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Sonntag, 14. September 2025

Die Dolmetscherin - Titus Müller

In einer Zeit, da Deutschland unter den Trümmern eines verlorenen Krieges begraben lag, schlug die Stunde der Gerechtigkeit in Nürnberg. 1945 hatte die bedingungslose Kapitulation nicht nur das Ende eines grausamen Krieges besiegelt, sondern auch die Flucht und den Freitod vieler Nazigrößen ausgelöst, die sich der Rechenschaftspflicht entziehen wollten. Doch die Sieger waren unerbittlich, und so standen im November 1945 die Hauptkriegsverbrecher vor einem internationalen Militärgerichtshof – die Augen einer gespannten Weltbevölkerung ruhten auf ihnen, sehnend nach Gerechtigkeit und vielleicht auch einem Hauch von Rache.


Nürnberg, einst die Stadt der Reichsparteitage, wurde zum Schauplatz eines historischen Prozesses, der nicht nur das Schicksal der Angeklagten besiegelte, sondern auch die Geburtsstunde des modernen Simultandolmetschens markierte. Ein Dutzend Dolmetscher, Frauen und Männer, standen unter enormem psychologischen Druck, als sie die unfassbaren Grausamkeiten der Vergangenheit in Echtzeit übersetzen mussten.


Asta arbeitet als Dolmetscherin im Kurhotel »Palace« in Mondorf-les-Bains, wo die US-Armee gefangengenommene Nazi-Größen interniert. Am 20. Mai 1945 reist ein neuer Gast an. Er bringt 16 Koffer, eine rote Hutschachtel und seinen Kammerdiener mit. Es ist Hermann Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Hitlers designierter Nachfolger. Asta übersetzt bei den Verhören, reist dann mit nach Nürnberg zu den Prozessen und wird jeden Tag im Gerichtssaal anwesend sein, die abscheulichsten Dinge zu hören bekommen und sie zudem ins Englische übertragen müssen. Umso empfänglicher ist sie für Leonhard, ein junger, sensibler Mann, der ihr sanft den Hof macht. Doch seine Vergangenheit ist undurchsichtig und er stellt verdächtig viele Fragen zu den Prozessen (Verlagsinfo) 


Titus Müller zeichnet ein erschütternd realistisches Bild des Deutschlands nach dem Krieg: Trümmerlandschaften, in denen Frauen und Kinder verzweifelt nach Überresten suchen, um auf dem Schwarzmarkt ein Überleben zu sichern. Die Überlebenden sind gebrochen, desillusioniert, ihre Zukunft düster. Sie haben Ehemänner, Brüder, Kinder verloren – auf den Schlachtfeldern Europas oder in den höllischen Bombennächten. Ihr Zuhause, ihre Zuversicht, ihr Glaube an einen „Führer“ sind zerbrochen. Sie fühlen sich betrogen, verlassen, gedemütigt – die glorreiche Zukunft, die ihnen einst prophezeit wurde, ist in Asche zerfallen.


Der Autor lässt uns teilhaben an den Sorgen und Ängsten der Menschen, die in den Ruinen von der Hand in den Mund leben. Er erzählt von heimkehrenden Kriegsgefangenen, die verzweifelt sind und sich nie wieder von den Schatten des Tötens und Sterbens lösen können. Müllers Recherchen sind beängstigend präzise, wenn er die Aussagen und Wortmeldungen der Kriegsgefangenen im Kreis Hermann Görings interpretiert. Alle plädierten auf „Nicht schuldig“, sahen sich als Opfer, als Befehlsempfänger, und beschuldigten sich gegenseitig.


In „Die Dolmetscherin“ wird Hermann Göring zum Sinnbild der Angeklagten: menschenverachtend, polarisierend, psychopathisch, selbstverliebt – eine realistische Aufarbeitung des Verbrechers, die unter die Haut geht. Müller beleuchtet zahlreiche historische Nebenfiguren und erschafft ein facettenreiches Panorama dieser dunklen Zeit.


Trotz der objektiven Betrachtung des Romans bleibt ein kritischer Punkt: die Plausibilität der Dolmetscherin Asta. Ihre Figur wirkt überzogen, mitunter völlig unrealistisch, und es fehlt ihr an menschlicher Tiefe. Sie erscheint eindimensional und unglaubwürdig. Eine Liebesgeschichte, die eine Prise Dramatik und Emotionalität in die Erzählstruktur bringt, ist zwar sympathisch und gut integriert, kann aber die Schwäche der Hauptfigur nicht ganz ausgleichen.


Dennoch ist dieser Roman als thematischer Auftakt großartig. Er fängt die Kernaussagen der Angeklagten ein und spiegelt die beklemmende Atmosphäre im Gerichtssaal wieder. Besonders gelungen ist die Darstellung der „Zerrissenheit“ der Besiegten, ihrer hohlen Entschuldigungen, des fehlenden Wissens und der fehlenden Reue. Ein moralischer und ethischer Kompass scheint bei diesen Menschen deinstalliert worden zu sein. Auch die Interessen und Motivationen der Siegermächte werden thematisiert, ebenso die provokante Frage, ob die Bombardierung der Alliierten nicht auch ein Kriegsverbrechen war – eine philosophisch und politisch tiefgründige Frage.


Fazit:

 Ein wichtiges Buch, das auf eindringliche Weise zeigt, dass Gerechtigkeit ihren Weg findet, nicht nur im Gerichtssaal. Titus Müller versteht es meisterhaft, emotionalen Geschichtsunterricht zu erteilen, dem man keine einzige Stunde missen möchte. Ein tief berührendes Werk, das lange nachwirkt und zum Nachdenken anregt.


Michael Sterzik 






Freitag, 17. Februar 2023

Die Edelweisspiratin - Michaela Küpper


Die Rollenverteilung einer Familie in der NS-Zeit war festgelegt, für das Volk, für das Vaterland und dem Führer. Der Ehemann, ein starker, loyaler Mann, der sein Vaterland verteidigte und für den Erhalt und den Ausbau der Nazi-Diktatur lebte und kämpfte. Seine Ehefrau spielt die pflichtbewusste, tradierte Rolle der liebenden Frau und Mutter der gemeinsamen Kinder, ohne großartig eine eigene Meinung haben zu dürfen. Ihre Pflicht war es, eine treusorgende Ehefrau zu sein, ihren Ehemann zu dienen und möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen. Die Kinder wurden schon früh in ein für die Nazis Rollenbild gepresst. Hitlerjugend – und Bund deutscher Mädchen – vorbereitet auf Krieg und Fürsorge – konditioniert für den Glauben an Deutschland. Religiöse, kulturelle oder moralische Werte wurden genauso vergewaltigt, wie der Geist und die Seele der deutschen Bevölkerung.

Der vorliegende Roman von Michaela Küpper spielt in der Domstadt Köln in den Jahren zwischen 1933 – und dem Kriegsende 1945. Der Roman ist zum Teil fiktiv, greift aber auch die chronologischen Ereignisse einiger Personen zu. Die Hauptfigur: Gertrud “Mucki” Koch, geborene Kühlem, war neben ihren Eltern eine Frau, die „Widerstand“ leistete. Ihre Mutter und ihr Vater waren Verfechter kommunistischer Ideale und wuchs mehr, oder minder in einem politischen, familiären Umfeld auf. Schon in der Wohnküche bekommt die junge Mucki Werte vermittelt, die nur wenige Jahr später mit den Werten der Nazis kollidieren. Freie Meinungsäußerung – Menschenrechte, Presserecht, freie Berufswahl…in den 30er-Jahren wurde diese „Gesetze“ unterminiert und diktatorisch umgestaltet. Der „freie Wille“, das freie denken und handeln führte schnell in die Keller der Gestapo, oder wenig später in die Arbeits- und Konzentrationslager.

Köln im Sommer 1933: Die SA stürmt die Wohnung der Familie Kühlem, die dafür bekannt ist, regelmäßig kommunistische Treffen abzuhalten. Gertrud und ihre Tochter Mucki lässt man zunächst in Ruhe, doch Peter Kühlem wird ins Braune Haus verschleppt. – wo erst einen Tag zuvor eine Freundin und Genossin zu Tode kam. und muss später als "Moorsoldat" in einem Arbeitslager um sein Leben bangen.
Trotz ihrer Sorge um Peter hält Gertrud jetzt erst recht an ihrem Kampf für eine bessere, gerechtere Welt fest. Als die Herrschaft der Nazis immer erdrückender wird, schließt Mucki sich den »Edelweißpiraten« an, einer Gruppe Jugendlicher, die im Widerstand aktiv ist und immer größere Risiken eingeht …(Verlagsinfo)

Sprechen wir vom „Widerstand“ in der NS-Zeit, dann fallen uns unweigerlich Namen ein wie die Geschwister Scholl, die weiße Rose – ein Symbol des intellektuellen „Nein“ zur Gewaltherrschaft der Nazis. Doch es gab auch viel andere unangepasste Jugendliche, die ihre Welt infrage stellten – das manchmal sehr laut, auch sie verteilten Flugblätter, schrieben Parolen der Wahrheit auf die Wände von Häusern, oder lehnten sich in den Strukturen der Hitlerjugend und der Bund deutscher Mädchen auf. Diese oppositionelle Haltung verlangte viel Kraft und Mut. Sie war lebensgefährlich – für alle Mitglieder und Freunde in ihrem persönlichen Umfeld.

Michaela Küpper gibt diesen alten Stimmen und Erinnerungen eine nachhaltige Möglichkeit „laut“ zu sein. Die Schicksale von „Mucki“ und ihrer Familie sind berührend und geben uns einen umfassenden Eindruck der alltäglichen Angst, mit der diese lebten. Auch die Scham, die Hilflosigkeit und die Verzweiflung helfen zu wollen, aber nicht zu können, werden thematisiert. In kleinen Schritten jedoch lehnen sich diese mutigen Menschen auf, sie helfen mit Kleinigkeiten, mit Waren, die von Herzen gegeben werden, von kleineren Funken „Menschlichkeit“ in einer dunklen Welt. Die Autorin beschreibt den Niedergang der Nazis, die panik machende Angst von Bombenangriffen, die Rationierung von Lebensmitteln usw., die Vernichtung der Stadt Köln und das Sterben von Freunden und Familienmitgliedern.

Konsequent und authentisch beschreibt die Autorin von Einschüchterung und Folter in den Kellern der Gestapo. Es sind tief berührende Szenen, mit denen sie uns konfrontiert. Die erzählerische Perspektive wechselt von der Mutter zur Tochter und lässt uns teilhaben an Verlusten, an Ängsten, aber auch an Hoffnungen und einen starken Willen zu überleben.

Dies sind die besonderen Szenen, in denen die Figuren begreifen, wie wertvoll „Freiheit“ war, wie ungemein glücklich sein konnte, eine liebende Familie und Freunde um sich zu haben und letztlich wie schön es war, ohne eine gegenwärtige, präsente Angst zu haben.

„Die Edelweisspiratin“ ist kein Buch, das nur aus der Sicht des Widerstandes gegen das Regime des dritten Reiches erzählt wird. Es ist keine „Hurra-wir-leben-noch-Story“, sondern die Autorin lässt uns teilhaben an der Gefühlswelt einer starken Mutter und eines mutigen Mädchens.

Michaela Küpper übertreibt es aber zu keinem Zeitpunkt mit ihren Schilderungen, es wird nichts beschönigt, oder theatralisch dramatisiert. Als eine spannende Geschichte kann man „Die Edelweiss Piratin“ nicht bezeichnen – aber die Story reißt den Leser unterhaltsam mit in einem Strudel der Angst und Hoffnung.

Atmosphärisch ist es manchmal zu nüchtern und zu schnell erzählt. Manche Szenen sind inhaltlich sehr detailliert, andere dagegen leider viel zu wenig.

Fazit

„Die Edelweisspiratin“ entert voller Mut, das Schiff der Ängste und der Hoffnungslosigkeit. Ein Buch, das den Überlebenswillen einer Familie zeigt. Damit zeigt das Buch auch ein Spiegelbild einer verlorenen Jugend, die den Mut hatte, Widerstand zu leisten. LESEN.

Michael Sterzik