Rebecca Gable, die unbestrittene Königin des historischen Romans, entführt uns in ihrem neuesten Werk „Rabenthron“ (Bastei Lübbe Verlag) in ein England, das von den gnadenlosen Raubzügen der Nordmänner – Dänen und Norweger – in seinen Grundfesten erschüttert wird. Was einst mit einzelnen Wikingerschiffen begann, die kleine Küstendörfer und Klöster plünderten, entwickelte sich zu einer professionell organisierten Invasion ganzer Flottenverbände. Ihr Ziel: nicht nur Raub und Zerstörung, sondern die dauerhafte Ansiedlung auf englischem und französischem Boden.
Die Küsten Englands und Frankreichs werden zu Brutstätten der Wikingersiedlungen, der Einfluss skandinavischer Adeliger in der Normandie wächst stetig, und mit ihm der unerbittliche Wille, England zu erobern. Das Land wird zu einem jahrzehntelangen Schlachtfeld, auf dem der Einfluss der Wikinger und später der Normannen immer stärker wird. Eine Eroberung, die weit über die Insel hinaus ganz Europa prägen sollte, indem sie die angelsächsische Sprache durch das anglonormannische ablöste und so den Grundstein für das moderne Englisch legte.
Im Herbst des Jahres 1013 reist der junge Engländer Ælfric of Helmsby nach London, um den dänischen Gefangenen Hakon bei Hofe abzuliefern. Doch die Stadt liegt in Trümmern, ein Spiegelbild des schwachen Königs Ethelred, der sein Reich nicht vor den ständigen Wikingerüberfällen schützen kann. Entgegen aller Erwartungen sind Ælfric und Hakon keine Feinde, sondern Freunde geworden, die sich auf ihrer gefährlichen Reise aufeinander verlassen mussten. Schon bald gehören sie zum inneren Kreis der machtbewussten Königin Emma. Doch der Widerstand der Engländer bröckelt, und mit dem Tod des dänischen Königs steht ein noch gefährlicherer Feind vor den Toren... (Verlagsinfo)
Die Wut der Wikinger, entfacht durch die blutige Nacht am 13. November 1002, als König Ethelred die dänischen Siedler in ganz England abschlachten ließ, ist der eigentliche Auslöser für die Eroberung Englands. An diesem schicksalhaften St.-Brice-Day wurde auch die Schwester des dänischen Königs ermordet, was die Rachegelüste der Nordmänner ins Unermessliche steigerte.
Die packende Geschichte erstreckt sich über die Jahre 1013 bis 1041 und rückt Königin Emma ins Zentrum des Geschehens. Als Normannin, die den englischen König heiratete, wird sie als kluge und machtbewusste Strategin dargestellt, die ihr eigenes „Game of Thrones“ spielt. Die Autorin zeichnet ein gnadenloses Bild von König Æthelred: zögernd, mutlos und fast depressiv, unfähig, sein Volk gegen die Wut und den Eroberungswillen der Dänen und Norweger zu verteidigen.
Rebecca Gable bleibt den historischen Quellen und Fakten treu, verwebt sie jedoch gekonnt zu einem spannenden Roman, der immer wieder auch als fesselnder „Geschichtsunterricht“ dient. Die Kriege werden nicht nur auf dem Schlachtfeld entschieden, sondern auch durch geschickte Verhandlungen und trickreiche Intrigen. Wer Gables Romane kennt, wird ihr erzählerisches Muster wiedererkennen, das sich an ihren früheren Werken orientiert, ohne dabei in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen. Neben unangenehmen Figuren finden sich auch hier wieder starke, sympathische Charaktere.
Dieser unterhaltsame Band, ein Prequel, das die Helmsby-Reihe abschließt, besticht durch seine originelle und fesselnde Erzählweise des englischen Mittelalters. Auch wenn die Dramaturgie manchmal allzu offensichtlich ist, verzeiht man der Autorin diese schriftstellerische Freiheit, die uns ein „So könnte es gewesen sein“ präsentiert.
Fazit:
Faszinierende Geschichtsstunden mit einer starken Frau im Mittelpunkt, die die vernichtende Wirkung von Worten zu nutzen weiß.
Michael Sterzik
