Die Zeitzeugen, die das Grauen des dritten Reiches, der Nazis in Deutschland erlebten, verstummen. Doch sie sind nicht vergessen – weder die Vernichtungslager, noch der entfesselte Krieg, der Angriff auf Polen, der den 2. Weltkrieg auslöste. Die systematische Todesmaschinerie der Nazis ist beispiellos – der antisemitische Hass auf die jüdische Bevölkerung und anderen sozialen Randgruppen ist schwer erklärbar. Wir können die Vergangenheit nicht ändern – aber wir müssen uns an diese erinnern – wir müssen den Menschen, die unter Lebensgefahr Menschen bei der Flucht halfen ein Ehrendenkmal setzen. Denn sie sind die wirklichen „Gerechten“ unter uns.
Irena Sendler, eine leitende Mitarbeiterin der polnischen
Sozialbehörde in Warschau, rettete 2500 Kindern das Leben, indem sie diesen
Kindern zur Flucht in Waisenhäusern, Klöstern, Gastfamilien usw. verhalf. Mit
hunderten von gefälschten Papieren, mit Unterstützung der Kirche und ihren
eigenen Freunden. Im Warschauer Ghetto trug die kaum 30-jährige junge Frau
einen Judenstern. Bis zur Vernichtung des Warschauer Ghettos 1943 rettet sie
unter Lebensgefahr diese Kinder. Doch ihre mutige Tat wurde verraten und die
Gestapo verhaftete und foltere Irena Sendler, die aber keinerlei weiteren
Kontakte an die Nazis verriet.
Lea Kampe gibt Irena Sendler in ihrem Roman: „Der Engel
von Warschau“ eine Präsenz, deren Echo nachhaltig ist. Wir alle, oder viele
kennen Oskar Schindler, den Unternehmer, der mithilfe einer Liste viele
tausende Juden das Leben rettete, indem er dies als Arbeitskräfte für seine
Fabrik beanspruchte und bei den Nazis freigekauft hatte. Doch wer war Irena Sendler?
Ihr Schicksal und ihr Leben ging medial leider unter. Doch vergessen ist sie
nicht.
Warschau, 1940: Die Nazis errichten das Ghetto. Die
29-jährige Sozialarbeiterin Irena versucht alles, um den jüdischen Menschen zu
helfen. Sie versteckt ein kleines, von verzweifelten Eltern ausgesetztes
Mädchen unter falschem Namen bei einer nicht-jüdischen Familie. Was als mutige
Tat beginnt, wird zur groß angelegten Rettungsaktion. Irena schmuggelt immer
mehr Kinder mit gefälschten „arischen“ Identitäten aus dem Ghetto. Sie denkt
nie ans Aufgeben, obwohl sie in ständiger Lebensgefahr schwebt. Aber Irena muss
nicht nur um ihr eigenes Leben bangen. Denn Adam, ihre große Liebe, ist Jude.(Verlagsinfo)
„Der Engel von Warschau“ ist ein gefühlvoller, sehr
authentischer Roman und legt zum Glück nicht seinen Fokus auf eine hoch
dramatisiere Liebesgeschichte einer überzeichneten Heldin. Wer hier viel
Liebesschmerz erwartet, eine gefühlsbetonte Leidens- und Liebensgeschichte,
wird enttäuscht sein. Das Buch ist weder das eine, noch das andere.
Der Fokus liegt auf das Wirken einer Frau, die ihr Leben
riskierte – die Hauptdarsteller dieses sehr guten Buches sind die Protagonisten
„Mitgefühl und Menschlichkeit“ in einer Zeit, in der ein Leben nicht viel wert
war.
Lea Kampe orientiert sich an Fakten und verarbeitet wenig
fiktionales. Das Buch ist keine Gute-Nacht-Geschichte – es berührt, es
schockiert und hält uns die Vergangenheit wie einen Spiegel vor unseren Augen.
Doch ist der Roman manchmal auch sehr oberflächlich. Das
Schicksal der jüdischen Kinder berührt, aber ich hätte erwartete, dass man den
Eltern dieser Kinder und auch die Personen, die Irena Sendler geholfen haben,
mehr erzählerischen Raum gegeben hätte. Besonders gut gefallen haben mir auch
die historischen Beschreibungen der Nationalsozialisten, ihre diabolischen
Pläne, die Dialoge, die so beiläufig klingen – dabei ging es hier um
Menschenleben. Auch das oder gerade diese Passagen sind großartig erzählt – nur
leider viel zu wenig intensiv.
Die Handlungen von Irena Sendler wiederholen sich und
wirken ab und an zu langatmig erzählt. Die Ängste, die Gefahren usw. alles
schön und gut – doch der perspektivische Wechsel der Protagonisten ist allzu
schwach eingebaut.
„Der Engel von Warschau“ ist ein Zeitzeugnis, dass Irena
Sendler – ihrem Wirken, ihrer Menschlichkeit, ihrem Mitgefühl viel Respekt und
Dank zollt. Lea Kampe schriftstellerischer Stil Emotionen in die Gefühlswelten
ihrer Lesen zu aktivieren ist gut – aber könnte noch vielseitiger sein –
konzentrierte in jedem Fall.
Fazit
Ein Titel, den man lesen sollte – der aber bei weitem
nicht wunderbar unterhaltsam ist. „Der Engel von Warschau“ überzeugt durch die
Protagonisten, Mitgefühl und Menschlichkeit – und das nicht nur personifiziert.
Ein guter – wenn auch oberflächlicher Roman.
Michael Sterzik
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