geben könnte. Sicherlich ist es aber – dass ich empfehle den vorliegenden Roman: „Witness X“ zu verfilmen. Es lädt dazu förmlich ein, denn schon beim Lesen formt sich ein sprichwörtliches Kopfkino.

Der schriftstellerische Stil der Autorin ist sehr gut. Klar verständlich – auf den Punkt gebracht und doch sehr komplex erzählt. Haupt- und Nebenfiguren sind abgestimmt und es gibt nichts an überflüssigen Informationen, die ggf. die Story künstlich aufhalten.

Fazit

„Witness X – Deine Seele ist der Tatort“ ist ein Thriller, der emotionale Türen eintritt und gleich den Raum betritt und einfach konsequent bleibt. Großartiger Spannungsbogen – tolle Charaktere und viele Schockmomente, die perfekt inszeniert wurden. Einer der stärksten Thriller in diesem Jahr. Unbedingt lesen.

Michael Sterzik