Die Rollenverteilung einer Familie in der NS-Zeit war festgelegt, für das Volk, für das Vaterland und dem Führer. Der Ehemann, ein starker, loyaler Mann, der sein Vaterland verteidigte und für den Erhalt und den Ausbau der Nazi-Diktatur lebte und kämpfte. Seine Ehefrau spielt die pflichtbewusste, tradierte Rolle der liebenden Frau und Mutter der gemeinsamen Kinder, ohne großartig eine eigene Meinung haben zu dürfen. Ihre Pflicht war es, eine treusorgende Ehefrau zu sein, ihren Ehemann zu dienen und möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen. Die Kinder wurden schon früh in ein für die Nazis Rollenbild gepresst. Hitlerjugend – und Bund deutscher Mädchen – vorbereitet auf Krieg und Fürsorge – konditioniert für den Glauben an Deutschland. Religiöse, kulturelle oder moralische Werte wurden genauso vergewaltigt, wie der Geist und die Seele der deutschen Bevölkerung.
Der vorliegende Roman von Michaela Küpper spielt in der Domstadt Köln in den Jahren zwischen 1933 – und dem Kriegsende 1945. Der Roman ist zum Teil fiktiv, greift aber auch die chronologischen Ereignisse einiger Personen zu. Die Hauptfigur: Gertrud “Mucki” Koch, geborene Kühlem, war neben ihren Eltern eine Frau, die „Widerstand“ leistete. Ihre Mutter und ihr Vater waren Verfechter kommunistischer Ideale und wuchs mehr, oder minder in einem politischen, familiären Umfeld auf. Schon in der Wohnküche bekommt die junge Mucki Werte vermittelt, die nur wenige Jahr später mit den Werten der Nazis kollidieren. Freie Meinungsäußerung – Menschenrechte, Presserecht, freie Berufswahl…in den 30er-Jahren wurde diese „Gesetze“ unterminiert und diktatorisch umgestaltet. Der „freie Wille“, das freie denken und handeln führte schnell in die Keller der Gestapo, oder wenig später in die Arbeits- und Konzentrationslager.
Köln im Sommer 1933: Die SA stürmt die Wohnung der Familie Kühlem, die dafür bekannt ist, regelmäßig kommunistische Treffen abzuhalten. Gertrud und ihre Tochter Mucki lässt man zunächst in Ruhe, doch Peter Kühlem wird ins Braune Haus verschleppt. – wo erst einen Tag zuvor eine Freundin und Genossin zu Tode kam. und muss später als "Moorsoldat" in einem Arbeitslager um sein Leben bangen.
Trotz ihrer Sorge um Peter hält Gertrud jetzt erst recht an ihrem Kampf für eine bessere, gerechtere Welt fest. Als die Herrschaft der Nazis immer erdrückender wird, schließt Mucki sich den »Edelweißpiraten« an, einer Gruppe Jugendlicher, die im Widerstand aktiv ist und immer größere Risiken eingeht …(Verlagsinfo)
Sprechen wir vom „Widerstand“ in der NS-Zeit, dann fallen uns unweigerlich Namen ein wie die Geschwister Scholl, die weiße Rose – ein Symbol des intellektuellen „Nein“ zur Gewaltherrschaft der Nazis. Doch es gab auch viel andere unangepasste Jugendliche, die ihre Welt infrage stellten – das manchmal sehr laut, auch sie verteilten Flugblätter, schrieben Parolen der Wahrheit auf die Wände von Häusern, oder lehnten sich in den Strukturen der Hitlerjugend und der Bund deutscher Mädchen auf. Diese oppositionelle Haltung verlangte viel Kraft und Mut. Sie war lebensgefährlich – für alle Mitglieder und Freunde in ihrem persönlichen Umfeld.
Michaela Küpper gibt diesen alten Stimmen und Erinnerungen eine nachhaltige Möglichkeit „laut“ zu sein. Die Schicksale von „Mucki“ und ihrer Familie sind berührend und geben uns einen umfassenden Eindruck der alltäglichen Angst, mit der diese lebten. Auch die Scham, die Hilflosigkeit und die Verzweiflung helfen zu wollen, aber nicht zu können, werden thematisiert. In kleinen Schritten jedoch lehnen sich diese mutigen Menschen auf, sie helfen mit Kleinigkeiten, mit Waren, die von Herzen gegeben werden, von kleineren Funken „Menschlichkeit“ in einer dunklen Welt. Die Autorin beschreibt den Niedergang der Nazis, die panik machende Angst von Bombenangriffen, die Rationierung von Lebensmitteln usw., die Vernichtung der Stadt Köln und das Sterben von Freunden und Familienmitgliedern.
Konsequent und authentisch beschreibt die Autorin von Einschüchterung und Folter in den Kellern der Gestapo. Es sind tief berührende Szenen, mit denen sie uns konfrontiert. Die erzählerische Perspektive wechselt von der Mutter zur Tochter und lässt uns teilhaben an Verlusten, an Ängsten, aber auch an Hoffnungen und einen starken Willen zu überleben.
Dies sind die besonderen Szenen, in denen die Figuren begreifen, wie wertvoll „Freiheit“ war, wie ungemein glücklich sein konnte, eine liebende Familie und Freunde um sich zu haben und letztlich wie schön es war, ohne eine gegenwärtige, präsente Angst zu haben.
„Die Edelweisspiratin“ ist kein Buch, das nur aus der Sicht des Widerstandes gegen das Regime des dritten Reiches erzählt wird. Es ist keine „Hurra-wir-leben-noch-Story“, sondern die Autorin lässt uns teilhaben an der Gefühlswelt einer starken Mutter und eines mutigen Mädchens.
Michaela Küpper übertreibt es aber zu keinem Zeitpunkt mit ihren Schilderungen, es wird nichts beschönigt, oder theatralisch dramatisiert. Als eine spannende Geschichte kann man „Die Edelweiss Piratin“ nicht bezeichnen – aber die Story reißt den Leser unterhaltsam mit in einem Strudel der Angst und Hoffnung.
Atmosphärisch ist es manchmal zu nüchtern und zu schnell erzählt. Manche Szenen sind inhaltlich sehr detailliert, andere dagegen leider viel zu wenig.
Fazit
„Die Edelweisspiratin“ entert voller Mut, das Schiff der Ängste und der Hoffnungslosigkeit. Ein Buch, das den Überlebenswillen einer Familie zeigt. Damit zeigt das Buch auch ein Spiegelbild einer verlorenen Jugend, die den Mut hatte, Widerstand zu leisten. LESEN.
Michael Sterzik
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