Zum Henker auch - manchmal sagen wir das oder verfluchen eine unangenehme Situation, die wir gerade erleben. In Filmen und Büchern werden Henker oder auch Scharfrichter sehr verklärt dargestellt, meist düster, mit einer Kapuze vor dem Gesicht. Sie vollstrecken Todesurteile im Namen des Gesetzes, sie foltern und verstümmeln, um Geständnisse zu erzwingen. Doch wer waren diese Menschen, die im Strafvollzug töteten? Was geschah psychologisch und emotional mit ihren Seelen, wenn sie so brutal töteten?
Viele Vorurteile und Klischees haben sich über die Jahrhunderte erhalten. Es gibt düstere Schauergeschichten und Legenden - aber wir wissen nicht viel über diese Männer, die ein blutiges Handwerk ausübten und deshalb vom Mittelalter bis fast in unsere Zeit von der Gesellschaft stigmatisiert und ausgegrenzt wurden?
Frantz Schmidt tötete fast 400 Menschen, unzählige weitere hat er gefoltert oder verstümmelt. Und doch war er am Ende seines Lebens ein angesehener Mann. Ungewöhnlich ist nicht nur der Lebensweg des Meister Frantz, der im 16 Jahrhundert in Nürnberg als Henker arbeitete, sondern auch, dass er Tagebuch schrieb. Der Historiker Joel Harrington hat dieses einmalige Zeugnis erstmals umfassend ausgewertet und gibt in seinem packenden Buch seltene Einblicke in das Leben, Denken und Fühlen der Menschen zu Beginn der Neuzeit. (Verlagsinfo)
Das Sachbuch von Joel Harrington, das die Lebensgeschichte des Menschen und Henkers Frantz Schmidt erzählt, beginnt vor dessen Geburt. Der Historiker erzählt auch, wie sein Vater, der zu diesem Amt gezwungen wurde, daran arbeitete, seiner Familie und seinem Sohn das Bürgerrecht zurückzugeben. Zu seinen Lebzeiten gelang ihm dies nicht, aber die Karriere seines Sohnes führte ihn schließlich aus der sozialen Ausgrenzung heraus. Gegliedert in fünf Abschnitte erhalten wir ein detailliertes Bild seiner Person. Von der Ausbildung zum Scharfrichter über die ersten Wanderjahre als Henkergeselle bis hin zum Amt des Scharfrichters der Stadt Nürnberg verfolgen wir das erzwungene Schicksal eines intelligenten, emotionalen Menschen, der immer genau wusste, was er wollte - Freiheit, Bürgerrecht, Anerkennung in der Gesellschaft. Gleichzeitig erhalten wir einen Einblick in das Rechtssystem und die sozialen Strukturen dieser Zeit in der frühneuzeitlichen Reichsstadt Nürnberg.
Auch als Henker hatte er eine Familie, für die er sich verantwortlich fühlte und lebte. Wir lernen viele Verbrecher und ihre Taten namentlich kennen, erfahren von verschiedenen Strafmaßnahmen und anschaulichen Beschreibungen von Folterungen und Verstümmelungen. Und von einem Mann, der als Moralist auch als inoffizieller Heiler tätig war.
Das zweite Narrativ ist die Beschreibung der sozialen Strukturen der Gesellschaft und ihrer menschlichen Natur, die solchen sanktionierten Strafen und richterlicher Gewalt gegenüberstand. War der Strafvollzug damals für die Bevölkerung akzeptabel und warum empfinden wir in unserer zivilisierten Zeit solche Strafen und die Todesstrafe als moralisch abstoßend?
Joel F. Harrington hat nicht nur das Tagebuch von Meister Frantz untersucht, sondern auch andere historische Quellen. Meister Frantz führte akribisch Buch über seine Hinrichtungen und Folterungen, die meist ohne emotionalen Kommentar erfolgten. Das macht dieses Zeitzeugnis zu einem ganz besonderen Dokument.
Dass das Töten und Verstümmeln Narben auf der Seele des Henkers hinterließ, ist verständlich. Wie fühlte sich Meister Frantz bei der Ausübung seines Berufes? Wenn man sein Tagebuch und andere Quellen interpretiert, war er keineswegs ein gefühlloser Sadist, kein Unmensch, der dem psychischen Druck, dem er ausgesetzt war, nicht gewachsen war. Vor der eigentlichen Folter versuchte er meist erfolgreich ein Geständnis zu erzwingen, bevor er zur Gewalt überging. Er hatte auch Entscheidungsspielräume und wurde sicherlich auch vom Rat der Stadt nach seiner persönlichen Meinung über einen Verdächtigen befragt, was auch dazu führen konnte, dass das Gericht das Urteil milderte oder weitere Ermittlungen durchführte.
Einen weiteren Einblick in die sozialen Strukturen erhält man, wenn man die Gesellschaft betrachtet, die Scharfrichter und andere unehrliche Berufsgruppen stigmatisierte und ausgrenzte. Der Lebenswandel von Meister Frantz galt als vorbildlich. Er verdiente sehr gut, die Stadt verlieh ihm und seiner Familie das Bürgerrecht und nicht zuletzt wurde er als Arzt anerkannt - der Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn, der ihm weitere Möglichkeiten bot, dem unehrenhaften Stand zu entfliehen.
Der Scharfrichter - Ein Henkerleben im Nürnberg des 16. Jahrhunderts - ist ein tolles, spannendes und informatives Sachbuch, das uns das dunkle Mittelalter etwas heller erscheinen lässt und mit vielen Klischees und Vorurteilen aufräumt.
Wer zu historischen Romanen greift, wird die Figur des Henkers nun mit anderen Augen sehen. Man muss sich aber auch vor Augen halten, dass Meister Frantz mit seinem hohen moralischen Anspruch vielleicht auch eine Insellösung in dieser Berufsgruppe darstellte. Viele Scharfrichter ertränkten ihren Beruf im Alkohol, wurden selbst zu Mördern oder begingen Selbstmord.
Fazit
Ein großartiger Titel, der uns aufklärt und dem Tod kein unmenschliches Gesicht gibt. Sehr zu empfehlen.
Michael Sterzik
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