Die einfachen Menschen, die Bauern, die in kleinen Dörfern
und Städten im Mittelalter lebten, waren grundsätzlich der Willkür und der
Gewalt der Grafen, Barone und Herzöge ausgeliefert. Nicht weil sie auf Konfrontationskurs
aus waren, sondern ihr Land und ihre Region durch interne Machtkämpfe des Adels
oftmals nicht nur einmal vernichtet wurden. Menschenleben waren nicht viel wert
in dieser Epoche. Manchmal wurden ganze Landstriche entvölkert, ein Genozid der
mit Akzeptanz des Adels, und sogar manchmal der Kirche durchgeführt wurde.
Im Ostseeraum – Lübeck, Lüneburg, Hamburg usw. lebten nicht
nur Christen, sondern auch viele Slawen und andere Volksstämme, die den
angenagelten Gott, wenn nur unter Zwang akzeptierten.
Die Autorin Sabine Weiß, die gerade mit den beiden Titeln: „Die
Hansetochter“ und „Die Feinde der Hansetochter“ im historischen Genre auf
höchstem Niveau begeistern konnte, hat nun im Verlag Lübbe einen neuen historischen
Roman veröffentlicht – „Die Perlenfischerin“.
Schauplatz dieses Romans, ist das anfänglich bescheidene
Bardowick, einem kleinen Dorf in der Nähe von Lüneburg. Heinrich der Löwe
vernichtet diese Stadt, da ihre Einwohner sich gegen ihn auflehnten. Der Löwe
zeigte seine grausamen Krallen und nach dem Angriff flüchteten viele Bewohner
nach Lübeck, oder Lüneburg.
Norddeutschland, an der Wende zum 13. Jh.: Bei der
Zerstörung der alten Handelsstadt Bardowick wird die kleine Ida vom Rest ihrer
Familie getrennt. Fortan wächst sie bei einer Einsiedlerin am Ufer des Flusses
Ilmenau auf. In der Natur findet Ida Trost, und sie entwickelt ein Talent
dafür, kostbare Perlmuscheln zu finden. Als sie Jahre später mehr über ihre
wahre Herkunft erfährt, macht Ida sich gemeinsam mit ihrer Jugendliebe, dem
Slawen Esko, auf die gefahrvolle Suche nach ihrer Familie. Ihr erstes Ziel: das
noch junge Lübeck ...(Verlagsinfo)
Noch immer gibt es im historischen Genre eine fast
inflationäre Dichte von Frauenschicksalen – so gesehen, in vielerlei Branchen,
oder Berufsbezeichnungen, Huren, Apothekerin, Bogenschützin, Schmiedin, Ärztin,
usw. es geht hier noch viel weiter. Dem Buchmarkt verlangt es nach
unrealistischen Frauenschicksalen in der sich die Leserin, oder der Leser zu
flüchten versuchen. Starke Frauen, die ihren Mann stehen – andere Berufe,
gleiche Schicksale, gleiche Liebesgeschichten, gleiche Handlung. Ein Klischee,
dass sich leider immer wieder selbst neu klont.
Doch es gibt qualitative Unterschiede bei den Autorinnen.
Sabine Weiß hat schon längst bewiesen, dass Sie die Ausnahme der Regel ist –
eine sehr, sehr gute.
Zwar ist der Grundtenor in „Die Perlenfischerin“ gleich –
aber Sabine Weiß entwirft eine authentische Atmosphäre und realistische
Szenarien, die überzeugen. Als Kritikpunkt muss man allerdings sagen, dass sich
die Autorin im Segment der Liebeleien einreiht. Die Laufbahn in Liebesdingen,
in Abhängigkeiten, Schicksalsschlägen, Beziehungen der Hauptperson Ida,
unterscheidet sich nicht von anderen Storys.
Das Gleichgewicht stimmt allerdings. Sabine Weiß lässt es
nicht zu, dass sich ihre Geschichte formvollendet einreiht – zwischen Dramatik
und Liebe, gibt es noch politische Strömungen und Interessen, die hier
ebenfalls einen großen Platz einnehmen und zeigen, dass beide Welten
miteinander in Kombination überleben können – die dramatische Liebe und die historischen
Momente.
„Die Perlenfischerin“ ist ein spannender und atmosphärisch
konsequenter Roman. Lassen wir mal den Realismus außen vor – die „Geschichte“
passt. Viel Bezug nimmt die Autorin auf die Rolle und Stand der Frau im
Mittelalter. Die Rolle der Frau gleicht einem Drehbuch – egal ob sie nun als
einfache Frau in der Landwirtschaft, oder im Handwerk lebt, oder als Frau im
Adelsstand – die Grenzen sind abgesteckt. Es gab nur wenige, die einen „Ausbruch“
schafften und sich standesgemäß sozial selbst, zu ihrer Zufriedenheit
ausgrenzten.
Sabine Weiß erzählt von Perlenfischen, vom Einfluss auf die
Natur, vom Geben und Nehmen im Einklang. Eine feine sensible, aber nachhaltige
Möglichkeit dieses Thema anzugehen.
„Die Perlenfischerin“ hätte auch, „Die Perlenstickerin“
heißen können? Das Handwerk kommt hier auch nicht zu kurz, wenn wir schon von
Berufen sprechen müssen. Etwas schmunzeln muss ich ja beim Lesen, denn der
Titel steht auch in dem Licht: „Flüchten“ und „Gerettet werden“ das gleich
mehrmals – andere Personen – aber immer flüchtet man um später gerettet werden zu
können. Auch eine Möglichkeit der zwischenmenschlichen Beziehung.
Der Roman ist spannend, wenn auch die Liebesgeschichten,
manchmal zu viel Raum einnehmen. Es gibt auch kriegerische
Auseinandersetzungen, und diese werden sehr bildgewaltig geschildert und sind
hoch spannend. Die Autorin erzählt kompromisslos vom Leben und Sterben auf dem
Schlachtfeld. Leider viel zu wenig – hier braucht sie sich zukünftig nicht
verstecken und könnte damit ihre Zielgruppe erweitern.
Fazit
„Die Perlenfischerin“ ist eine kleine Perle unter den
Frauenschicksalen im Genre „Historischer Roman“. Sabine Weiß geht damit ihren
individuellen Weg – selbstbewusst und Stilsicher.
Sprache, Ausdruck und Form sind toll. Charaktere sind
oftmals pauschalisiert. Das Leben, soziale Strukturen, der Alltag unter einfachen
Menschen und des Adels sind brillant in Szene gesetzt.
Bitte schreiben Sie weiter „Historische Romane“ die sich im
Zeichen der Hanse zeigen. Das ist ihre ganz, ganz große Stärke.
Prädikat: Das Mittelalter lebt – hervorragend und absolut
empfehlungswert.
Michael Sterzik
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