Wenn aus Opfern Täter werden – was ist in der Vergangenheit passiert, oder gibt es für das „Böse“ keine plausible Erklärung? Können wir Verbrechen: Morde, Folter, psychische Misshandlungen damit entschuldigen, dass in der Kindheit des Täters irreparable, psychische Traumata stattgefunden haben müssen!?
Profiler der Landes- und Bundeskriminalämter, sowie Psychologen bestätigen, dass hier der Grundstein für spätere Verbrechen gelegt wird, dass Fundament könnte dann eine ganze Reihe von Serienmorden bilden. Leider bestätigt es sich, dass Gewalttäter, die in Serie morden, in ihrer frühen Kindheit und Jugend selbst Opfer gewesen sind. Nicht die Ausnahme – vielmehr leider eine traurig bestätigte Regel. Tierquälerei, Mobbing usw. eine gewisse Aggressivität die latent, vielleicht auch erste Jahre später bei einem gewissen Ereignis ausbricht. Schon in Kindheitstagen werden wir geprägt – durch unsere Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde ...usw. wir können dies nicht abstreiten. Gewisse Rituale und selbst Eigenschaften scheinen in unserem Betriebssystem – unserer DNA fest installiert zu sein. Ganz einfache Erklärung, oder eine Entschuldigung, den Toten ist es egal?! Die Überlebenden, selbst die Angehörigen, oder die Polizeibeamten, die Ärzte und Psychologen berühren diese Schicksale – es gibt keinen psychologischen Panzer der das alles aushalten, kann. Egal ob es sich um einen Haarriss handelt, oder einen Krater in diesem Panzer – das Grauen, dass Böse findet seinen Weg. Nur wir entscheiden dann selbst – ob wir uns helfen lassen.
Der neueste Krimi der erfolgreichen Bestsellerautorin Nele Neuhaus – Muttertag – erschienen im Ullstein Verlag, behandelt diese Thematik. Der neunte Band um die Ermittler Bodenstein/Sander ist vorab gesagt, ein hochklassiger Pageturner.
Das besondere an diesem Titel ist, dass es faktisch keine Nebengeschichten gibt. „Muttertag“ besteht aus einer primären Haupthandlung. Selbst im Ensemble der Figuren, gibt es auch hier keine wirklich gesetzten Nebenfiguren. Die Bühne ist bereit, der Vorhang geht auf – dramatische Musik und schon geht es los mit einer ganzen Reihe von Opfern, die zufällig gefunden werden!?
Nele Neuhaus überlässt hier nichts dem Zufall?! Ja, dass Leben schreibt bekanntlich die besten Geschichten, auch wenn man sie eigentlich gar nicht begreifen kann, oder kopfschüttelnd denkt, dass das nicht wahr sein kann!? Eine Leiche, die aufgefunden wird, ein halbverhungerter, dehydrierter Hund, in einem abgeschlossen Zwinger, und neben ihm menschliche Knochen. Bis dahin – alles gut – aber das Grundstück und die Gebäude waren einst ein Waisenhaus, die Frau des Toten verschwunden, man vermutet Selbstmord und die ehemaligen Kinder dieser Einrichtung – nur mehr oder minder Erfolgreich als Erwachsene, bedürfen einer ganzen Armee von psychologische Behandlungen, Taschentüchern und einer gemütlichen Sitzgelegenheit, ggf. auch mal die Sicherheitsverwahrung. Alles Opfer? Alles Täter? Alle Unschuldig?
Muttertag ist hochklassig spannend – eine Atmosphäre, die einen einschließt und den Schlüssel wegwirft. Stil, Ausdruck und Sprache – Dialoge, Szenen, Charakterisierung vom allerfeinsten. Ach ja – Faktor realistische Handlung – Ein sattes „NEIN“ – Die erfahrenen Kommissare haben Verstärkung erhalten: Kommissar Zufall ist Mitglied dieser Sonderkommission. Und es wird noch besser: Kommissar Zufall ist zufällig mit den ermittelnden Kriminalbeamten verwandt – Erklärung: Nein, nicht eine Person, sondern gleich mehrere sind involviert!? Natürlich ist das alles nur ein Zufall...
Abgesehen von dieser absurden, nicht authentischen Handlung, ist diese absolut spannend. Ein Blockbusterkrimi – einer der besten Werke der Autorin.
Gehen wir mal zurück zum Realismus: Meisterlich erzählt, sind die Ermittlungsfortschritte der Kriminalbeamten und die Perspektive einer Berühmtheit im Fachbereich: Verhaltensweisen eines Serienmörders – die den Beamten das Universum eines psychopathischen Serienmörders nahebringen will, außerordentlich spannend. Das sind dann wieder diese großartigen Momente in „Muttertag“ die überzeugen.
Großartig in Szene gesetzt wurden auch gleich die Verdächtigten, die sich dann in einer A- und B-Mannschaft aufteilen, nebst einer alten Liga von Menschen, denen das Schicksal anderer Menschen kalt lässt, und die teilnahmslos danebenstehen, in dem Wissen: Hey, dass geht eigentlich gar nicht – aber die Profilneurose setzt sich dann leider doch durch.
Die Hauptprotagonisten, die wie gewohnt auf dem Siegertreppchen stehen, sind Oliver von Bodenstein und seine Kollegin Pia Sander. Sehr gefallen und außerordentlich stark ist die Figur der Frau Dr. Nicola Engel – Kriminaldirektion. Eine Figur, deren Präsenz stark und interessant ist und hoffentlich in den nächsten Bänden mehr Raum einnehmen müsste.
Fazit
„Muttertag“ ist einer der persönlichen, literarischen Oscar-Anwärter der Autorin Nele Neuhaus. Brillante Spannung – die einen darüber nachdenken lässt, das anberaumte Familienfest ausfallen zu lassen. Ein Pageturner – der auch nachhaltig ist – Schuld und Unschuld – eine Grauzone die einen Parkstrich gleicht. Regt an, einmal nachzudenken, dass wegschauen, oder das Ignorieren eine Straftat ist. Diese kann auch einen lebenslang begleiten.
Michael Sterzik
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