Im dritten Reich durfte es keine Verbrechen geben, und wenn, dann waren die Täter der jüdischen Bevölkerung zuzuordnen. Extreme Gewaltverbrechen wie Mord, Vergewaltigung, schwerer Raub usw. kamen zwar vor, wurden aber von der staatlichen Propaganda instrumentalisiert. Straftäter wurden zum Tode verurteilt und wenn der Täter ein parteitreues Mitglied der NSDAP war, wurde dies unter den Teppich gekehrt. Der Schein einer perfekten Gesellschaft musste gewahrt werden und bleiben. Der Verwaltungsapparat der Nationalsozialisten funktionierte unter Zuwendung von Drohungen und Gewalt. Auch hier zeigte sich das totalitäre System.
Kritik an den Führer, oder negative Äußerungen zur Politik
und sowieso zur Partei konnten schnell zu einem Todesfall führen. Wer nicht für
„Deutschland“ war – war automatisch ein Staatsfeind. Die Nazis regierten mit
einer unerbittlichen Atmosphäre der Angst und Einschüchterungen, der
Manipulation und setzte regimetreue Figuren an Schlüsselpositionen, um
jeglicher Kritik im Keim zu ersticken – mit allen Mitteln. Sie nahmen es mit
der Staatsgewalt sehr genau.
Ab wann der einzelne Mensch ein „einfacher“ Mitläufer, oder
wann und wie wurde er zum Mitwisser, und dann ggf. zu einem Täter?! Die
Geschichtsbücher und Chroniken sind voll von diesen Beispielen. Nach dem Krieg
verdrängten die Menschen ihre Taten, ignorierten Fragen zu ihrer Vergangenheit,
gaben vor nichts von alledem gewusst zu haben.
Der britische Autor Simon Scarrow, der auch als Dozent für
Geschichte tätig war, hat einen historischen Kriminalroman verfasst:
„Verdunklung“ – erschienen im Verlag Piper.
Berlin im Winter 1939. Der Zweite Weltkrieg hat begonnen.
Immer weiter schränkt das Nazi-Regime die Freiheit der Bevölkerung ein. Doch in
der Hauptstadt wird der sich ankündigende Schrecken der Kriegsjahre von einer
tiefgreifenden Angst überschattet. In den kalten Stunden der Verdunkelung, die
die diktatorische Regierung zum Schutz gegen Fliegerangriffe ausspricht, zieht
ein brutaler Mörder durch die Metropole. Als die Leiche einer jungen Frau
gefunden wird, gerät Kriminalinspektor Horst Schenke unter erbarmungslosen
Druck. Seine Weigerung, in die Nazipartei einzutreten, bringt ihn in große
Gefahr – und als eine zweite Frau ermordet wird, entdeckt Schenke eine Spur,
die bis ins Zentrum der Macht führt. Seine Stunden scheinen gezählt
...(Verlagsinfo)
„Verdunklung“ ist extrem gut erzählt. Der Autor
konzentriert sich nicht ausschließlich auf den Kriminalfall, sondern spaltet
seine spannende Story in einzelne Fragmente, die sich spannungsreich die Hand
geben. Ein Handlungsstrang ist der Ermittler Horst Schenke selbst – der nicht
der NSDAP angehört und sich nicht der SS angeschlossen hat. In der Kritik und
unter Beobachtung seiner Vorgesetzten weiß er, dass er sich entscheiden muss,
um nicht unter die Räder des verbrecherischen Systems zu kommen. Trotzdem wäre
er gerne als Offizier im Fronteinsatz. Also eine ambivalente Figur, die nicht
eindimensional daherkommt.
Ein weiterer Hauptbestandteil ist die Politik selbst. Der
Krieg gegen Polen, die ersten Verluste an Soldaten, die ersten Witwen, die sich
ggf. prostituieren müssen, das Handelsembargo, das ausländische Waren aus England
und Frankreich nicht mehr über die Grenzen lässt. Die einfachen Menschen
erleben noch lange nicht den totalen Krieg – aber sie ahnen ggf. schon was die
nächsten Jahre an Opfer verlangen. Auch die feindselige Haltung gegenüber der
jüdischen Bevölkerung wird in diesem Thema angerissen.
Unterhaltung hin oder her – hier gibt es viel mehr als nur
eine spannende Story zu lesen, sondern uns wird ein sehr detaillierter Blick
auf die Startphase des Zweiten Weltkrieges gegeben. Die gesellschaftliche und
soziale Politik des dritten Reiches wird ebenso viel Raum gegeben wie den Blick
in die Verwaltung, des Militärs und der Spionage. Die Botschaft ist allerdings
sehr deutlich, die der Autor übermittelt – er gibt uns einen Einblick in einen
Verbrecherstaat. Ein Blick hinter der Fassade, die Demaskierung eines Staates.
Die Geschichte wird ebenfalls aus der Perspektive des
Täters erzählt, ohne dass erstmal Namen genannt werden. Das steigert die
Spannung, auch wenn man bereits ahnen kann, wie sich die Geschichte weiterentwickelt.
Trotzdem gibt es eine ganze Reihe von Überraschungen und Wendungen und wieder
spielt das verbrecherische System hier tragende Rolle.
Apropos Rollen – die Rolle der Frau, wird hier auch in
verschiedenen Szenen erzählt. Eine gefallene Schauspielerin, eine Jüdin, usw.
auch diese Einzelschicksale sind grandios erzählt.
„Verdunklung“ ist hoffentlich der erste Band einer Reihe,
denn die Figuren sind vielversprechend und tiefgründig aufgestellt. Und unsere
Vergangenheit gehört noch immer zu unserer Gegenwart.
Fazit
„Verdunklung“ ist ein helles Licht im Genre historischer
Kriminalroman. Tiefgründige Spannung, ambivalente Figuren und sowieso
verzichtet man hier auf eine Schwarz/Weiß Interpretation. Ein wichtiger Roman,
den ich sehr empfehle.
Michael Sterzik