Wir Menschen tragen die Gewalt wie ein
Gepäckstück durch die Jahrhunderte. Nicht alltäglich, aber selbst in unserer
hoch technisierten und fortschrittlichen Zivilisation gibt es sie in den
Nachrichten, in Filmen, Büchern, natürlich im Internet und manchmal auch bei
uns zu Hause selbst. Auch eine Seele kann mich brutal misshandeln und
verkrüppeln.
Das „Böse“, mit all seinen Schattierungen wirkt
faszinierend auf uns – sie sollte uns abschrecken, aber unser morbides
Interesse verhindert es. Es ist ein Teil unserer Persönlichkeit, ein dunkler
Zwilling, den wir beherrschen können und bei den meisten von uns, ist diese
unter Kontrolle und wir können uns beherrschen, dieses Gebot: Du sollst nicht
töten“ zu erfüllen.
„True Crime“ ein Sub Genre des Thrillers. Sind
die spannenden, blutigen Geschichten, die Autoren sich ausdenken nur Fiktion
und wenn ja – ist diese grausamer als die Wirklichkeit, die Wahrheit? Einfach
zu beantworten – die Realität ist um ein Vielfaches grausamer.
Im vorliegenden Roman: „Wolfswut“ von Andreas
Gößling orientiert sich der Autor an den authentischen Kriminalfall des Manfred
Seel. Im September 2014 fand die Tochter des Kleinunternehmers Manfred Seel in
der Garage mehrere Behälter mit Leichenteilen. Ihr Vater ist kurz zuvor an
einer Krebserkrankung verstorben. Die Tochter sichtete den Nachlass um den
elterlichen Haushalt und das Entrümplungsunternehmen ihres Vaters. Der Fund
löste eine ganze Reihe von polizei- und staatsanwaltlichen Ermittlungen aus,
die auch noch immer nicht völlig abgeschlossen sind. Die Akte Manfred Seel ist
noch nicht bereit geschlossen zu werden. Das hessische LKA ist immer noch dabei
Serienmorde aufzuklären.
Die Opfer waren Straßenprostituierte,
drogenabhängig ohne soziale, feste Bindungen. Unter den bisherigen zehn Morden
gab es auch einen männlichen Teenager und zwei Altenpflegerinnen. Die
Grausamkeit des Täters ist schockierend – man kann davon ausgehen, dass die
Opfer gefoltert wurden, die Amputationen und Organentnahmen bei vollem Bewusstsein
erlebten. Spuren weisen daraufhin, dass Manfred Seel diese nicht alleine
begangen haben konnte, doch wer war der Mittäter und mordet dieser noch immer.
Einige der gefundenen Organe lassen darauf schließen, dass Kannibalismus
ebenfalls stattfand.
Der Autor Andreas Gößling, der auch schon
zusammen mit Prof. Dr. Michael Tsokos eine ganze Reihe von erfolgreichen true
crime Thrillern geschrieben hat, schreibt nun solo weiter. Wenngleich die Story
natürlich authentisch ist, so sind es die Ermittler natürlich nicht. Die beiden
Kriminalbeamten Kira Hallstein und Max Lohmeyer ergänzen sich und weisen die
typischen Merkmale auf. Eigenständig, rebellisch, querdenkend, innovativ und
doch professionell. Schauplatz ist nicht Hessen, sondern die Megametropole
Berlin.
Auch wenn hier die Fakten mit Elementen der
Fiktion kombiniert werden, so ist die Story fast gänzlich realistisch. Sie ist
aber nicht das klare Spiegelbild, der ermittelten Erkenntnisse, die von den
realen Kriminalbeamten des LKA gefunden wurden. Es gibt noch eine Vielzahl von
ungelösten Fragen, eine Menge von Antworten, sind noch ausstehend, vielleicht
werden diese niemals abschließend geklärt werden.
„Wolfswut“ ist ein wirklich wütender Thriller.
Spannung und Brutalität sind die zweieiigen erzählerischen Grundelemente. Das
einige Morde durch die Augen, bzw. die Dokumentation, der oder des Täters
geschildert wird, vertieft das Grauen. Die erzählerische Perspektive aus der
Wahrnehmung Kira Hallsteins sind temporeich, fast gehetzt wirken sie auf uns
und verstärken dadurch nur die düstere Atmosphäre.
Brutalität hin, oder her, sie ist nicht
überdimensioniert, zwar nahe dran, aber das Grauen hat noch andere Facetten. Der
Autor nimmt sich die Zeit, den Leser unsere Schattenwelt zu präsentieren. Wir wissen
von dieser, wir wissen von diesen Menschen, die jegliche Hoffnung fast
aufgegeben haben, die aus fernen Ländern gekommen sind mit den Träumen von
Frieden, Wohlstand, Familie im Gepäck.
Doch diese Träume werden. Zerbrochen - Zersetzt
- Zerschunden. Die Prostitution, der Drogenmissbrauch katapultiert diese jungen
Frauen und Männer in Vorhöllen unserer Gesellschaft. Ausgenutzt verkaufen Sie
sich als Ware an Männer, die ihre Gewaltbereitschaft an ihren Körper und Seelen
ausleben, ihren Hass kanalisieren und mit Gewalt fokussieren. Straßenstrich,
Bordelle, Privatwohnungen und das Darknet, - all diese Schauplätze finden sich
in „Wolfswut“ wieder.
Der Leser wird also grauenhaft mit einer
Realität konfrontiert, vor die er gerne die Augen schließt, wenn er diese
Straßen und Häuser in der Gegenwart sieht. Vielleicht war es nicht vom Autor
beabsichtigt, aber vielleicht sehen wir diese Menschen, dann mit einer anderen
Wahrnehmung. Vielleicht helfen wir auch ein wenig vor unserer eigenen Haustür.
Die Protagonisten der Handlung manchmal
ziemlich eindimensional gezeichnet. An der einen, oder anderen Stelle gelingt
es dem Autor, dass Grauen, dass die Beamten sehen und erleben, nachzuempfinden.
Es gibt einige Szenen und Erlebnisse, die wie ein Echo nachklingen beim lesen
von „Wolfswut“ – und dieser Korridor ist dunkel, kalt und einsam.
Es gibt nicht viel zu kritisieren. Das Ende des
Romans ist zwar in sich schlüssig, aber darstellerisch nicht nachvollziehbar.
Aber lesen sie selbst.
Ein weiterer Band ist in Vorbereitung. Ich bin
gespannt – welcher Vorlage sich der Autor aneignen wird.
Fazit
„Wolfswut“ ist das Echo unserer Furcht, ein
grausamer anhaltender Schrei, der sich breitmacht. Brutale Spannung und doch
noch leise genug, um gehört zu werden.
Michael Sterzik