Titus Müller beschreibt den „Tag X“ – der 17. Juni 1953
außerordentlich bewegt und nachhaltig. Jetzt 65 Jahre später, kann die jetzige
Generation es nur beschwerlich begreifen, dass Deutschland geteilt war, dass
acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg unsere Republik aufgeteilt war, und uns
die Besatzungsmächte Amerika, Frankreich, England und Russland kontrollierten.
Ebenfalls schützen und unterstützen sie uns im Wiederaufbau. Auch das sollte
man keinesfalls vergessen. Es war auch eine Zeit der charismatischen Politiker:
Adenauer, Churchill, Beria und Chruschtschow. Letztere kämpften um das Erbe von
Stalin, bzw. versuchten die Trümmer seiner Herrschaft aufzuräumen.
Die DDR entstand 1949. Berlin war aufgeteilt in
Besatzungszonen – der Osten wurde praktisch durch den Kreml regiert. Die
westliche Region stand unter dem Schutz der drei übrigen Alliierten.
Der Tag X gehört zur jüngeren deutschen Geschichte. Titus
Müller nimmt den Leser mit in eine Vergangenheit, die wir kaum für möglich
halten. Surreal, unglaubwürdig, erschreckend – so könnte man das Leben und Sterben
in der damaligen DDR bezeichnen. Ein Regime des organisierten, staatlichen
Terrors, aufgezwungene Lebensbedingungen und dann der Versuch am 17. Juni 1953
gemeinsam aufzustehen und es gewaltsam zu ändern.
Der Autor Titus Müller beschreibt in seinem Titel: „Der
Tag X“ – die politischen und gesellschaftlichen Strukturen, die dann zu Unruhen
führten. Brillant lässt der Autor dieses schmale Zeitfenster aus der
Perspektive von unterschiedlichen Figuren spielen. Nelly Findeisen, ihr Vater,
ein Wissenschaftler – verschleppt um für Russland zu forschen und zu entwickeln,
hat es schwer im Alltag. Aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer kirchlich
orientierten Jugendorganisation, wird sie kurz vor dem Abitur, der Schule
verwiesen. Das Regime der DDR kennt keine Gnade, hat kein Verständnis und
regiert durch Einschüchterung, Verfolgung, Folter und später auch Mord.
Titus Müller nimmt sich ebenfalls viel Zeit für die große
und internationale Politik. Das Erbe Stalins und die späteren Machtkämpfe
thematisierte er eindrucksvoll. Er spiegelt den Einfluss der damaligen UDSSR
auf die ostdeutsche Regierung wieder. Er lädt uns ein, die Gedankenwelt in
Momentaufnahmen von Konrad Adenauer zu begleiten. Absolut spannend ist zu
lesen, wie der russische Geheimdienst operierte. Faszinierend wie einfallsreich
und teilweise Morbide diese ihre technischen Möglichkeiten einsetze und auch
die Liquidation von „verbrecherischen“ Elementen , als eine Selbstverständlichkeit
ausübte.
Die größtmögliche Intensität ist das vom Autor das
beschriebene Alltagsleben der Bürger der DDR. Erschreckend dabei auch, die Propaganda,
die instrumentalisiert eine ganz andere Wahrheit zeigen soll. Schwer zu
glauben, dass Menschen wirklich so etwas als tatsächliche Realität empfunden
haben. Wenige Hunderte von Metern entfernt in westlichen Bereichen gab es eine
andere Welt, die sich krass anders darstellte. Für viele Bewohner das Paradies, für die Bewohner
der DDR eine kapitalistische Hölle und das personifizierte Böse. Dieser
fanatische Idealismus ist erschreckend. Das Regime der UDSSR , der die DDR mit
harter Hand steuert, um die Anzahl der in den Westen Flüchtender Personen
gegenhalten möchte. Die manipulative Aggressivität der Stasi um die Einwohner
linientreu einzuschwören, ist stark erzählt.
Titus Müller gibt keine Bewertung ab, seine Figuren sind
auch nicht einfach in einem schwarz/weiß Raster einzuordnen. Motive, Ideale,
Überzeugungen – in Kombination mit einer verletzbaren Menschlichkeit erzählt
der Autor des Titels: „Der Tag X“ vorbildlich und äußerst trefflich.
Fazit
„Der Tag X“ ist ein großartiger Roman, der wie ein helles
und nachhaltiges Echo, die jüngste Vergangenheit reanimiert. Nicht nur
unheimlich spannend und mitreißend, sondern auch eine sinnbildliche Prägung
darüber nachzudenken, was am Tag des 17. Juni 1953 stattgefunden hat. Ein
Denkmal für die mutigen Menschen – ein Mahnmal und eine Mahnung für die
Freiheit einzustehen.
Michael Sterzik
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