Die Wege der „Liebe“ können mitunter auch extrem dunkel
sein. Wir haben alle schon Abweisung erlebt, eine gescheiterte Beziehung, dazu
Liebeskummer, Selbstzweifel, ein unsägliches Gefühl völlig verloren sein. Doch
wir überleben diesen Verlust und hier spielt auch die Zeit eine elementare
Rolle. Doch mitunter hat der eine oder andere es auch schon erlebt, dass sich
der Ex-Partner nicht so schnell abschütteln lassen will. Hartnäckig sucht
dieser Kontakt, fordert Erklärungen, bittet nach einem Zeichen der Hoffnung –
und manchmal wird daraus eine kriminelle Handlung wenn einem die aufgezwungene „Nähe“ faktisch zu nah. Wir reden hier dann
von „Stalking“. Psychologisch gesehen schwierig zu einzuordnen – ob dies schon
krankhafte Züge hat, muss man individuell interpretieren. Die Beweggründe sind
vielfältig – eine Antriebsfeder ist das Suchen nach Aufmerksamkeit, oder
Kontrolle, aber auch das Streben nach Macht oder Rache können die Gründe für
derartige Belästigungen sein.
Die Deutsch-Britin Sarah Nisi, in Hildesheim geboren, die
aber in der Metropole London lebt, hat ihren ersten Roman im Verlag btb
veröffentlicht: „Ich will Dir nah sein“.
Der Psychothriller gehört zu einem der besten Romane, die
ich bisher in diesem Jahr gelesen habe. Als Debütroman außerordentlich brillant
gelungen und sehr zu empfehlen.
London, Fundbüro des öffentlichen Nahverkehrs. Lester
Sharp kümmert sich um herrenlose Fundsachen: Handys, Schlüssel, Portemonnaies –
besonders gern um Kleidungsstücke und medizinische Gerätschaften. Er ist auch
privat ein Sammler und Sonderling, der sich schwertut mit Frauen und
zwischenmenschlichen Beziehungen. Als er der jungen Erin begegnet, weiß er
zunächst nicht, wie er sich verhalten soll – findet aber schon bald eine
Möglichkeit, ihr nah zu sein. Näher, als es ihr lieb sein kann...(Verlagsinfo)
„Ich will Dir nah sein“ überzeugt aus vielerlei Gründen. Die
tiefe Interpretierung der Charaktere ist perfekt im Einklang mit der Story
absolut gelungen. Die Perspektive wird aus drei Perspektiven der Figuren erzählt.
Der konzentrierte Fokus orientiert sich auf den Sonderling „Lester Sharp“ – der
krankhafte Züge zeigt. Seine Motivation und sein Verständnis für den Begriff Liebe,
das Interesse für eine Person und Zuneigung ist gleichbedeutend mit einer
desillusionierten, zwanghaften Kontrolle.
Sarah Nisi erzählt die Besessenheit von Lester Sharp mit
einer nachhaltigen Wucht, die erschreckt und morbide faszinierend ist. Der
Realismus dieser Szenen, die das innerste Selbst von Lester und Erin zeigen ist
unsagbar spannend – und zu keinem Zeitpunkt überzogen, oder nicht authentisch
genug. Die Atmosphäre des Buches ist Sarah Nisi so intensiv gut gelungen, dass die
Story den Leser völlig einfängt.
Die Story baut sich in einer Eskalationsspirale auf, die
zwar nicht am Durchdrehen ist, aber zu einem Ende führt, dass man so nicht
erwartet hätte. Auch wenn abschließend ein paar Fragen unbeantwortet bleiben,
ist „Ich will Dir nah“ sein extrem faszinierend.
Psychologisch gesehen weiß die junge Autorin welche
Knöpfe sie in den Köpfen der Leser drücken muss –aber vielen Dank für diese
unterhaltsame, literarische Unterweisung.
Sarah Nisi wird sich mit diesem Roman ein gewisses
Standing erarbeitet haben. Die Story ist originell, die Figuren brillant mit
ihrem Zusammenspiel und den Dialogen lassen eine Geschichte entstehen, die
erschreckend gut erzählt ist.
Sarah Nisis Debüt ist mehr wie gelungen und wir dürfen
gespannt sein, aber auf die nächsten Romane der Autorin. Dieser vorliegende
Roman gilt als inhaltlich abgeschlossen.
Fazit
„Ich will Dir nah sein“ von Sarah Nisi ist ein Pageturner,
der unserer Psyche unheimlich nahkommt. Ganz starker Roman – der abgrundtiefe
Ängste aufs Papier bringt und über eine hoch spannende Wucht verfügt. Prädikat:
Einer der Thriller, die man in diesem Jahr lesen sollte.
Michael Sterzik
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