Sonntag, 12. Mai 2019

Die Perlenfischerin - Sabine Weiß


Die einfachen Menschen, die Bauern, die in kleinen Dörfern und Städten im Mittelalter lebten, waren grundsätzlich der Willkür und der Gewalt der Grafen, Barone und Herzöge ausgeliefert. Nicht weil sie auf Konfrontationskurs aus waren, sondern ihr Land und ihre Region durch interne Machtkämpfe des Adels oftmals nicht nur einmal vernichtet wurden. Menschenleben waren nicht viel wert in dieser Epoche. Manchmal wurden ganze Landstriche entvölkert, ein Genozid der mit Akzeptanz des Adels, und sogar manchmal der Kirche durchgeführt wurde.

Im Ostseeraum – Lübeck, Lüneburg, Hamburg usw. lebten nicht nur Christen, sondern auch viele Slawen und andere Volksstämme, die den angenagelten Gott, wenn nur unter Zwang akzeptierten.

Die Autorin Sabine Weiß, die gerade mit den beiden Titeln: „Die Hansetochter“ und „Die Feinde der Hansetochter“ im historischen Genre auf höchstem Niveau begeistern konnte, hat nun im Verlag Lübbe einen neuen historischen Roman veröffentlicht – „Die Perlenfischerin“.

Schauplatz dieses Romans, ist das anfänglich bescheidene Bardowick, einem kleinen Dorf in der Nähe von Lüneburg. Heinrich der Löwe vernichtet diese Stadt, da ihre Einwohner sich gegen ihn auflehnten. Der Löwe zeigte seine grausamen Krallen und nach dem Angriff flüchteten viele Bewohner nach Lübeck, oder Lüneburg.

Norddeutschland, an der Wende zum 13. Jh.: Bei der Zerstörung der alten Handelsstadt Bardowick wird die kleine Ida vom Rest ihrer Familie getrennt. Fortan wächst sie bei einer Einsiedlerin am Ufer des Flusses Ilmenau auf. In der Natur findet Ida Trost, und sie entwickelt ein Talent dafür, kostbare Perlmuscheln zu finden. Als sie Jahre später mehr über ihre wahre Herkunft erfährt, macht Ida sich gemeinsam mit ihrer Jugendliebe, dem Slawen Esko, auf die gefahrvolle Suche nach ihrer Familie. Ihr erstes Ziel: das noch junge Lübeck ...(Verlagsinfo)

Noch immer gibt es im historischen Genre eine fast inflationäre Dichte von Frauenschicksalen – so gesehen, in vielerlei Branchen, oder Berufsbezeichnungen, Huren, Apothekerin, Bogenschützin, Schmiedin, Ärztin, usw. es geht hier noch viel weiter. Dem Buchmarkt verlangt es nach unrealistischen Frauenschicksalen in der sich die Leserin, oder der Leser zu flüchten versuchen. Starke Frauen, die ihren Mann stehen – andere Berufe, gleiche Schicksale, gleiche Liebesgeschichten, gleiche Handlung. Ein Klischee, dass sich leider immer wieder selbst neu klont.

Doch es gibt qualitative Unterschiede bei den Autorinnen. Sabine Weiß hat schon längst bewiesen, dass Sie die Ausnahme der Regel ist – eine sehr, sehr gute.
Zwar ist der Grundtenor in „Die Perlenfischerin“ gleich – aber Sabine Weiß entwirft eine authentische Atmosphäre und realistische Szenarien, die überzeugen. Als Kritikpunkt muss man allerdings sagen, dass sich die Autorin im Segment der Liebeleien einreiht. Die Laufbahn in Liebesdingen, in Abhängigkeiten, Schicksalsschlägen, Beziehungen der Hauptperson Ida, unterscheidet sich nicht von anderen Storys.

Das Gleichgewicht stimmt allerdings. Sabine Weiß lässt es nicht zu, dass sich ihre Geschichte formvollendet einreiht – zwischen Dramatik und Liebe, gibt es noch politische Strömungen und Interessen, die hier ebenfalls einen großen Platz einnehmen und zeigen, dass beide Welten miteinander in Kombination überleben können – die dramatische Liebe und die historischen Momente.

„Die Perlenfischerin“ ist ein spannender und atmosphärisch konsequenter Roman. Lassen wir mal den Realismus außen vor – die „Geschichte“ passt. Viel Bezug nimmt die Autorin auf die Rolle und Stand der Frau im Mittelalter. Die Rolle der Frau gleicht einem Drehbuch – egal ob sie nun als einfache Frau in der Landwirtschaft, oder im Handwerk lebt, oder als Frau im Adelsstand – die Grenzen sind abgesteckt. Es gab nur wenige, die einen „Ausbruch“ schafften und sich standesgemäß sozial selbst, zu ihrer Zufriedenheit ausgrenzten.

Sabine Weiß erzählt von Perlenfischen, vom Einfluss auf die Natur, vom Geben und Nehmen im Einklang. Eine feine sensible, aber nachhaltige Möglichkeit dieses Thema anzugehen.

„Die Perlenfischerin“ hätte auch, „Die Perlenstickerin“ heißen können? Das Handwerk kommt hier auch nicht zu kurz, wenn wir schon von Berufen sprechen müssen. Etwas schmunzeln muss ich ja beim Lesen, denn der Titel steht auch in dem Licht: „Flüchten“ und „Gerettet werden“ das gleich mehrmals – andere Personen – aber immer flüchtet man um später gerettet werden zu können. Auch eine Möglichkeit der zwischenmenschlichen Beziehung.

Der Roman ist spannend, wenn auch die Liebesgeschichten, manchmal zu viel Raum einnehmen. Es gibt auch kriegerische Auseinandersetzungen, und diese werden sehr bildgewaltig geschildert und sind hoch spannend. Die Autorin erzählt kompromisslos vom Leben und Sterben auf dem Schlachtfeld. Leider viel zu wenig – hier braucht sie sich zukünftig nicht verstecken und könnte damit ihre Zielgruppe erweitern.

Fazit

„Die Perlenfischerin“ ist eine kleine Perle unter den Frauenschicksalen im Genre „Historischer Roman“. Sabine Weiß geht damit ihren individuellen Weg – selbstbewusst und Stilsicher.

Sprache, Ausdruck und Form sind toll. Charaktere sind oftmals pauschalisiert. Das Leben, soziale Strukturen, der Alltag unter einfachen Menschen und des Adels sind brillant in Szene gesetzt.

Bitte schreiben Sie weiter „Historische Romane“ die sich im Zeichen der Hanse zeigen. Das ist ihre ganz, ganz große Stärke.
Prädikat: Das Mittelalter lebt – hervorragend und absolut empfehlungswert.

Michael Sterzik

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