Dienstag, 16. Februar 2010

Allwissend - Jeffrey Deaver

Allwissend – Jeffery Deaver

Die uns wohlbekannte Welt in der wir Lieben und Leben, in der wir miteinander und gegeneinander kommunizieren, in der wir Freund- und Feindschaften aufbauen und uns materielle Güter zulegen um unser „Leben“ so angenehm wie möglich zu gestalten, diese „heile“ Welt vermischt sich mit der virtuellen Welt des Internets.


Damit ist unsere Welt schon längst zu einem nicht mehr zu überschaubaren, kommunikativen Netzwerk mutiert. Viele Menschen verlieren den Bezug und die sozialen, menschlichen Bindungen in der realen, stofflichen Welt, und widmen sich mit aller Energie virtuellen Foren, Communities, Multiplayerspielen, Blogs usw. In diesen „offenen“ Plattformen muss sich der Anwender persönlich „profilieren“ sprich: eine virtuelle Persönlichkeit aufbauen. Das diese oftmals ein verzerrter Schatten seiner selbst ist, und sich der „Mensch“ mit Fähigkeiten, Aussehen, und einer falschen Persönlichkeit ausstattet, kann gefährlich sein, denn da alle Informationen „frei“ zugänglich sind, ist die Gefahr von Verleumdung, Mobbing oder gar Stalking ein ernstes Thema und das kann schnell zu einer gefährlichen Bedrohung führen, dass die reale Existenz zerstören kann.


Jeffery Deaver lässt in seinen zweiten Roman „Allwissend“ die Kinetikerin und Ermittlerin Kathryn Dance aus Kalifornien „online“ wie auch „offline“ auf Mörderjagt gehen.


Inhalt


Jeder kennt an Kurven oder Schnellstraßen die von Angehörigen aufgestellten Kreuze die den Unfalltod eines ihrer Lieben erinnern sollen. Oftmals werden am „Todestag“ Blumen oder eine Kerze an dieser Stelle zum Gedenken hingelegt.


Als ein junger Streifenpolizist am 25, Juni am Straßenrand eines Highways ein Kreuz und Blumen entdeckt, auf dem eindeutig, dass morgige Todesdatum – 26 Juni steht, geht er davon aus das die Trauerenden Angehörigen verwirrt haben und fährt ein wenig vorsichtiger nach Hause.


Doch am besagten Tag wird eine junge Schülerin fast zum Opfer eines brutalen Mörders. Tammy Foster findet sich gefesselt und geknebelt im Kofferraum eines Autos wieder der bei Ebbe inmitten eines Strandes stehen gelassen wurde, damit Tammy qualvoll mit der kommenden Flut in Panik und Angst ertrinkt. Tammy überlebt aber den Anschlag, da der Täter den Wagen nicht weit genug rausgefahren hat und Passanten das Auto rechtzeitig gesehen haben. Unterkühlt aber lebendig kommt Tammy mit einem Schrecken davon.


Der mysteriöse Fall wird der Dienststelle von Kathryn Dance zugeteilt und die Verhör- und Kinetikspezialistin beginnt mit ihren Ermittlungen. Kathryn fängt an Tammy Foster zum Hergang der Tat zu befragen. Kathryn ist eine mehr wie talentierte Psychologin und Kinesikerin die die Körpersprache – Gestik, Mimik usw. treffend analysieren und interpretieren und damit die Lügen und Halbwahrheiten von Kriminellen wie auch Opfern durchschauen kann.


Im Krankenhaus, im Gespräch mit Tammy, wird Kathryn schnell klar, dass die junge Frau nicht ehrlich zu ihr ist und ihr vielleicht nicht die volle Wahrheit sagt. Ihre ganze Körpersprache und ihr sprachlicher Ausdruck lassen vermuten, dass sie unsicher ist und vielleicht Angst hat. Aber wovon, vor wem? Kathryn beobachtet, aber konfrontiert Tammy nicht mit ihren Vermutungen. Still und ruhig lässt sie sich erzählen was Tammy von ihrer Entführung und dem Tathergang zu erzählen hat, oder besser gesagt was sie nicht sagt.


In ihrem Auto, in dem Tammy ertrinken sollte, finden die Behörden ihr Notebook, zwar vom Salzwasser beschädigt, aber Kathryn will unbedingt wissen was sich auf der Festplatte des Rechners befindet, vielleicht führen die privaten Daten von Tammy zu dem Täter, denn ein wirkliches Motiv bleibt weiter unklar. Hilfe bekommt Kathryn von Prof. Jon Bolling der an der hiesigen Universität lehrt und ein Experte für die „neuen“ Medien ist.


Tatsächlich gelingt es Prof. Bolling an die persönlichen Daten von Tammy zu kommen. Regelmäßig kommunizierte sie mit anderen Freunden auf einem Blog – dem Chilton Report. Tammy Foster hat sich ziemlich negativ über ein Thema ausgelassen, dass zwar nicht sie direkt, aber Freundinnen betreffen die bei einem Unfall ums Leben gekommen sind, der Fahrer – Travis Brigham hat überlebt und zieht den Zorn von einigen Bekannten und noch mehr unbekannten auf sich die ihn als Mörder abstempeln und ausgrenzen.


Travis ist in der Schule ein Außenseiter, ein Sonderling, gezeichnet mit viel Akne im Gesicht ein Einzelgänger der sich anscheinend auch viel „online“ bewegt. Als Kathryn Travis und seine Familie aufsucht, fällt ihr im Gespräch mit dem introvertierten Jungen auf, dass dieser innerlich vor Zorn bebt, und vielleicht ein Funken genügt um diesen ausrasten zu lassen....


So allem Streß kommt noch hinzu, dass die Mutter von Kathryn Dance des vorsätzlichen Mordes angeklagt und verhaftet wird. Sie soll einen lebensgefährlich verletzen Polizisten der im Krankenhaus lag aktiv getötet haben. Da in Kalifornien „Sterbehilfe“ gegen alle Gesetze verstösst, könnte auf Kathryns Ma bei einer Verurteilung die Todeszelle warten....


Noch am selben Abend wird Kathryn zu einem weiteren Tatort gerufen, und diesmal gibt es einen Toten. Wieder wurde ein Kreuz gefunden und Indizien weisen daraufhin das Travis der Mörder gewesen sein könnte....doch als Kathryn Travis und seine Familie aufsucht, ist dieser verschwunden....und mit ihm der Revolver seines Vaters......

Kritik


„Allwissend“ von Jeffery Deaver ist nach „Die Menschenleserin“ der zweite Band mit der Ermittlerin Kathryn Dance. Und wieder einmal hat es der Autor geschafft, einen großartigen und atemlos spannenden Roman zu veröffentlichen, dessen hochdotierter Platz in den Bestsellerlisten hochverdient sein wird.


Nicht nur das „Allwissend“ spannend und intelligent konzipiert ist, das ist noch längst nicht alles, denn in schnellen und gut eingestreuten Nebenerzählungen schafft es Jeffery Deaver den Leser auch hier zu überzeugen. Neben dem Hauptplot, was natürlich die Jagd nach dem „Kreuzkiller“ ist, sind die Nebenschauplätze wie z.B. die Anklage wegen Mordes die ihre Mutter betrifft und das Privatleben von Dance nicht minder unspannend. Im Gegenteil, die Nebenhandlungen sind ähnlich spannend und atmosphärisch so dicht wie der Hauptplot. Das schafft nicht jeder Autor, besonders nicht bei einem Thriller, aber Deaver gelingt das fulminant.


Das Tempo der Handlung ist gemessen an den Ereignissen und Szenenwechseln nicht zu schnell, oder zu langsam. Ebenso wechseln die Perspektiven, z.B. erzählen die Opfer wie sie die Entführung und das Grauen erleben, aber auch Nebencharaktere wie Prof. Jon Bolling der Datenexperte oder der Betreiber des Blogs kommen zu Wort. Nichtsdestotrotz erlebt der Leser die Ermittlungen aus der Sicht der Hauptprotagonistin Kathryn Dance.


Es gibt viele Thriller mit psychologischen Aspekten in denen Profiler und Psychologen die Ermittlungen vorantreiben, sich in das Denken und Handeln der Täter einleben um diese verstehen zu können und natürlich noch weitere Morde zu verhindern. Auch Deaver bedient sich dieser Rezeptur, aber schafft mit seiner Figur Kathryn Dance einen Charakter der realistisch und zugleich sensibel agiert, also kein Ermittler der mit Waffengewalt oder soziopathischen Talenten den Gegner einengt.


Nein, Jeffery Deaver stattet Dance mit einem nicht neuen, aber ungemein effektiven Talent aus. Sie kann in einem Menschen lesen wie in einem guten Buch, so gut, dass selbst ihre Kinder sie wie eine Art Superfrau behandeln, denn Lügen ist zwecklos und in den Augen ihrer Kinder ja so was von unfair.


Trotz ihres nonverbalen kommunikativen Talents ihr Kathryn Dance eine Frau wie jeder andere auch. Nach dem Tod ihres Mannes, ist sie alleinerziehende Mutter, die sich nach Wärme und Liebe sehnt und natürlich auch einen potentiellen „Vater“ für ihre Kinder sucht. Solche Kleinigkeiten hat Jeffrey Deaver wunderbar in dem Roman implementiert und gibt dem Charakter die sympathische Besonderheit und Tiefe. Ihr inniges Verhältnis, ihr Vertrauen in ihrer Mutter wird durch die Anklage wegen Sterbehilfe ein wenig erschüttert und auch ihre berufliche Nähe zu ihrem Kollegen Michael O`Neal wird ein wenig komplizierter als sie sich (un)bewußt für Prof. Jon Bolling interessiert, der zudem noch scheinbar gut mit ihren Kindern auskommt.


Jeffery Deaver gelingt genau das wovon ein Roman „lebt“. Kompakte Charaktere die Baustein für Baustein immer greifbarer werden, und zwar so intensiv das sich der Leser inmitten des Geschehens wiederfindet.


Es gibt Überraschungen und Wendungen die man nicht unbedingt erwartet – aber wie sagt Kathryn Dance von A nach B zu X und genau diesen Weg scheint Jeffrey Deaver gerne zu gehen, und um die Handlung noch interessanter zu machen, weicht er manchmal vom Weg ab. Doch trotzdem steuert die Spannung einem Finale entgegen das gut durchdacht und logisch stimmig ist.


Es gibt einige Passagen mit guten Actioninhalten, aber „Allwissend“ ist kein Feuerwerk, sondern eher ein kontrolliertes psychologisches Gefecht mit allen Täuschungen, Irrungen und Wirrungen die man sich als Leser nur wünschen kann. Den Überblick über die Handlung und die Nebenerzählungen verliert man in keiner Minute so das man getrost, wenn man muss das Buch mal beiseite legen kann.


Besonderes Einfühlungsvermögen beweist der Autor aber nicht nur mit der Gestaltung der Protagonisten Kathryn Dance, sondern auch mit den vielen anderen Charakteren die nicht wenig an Zahl, dennoch enorm wichtig sind. Auch diese Figuren seien es bloße Nebenfiguren oder tragende Rollen, die Unterscheidung fällt hier schwer, einfach fantastisch eingebaut. Jeffrey Deaver hat sich mit der Ausarbeitung seiner Figuren nicht nur viel Zeit genommen, sondern derartig mit „Leben“ gefüllt, dass nichts wirklich überflüssig oder fehl am Platze wirkt.


Sein Stil ist mit den anderen bekannten Figuren wie z.B. in den Romanen mit dem behinderten Ermittler Lincoln Rhyme schwer zu vergleichen. Die Reihe um Ryhme und Sachs ist eher etwas actionlastiger wie die beiden bis jetzt erschienen Romane mit Kathryn Dance. Sicherlich gibt es einige Ähnlichkeiten, aber doch ist der Weg von Dance ein ganz anderer wie der von Lincoln Ryhme.


Fazit


„Allwissend“ ist ein psychologischer Thriller dessen Klasse in der obersten Liga angesiedelt ist. Jeffery Deaver hat wieder einmal mehr bewiesen, dass er ein Großmeister dieses Genres ist.


Wer Spannung sucht wird bei „Allwissend“ fündig werden und das Buch nicht mehr aus den Händen lassen. Deaver kombiniert Spannung mit viel Blick aufs Detail und seine Charaktere wirken wie eine große Familie, die sich zwar nicht immer versteht, aber in der ein Rad ins nächste greift und die Handlung bis auf die letzten Seite atemlos macht.

Michael Sterzik



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