Das Leben junger Adliger Söhne und Tochter im Mittelalter war meistens schon durch das Familienoberhaupt vorbestimmt. Die Familienehre, der Besitz von Ländereien, von Titeln und natürlich auch Einfluss und Macht am Hofe eines Königs, oder Herzogs, motivierte die Väter Ihre Kinder höchstbietend zu verkaufen.
Junge Frauen gingen Ehen ein, die für ihre Familie Macht
und Einfluss ggf. bedeutete. Für die Söhne, wenn es denn mehrere gab, war die
Zukunft methodisch geplant. Einer erbte den Titel, die Burg, den Landsitz, oder
ähnliches und schlug die Ritterlaufbahn ein. Den Zweit- und Drittgeborenen war
es bestimmt eine klerikale Laufbahn eines Priesters einzuschlagen, oder wenn
sie Glück hatten studieren konnten. Ein individueller Berufswunsch war überwiegend
schwer durchzusetzen. Eine Alternative war natürlich mit seiner Vergangenheit
und seiner Familie zu brechen. Eine Rückkehr war dann meistens nicht mehr denkbar.
Die in Hamburg lebende Autorin Sabine Weiß hat vor
wenigen Monaten im Verlag Lübbe ihren Titel: „Der Chirurg und die Spielfrau“
veröffentlicht. Die Story eröffnet sich genau mit dieser Thematik. Ein junger
Ritter, der seinen Bruder auf einem idealistischen Kreuzzug folgt und durch
eine Krankheit sein Augenlicht verliert. Chirurgisch behandelt durch einen
berühmten Arzt fasziniert ihn die Welt der Medizin und Wissenschaft und er wird
ein Meister seines Fachs. Doch auch durch die Sklavin und Spielfrau Elena, die
seine körpereigenen Heilkräfte durch ihren Gesang und ihre Stimme aktiviert,
verändert sich sein Leben. Er will die Frau aus der Sklaverei retten, die Frau
die er liebt.
1217. Weil sein Vater ihn ins Kloster geben
möchte, flieht der junge Bremer Adlige Thonis und schließt sich einem
Kreuzzugsheer an. Doch er kommt nicht weit: Schon auf dem Weg ins Heilige Land
erblindet er, wird zum Sterben zurückgelassen. Dass er gesundet, verdankt er
allein dem betörenden Gesang einer Spielfrau, der ihn im Leben hält, und der
Kunst des Chirurgen Wilhelm. Fasziniert lässt sich Thonis selbst zum Chirurgen ausbilden und spürt die
Frau auf, die ihn einst rettete: Elena, eine Sklavin. Beide wollen
sie den Menschen helfen – und geraten in einer Zeit der Kreuzzüge und
Ketzerverfolgung in tödliche Gefahr ...(Verlagsinfo)
Sabine Weiß erzählt ihren neuesten historischen Roman
sehr geschickt. Thematisch befasst sie sich mit der Medizin – der „klassischen“
und sagen wir es mal, einer alternativen Musiktherapie. Aber auch andere
Themen, wie z.B. ein idealistischer Kreuzzug der zum Scheitern verurteilt ist, familiäre
Familienfehden, die Sklaverei und die politischen Anmaßungen von Bischöfen und
Königen, werden verarbeitet.
Menschliche Facetten und Beziehungsebenen sind in diesem
Roman emotionale Minenfelder, die situativ gekonnt hochgehen. „Der Chirurg und
die Spielfrau“ ist ein sehr spannender, und atmosphärisch dichter Roman, dessen
Melodie überzeugt. Besonders gut gelungen, ist die Beschreibung der
medizinischen Ausbildung, der Laufbahn, die Erkenntnisse und der Fortschritt
der damaligen Behandlungsmöglichkeiten. Hier gelingt das Storytelling
hervorragend. Auch die Figurenzeichnung ist realistisch und sehr gut gelungen.
Das nach alter Rezeptur eines historischen Romans, natürlich die gute, alte
Liebesgeschichte nicht fehlen darf, liegt auf der Hand. Wie der Titel schon
sagt steht hier eine „Spielfrau“ im Fokus, eine Sklavin, die natürlich nach
tragischen Erlebnissen ihren Mann stehen muss.
Derer Stärke ist ihre unvergleichliche Stimme, ihr Talent
mit Gesang und Instrumenten zwar keine Heilung, aber Linderung zu verschaffen.
Man mag darüber schmunzeln, aber eine Musik- und Klangtherapie ist medizinisch
faktisch bewiesen. Doch dieser Part ist deutlich schwächer, nicht weniger
dramatisch – aber gleicht inhaltlich manchmal einem Klischee, dass man mit
vielen anderen historischen Romanen vergleichen kann. Es ist nicht langweilig,
aber halt theatralisch überzogen und nimmt der Stärke der eigentlichen Geschichte
enorm viel.
„Der Chirurg und die Spielfrau“ wäre um ein vielfaches
besser, wenn Sabine Weiß den Weg einer dramatischen, überzeichneten,
schicksalshaften Liebe nicht eingeschlagen hätte. Ja – klar – der Zielgruppe
verlangt es nach Romantik, nach graziöser Schönheit einer Sklavin, nach harten
Schicksalsschlägen, die man erträgt und noch stärker hervorgeht. Sorry – nichts
Neues.
Sehen wir von diesem schwachen Part einmal ab – ist der
Roman hochklassig. Sabine Weiß Talent und Stil eine Spannung zu erzeugen
gelingt. Feinfühlige Figuren, tolle Dialoge und selbst die Kampfszenen sind
sehr, sehr gut verarbeitet.
Die ersten 2/3 des Romans sind perfekt – gutes Tempo,
aufbauende Spannung und die Figuren handeln wie man es erwartet, oder eben auch
nicht. Die wechselnden Schauplätze sorgen für verschiedene Perspektiven und
sind dabei behilflich, die Protagonisten zu charakterisieren. Auch hier hat mir
die Darstellung und Interpretierung der historischen Figuren weitaus besser
gefallen, wie die der fiktiven. Die Spielfrau ist die schwächste
Figurenzeichnung, da sich hier jeder bekannten Klischees bedient wird.
Unterschiedliche Berufe – gleiche Schicksale- gleiche Dramatik – gleiches Happy
End.
Die Autorin Sabine Weiß kann durchaus mehr. Interessant
wäre es einen Roman von Ihr zu lesen, dessen Aufbau nicht immer der gleiche ist
– bei Ihren auf Sylt spielenden Romanen gelingt ihr das mehr als großartig.
Diese Reihe kann ich absolut empfehlen.
Fazit
„Der Chirurg und die Spielfrau“ überzeugt durch die
Melodie der Medizin. Spannende, perspektivische Wechsel, die mittelalterliche
Wissenschaft sehr atmosphärisch interpretiert. Sehr zu empfehlen.
Michael Sterzik
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