Sonntag, 6. November 2011

Interview mit Rebecca Gable


Interview mit Rebecca Gablé
Mittelalter, England, Tudors
"Der dunkle Thron" ist gerade im Buchhandel erschienen. Wie waren dort Ihre Eindrücke?

Ich habe den Eindruck, dass "Der dunkle Thron" vom Buchhandel mit großer Euphorie und viel Engagement aufgenommen wurde. Von der Buchhandelskrise, die derzeit in aller Munde ist, habe ich diesen Herbst noch nichts gemerkt.


Sie haben nun die Waringhams in einigen Generationen und das über vier Bände viel erzählen lassen, was England geprägt hat. Wäre es denn nicht mal interessant einen Roman zu schreiben, aus der Perspektive Heinrich VIII. oder einer seiner engsten Vertrauten?

Nein, das würde mich derzeit nicht sonderlich reizen, weil ich ja gerade einen Roman über diese Epoche geschrieben habe. Es gibt so viele spannende historische Themen, dass es wirklich nicht nötig ist, eines zweimal zu behandeln ;-)


Beim Lesen von "Der dunkle Thron" fiel mir auf, dass Sie den historischen Figuren bzw. deren Charakteren ein äußerst negatives Bild gegeben haben! Gerade Anne Boylen und König Heinrich VIII., waren diese denn nicht auch "Opfer" ihrer eigenen Zeit? Schließlich wurden die beiden wie auch andere immer wieder von Politikern oder auch Verwandten manipuliert!

Das kann man so generell nicht sagen, meine ich, denn viele historische Figuren - Thomas More, Katharina "Catalina" von Aragon, Mary Tudor etc. - kommen in meinem Roman besser weg als bei manchen Kolleginnen und Kollegen. Was ich über König Henry VIII. geschrieben habe, spiegelt den aktuellen historischen Forschungsstand wieder. Alle Menschen sind "Opfer ihrer eigenen Zeit", aber nicht alle werden deswegen zu psychopathischen Egomanen wie Henry. Im Gegensatz zu ihm werden viele der anderen Figuren von den Historikern sehr unterschiedlich beurteilt, das gilt z. B. auch für Anne Boleyn. Meine Schilderung gibt wieder, wie ich Anne nach Abwägung der bekannten Fakten beurteile. Die Darstellungen von Persönlichkeiten im historischen Roman sind aber immer subjektiv. Ein Romanautor, der versucht, objektiv zu bleiben, kann sein Manuskript gleich in die Tonne stopfen, denn objektiv ist langweilig.


In Ihren Romanen waren die Rosenkriege und die Geburt der Tudor-Dynastie Thema. Wenn es einen fünften Band geben sollte, wird es hier um die jungfräuliche Königin Elisabeth gehen?

Das weiß ich noch nicht.


Entwickeln sich Ihre Charaktere immer genauso wie sie es geplant haben oder entwickeln diese ungewollt dann doch ein buntes Eigenleben?

Ich plane meine Figuren immer sehr genau, bevor ich mit dem Schreiben beginne, darum gibt es bei ihrer Entwicklung während der Entstehung des Romans keine Überraschungen. Weniger exakt plane ich den Handlungsverlauf im Einzelnen, also die Ereignisse im Privatleben meiner Figuren, und da kann es dann vorkommen, dass beim Schreiben unerwartete Dinge passieren.


Sie gelten als Königin des historischen Romans, liegt es dann nicht auf der Hand, ggf. einen Roman zu schreiben, der das deutsche Mittelalter interpretiert?

Mein nächster Roman wird ins deutsche Mittelalter führen.


Seit einigen Jahren haben die historischen Romane eine große Leserschaft erreichen können! Wie erklären Sie sich das Interesse an dem "dunklen" Mittelalter, das ja gar nicht so dunkel gewesen sein mag?

Ich denke, dass die Leserinnen und Leser neugierig auf die Vergangenheit sind, weil dort unsere Wurzeln liegen. Das gilt für das Mittelalter ganz besonders. Wer etwas über das Mittelalter lernt, kann vielleicht besser verstehen, welche Entwicklungen unsere Zivilisation genommen hat und wie wir wurden, was wir sind.


Welcher Roman aus der Waringham-Reihe gefällt Ihnen ganz besonders und welchen würden Sie am liebsten noch einmal überarbeiten?

Ich habe keine Präferenzen und ich beschäftige mich wenig mit meinen alten Romanen. Sicher würde ich "Das Lächeln der Fortuna" heute ganz anders schreiben, denn der Roman ist alt und ich habe mich seit seiner Entstehung schriftstellerisch verändert, aber deswegen habe ich nicht den Wunsch, ihn zu überarbeiten. Da schreibe ich doch lieber etwas Neues.


Welche Überraschungen haben Sie bei der Recherche zu dem Buch "Der dunkle Thron" erlebt?

Die größte Überraschung war wohl die große Flut an zeitgenössischen Quellen. Im Mittelalter, als noch alles von Hand aufgeschrieben werden musste, haben die Leute sich dreimal überlegt, ob es sich lohnt, einen Text zu verfassen. Nach der Erfindung des Buchdrucks hat auf einmal jeder, der meinte, er hätte der Welt etwas mitzuteilen, seine Gedanken oder Taten drucken lassen. Das Ergebnis war eine allgemeine Geschwätzigkeit, die mich manchmal an das Internet erinnert hat.


Gab oder gibt es schon konkrete Anfragen eines Ihrer Bücher zu verfilmen?

Ja, aber bisher ist noch nie etwas daraus geworden. Das Problem ist, dass historische Stoffe sehr teuer in der Umsetzung sind. Die Konzepte für Drehbuch und Produktion, die mir bisher angetragen wurden, waren meistens zu "knauserig", um ein befriedigendes Ergebnis liefern zu können.


Wie sieht Ihr Tagesablauf aus, schreiben und recherchieren Sie jeden Tag oder können Sie sich auch einmal (mehrmals) fallenlassen?

Meine Tagesabläufe sind sehr unterschiedlich, je nachdem, ob ich gerade recherchiere oder schreibe oder beides tue, aber ich arbeite eigentlich jeden Tag, meistens länger als die üblichen Bürozeiten anderer Menschen. Das macht mir aber nichts aus, denn ich liebe meine Arbeit.


Wenn Sie in ihrer Freizeit lesen, zu welchem Genre greifen Sie dann als Erstes?

Das ist ganz unterschiedlich. Ich lese gerne Kriminalromane oder Thriller. Momentan habe ich aber nach langer Abstinenz wieder mal eine Fantasy-Phase (George R. R. Martin). Gelegentlich lese ich auch mal Klassiker - meist englische - oder etwas Ernstes, aber das ist eher die Ausnahme.


Als Medium gibt es ja nun unzählige eBookreader, haben Sie selbst eines oder gleich mehrere? Werden diese das herkömmliche Buch ersetzen können oder müssen?

Nein, ich habe noch keinen eBook-Reader, will mir aber bald einen zulegen, weil ich neugierig bin. Ich glaube, dass das eBook großartige Möglichkeiten für eine vielfältige Darstellung von Inhalten bietet, die weit über das geschriebene Wort hinausgehen. Aber ich bin sicher, dass das klassische Buch deswegen nicht aussterben wird, dafür ist es als Medium einfach zu beliebt und ein zu zentraler Bestandteil unserer Kultur.


In welcher mittelalterlichen Zeitzone würden sie gerne leben wollen? Zur Zeit der Rosenkriege oder eher in den wirren politischen Zeiten der Tudors? 

Weder noch. Ich möchte überhaupt nicht in der Vergangenheit leben, sondern bin im 21. Jahrhundert ausgesprochen zufrieden.


Welche Persönlichkeit würden Sie gerne auf ein Glas Wein oder Bier einladen und evtl. eine Menge an (un)angenehmen Fragen stellen wollen?

Sehr vielen - eigentlich allen, über die ich geschrieben habe. Angefangen mit William the Conqueror bis hin zu Bloody Mary.


Was ist Ihr nächstes Buchprojekt?

Ein Roman über das deutsche Mittelalter. Näheres möchte ich aber noch nicht verraten ;-)


Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben.


Das Copyright für das Foto liegt bei Oliver Favre
Michael Sterzik [06.11.2011]

Keine Kommentare: