Sonntag, 29. August 2021

Sörensen am Ende der Welt - Sven Stricker

 

Mit der Figur des Kriminalhauptkommissars Sörensen, hat der Autor Sven Stricker eine Kultfigur erschaffen, die origineller nicht könnte. Es gibt eine Vielzahl von interessanten Ermittlern, die vielseitig sind, deren gewisse Eigenarten zu ihnen gehören, wie ein Körperteil, oder eine spezielle Angewohnheit und ohne dieses Merkmal wäre die Figur blass, gar langweilig.

Sörensen – sein norddeutscher Charakter steht etwas stellvertretend für seine Einwohner und ihren Humor. Der vorliegende Roman ist der dritte einer Reihe, die noch hoffentlich fortgesetzt wird.

Ein Roman lebt von seiner Handlung, seiner spannenden Storyline, die uns unterhaltsam packen soll. Doch dieser Roman, und auch die beiden vorherigen Teile „leben“ einzig und alleine durch und über seine Figuren. Auch wenn Sörensen der Fokus ist, so ist er doch nicht der einzige origineller Charakter in dieser Reihe. Sven Stricker versteht es brillant seine Figuren zu charakterisieren, aufzustellen, einzubeziehen und um diese eine unterhaltsame und spannende Story zu erzählen.

Ich habe selten einen Kriminalroman gelesen, der inhaltlich, so perfekt abgestimmt ist, wie ein Orchester bei dem jeder Einsatz stimmt. „Sörensen am Ende der Welt“ ist voll von Haupt- und Nebengeschichten, von Haupt- und Nebenfiguren – nur kann der Leser überhaupt nicht mehr zwischen diesen Merkmalen entscheiden. 

Kommissar Sörensen, gerade erst endgültig von Hamburg in das nordfriesische Katenbüll umgezogen, gibt die Hoffnung auf, in der Provinz Ruhe zu finden. Im Koog wird eine Leiche gefunden – erstochen mit einem Schraubenzieher. Und der letzte Mensch, der den Toten lebend gesehen hat, ist spurlos verschwunden: der junge Ole Kellinghusen, werdender Vater und ein guter Freund von Sörensen. Der immer noch unter seiner Angststörung leidende Ermittler stellt fest: Die Angst kennt viele Gesichter. Und der Tote hat sich jahrelang auf das Ende der Welt vorbereitet – nur nicht auf sein eigenes.(Verlagsinfo)

In diesen Roman passt alles. Besonders der Humor trägt maßgeblich zur Unterhaltung bei. Die Dialoge sind feingeschliffen, und besonders, die Wiederholungen, einzelner Satzbestandteile in nächsten Satz, fördern diese Situationskomik die zwangsläufig entsteht. Egal ob Sörensen ermittelt, oder sich mit einer Nebenfigur unterhält, dass Zentrum ist der sprachliche Humor.

Sven Strickers Talent ist der sprachliche Ausdruck. So wortgewandt auf hohem Niveau erzählend ist Sörensen ein brillantes Lesevergnügen, dass zurzeit einzigartig sein dürfte.

Ein Buch lebt von der gestalterischen Darstellung in dem Kopf des Lesers. Und genau diesem Aspekt lässt Bilder wachsen. Eindrucksvoll ebenfalls die Emotionalität, die Sven Stricker sehr sensibel und intelligent besonders bei den Nebengeschichten darstellt, in der sich Sörensen als Mensch zeigt, mit seiner Tochter, seinem Vater, seiner Kollegin Jennifer und ihren Sorgen, die Teil dieser Nebengeschichten ist.

Augenzwinkernd fügt Sven Stricker auch aktuelle Themen mit ein, und das mit seiner ganz persönlichen Interpretation und Wertung, die wie alles toll dazwischengeschoben ist.

Kommen wir zurück zu Sörensens Charakter. Er vereint so vieles in sich, so menschlich tiefgründig und sensibel, aber intelligent und mutiger, wie er es sich selbst eingestehen würde. Hinzu eine feine Melancholie, die man schon einmal in dieser Region hat und manchmal ist er so nervig und anstrengend (auch zu sich selbst), dass man ihn einfach sympathisch finden muss. Viele von den Lesern werden sich ggf. in diesen Figuren widerspiegeln, sie stellen eine überzeichnete, aber nicht übertriebene Realität dar. Sven Stricker verstrickt sich auch nicht in sich dem Genre versprechende Klischees. Sein Weg eine Erzählung aufzubauen, ist einzigartig und unvergessen.

Fazit

„Sörensen“ ist Kult. Ein Kommissar mit Hund, Herz und Humor. Diese Krimiserie ist einzigartiges und großes literarisches Kino. Hochklassig. Einer der besten Krimiserien ever. Unbedingt lesen.

Michael Sterzik

Sonntag, 22. August 2021

Das Lied der Macht - Die Rückkehr der Wirker - von Thomas Vaucher


Es gibt unzählige Fantasy-Epen in der Literatur. „Der Herr der Ringe“ von Tolkien, ist der Grundstein dieser Fantasy und noch immer ein Werk, an dem man sich Jahrzehnte später immer noch gerne orientiert. Die reanimierte Fantasy-Serie „Game of Thrones“  - Das Lied von Eis uns Feuer – setzte mit seiner filmischen Umsetzung einen weiteren Meilenstein, und zeigt uns, was aktuell möglich ist – nicht nur über eine beeindruckte Storyline, oder die kompromisslose und konsequente Darstellung von Gewalt und Tod, von Liebe und Schmerz. Sie setzte auch Maßstäbe in der Darstellung der Figuren, denn niemand war sicher, ob Freund, oder Feind, ob Neben- oder Hauptfigur, getötet wurden viele Figuren und dieser Verlust setzte der Spannung und der Emotionalität eine eindrucksvolle Krone auf.

Die Magie spielt in diesem Genre „Fantasy“ immer eine tragende Rolle. Es gibt auch andere wichtige Schlüsselelemente, die die Story beeinflussen, bzw. der eigentliche Grund sind. Verfluchte Personen, alte Mysterien, das alte Lied der Macht.

Der Schweizer Autor Thomas Vaucher, der sehr bekannt durch seine erfolgreiche Krimi-Mysterie-Reihe um Richard Winter geworden ist, schwenkt jetzt über in das Genre Fantasy mit dem Titel: „Das Lied der Macht“ – der erste Band einer geplanten Serie.

Zwischen den beiden Genre gibt es unzählige Unterschiede in der Beschreibungen der tragenden Storyline, der Regionen, der Figuren usw. Das Genre Fantasy lädt einen Schriftsteller gerade dazu ein kreativ zu werden, und dem sind nicht viele Grenzen gesetzt um sich sprichwörtlich auszuleben.

Eine Zeit des Feuers und des Schwertes, eine Zeit für Helden! Denn der Feind trägt eine Uniform aus Blut, eine Waffe aus Leid – und sein Herz kennt kein Erbarmen.

Die fremden Krieger kommen von jenseits des Großen Ozeans, greifen ohne Vorwarnung und Erbarmen an. Zum Entsetzen aller werden sie von jenen begleitet, die seit Hunderten von Jahren ausgerottet schienen und deren Macht übermenschlich ist: den Wirkern.
In dieser schweren Stunde versammeln sich die Könige des Darischen Kaiserreichs, um den Invasoren gegenüberzutreten. Aber der Feind kommt nicht nur von außen: Meuchler und Intriganten versuchen den bevorstehenden Krieg zu nutzen, haben ihre eigenen Pläne von Macht und Reichtum.
In diesen düsteren Sog geraten drei Menschen: Arken, der Meisterdieb, der ein Geheimnis mit sich herumträgt, das er selbst nicht kennt, Rune, die junge Ritterin der Schwesternschaft des Göttlichen Greifens, deren Glaube bis in die Grundfesten erschüttert wird, und der alternde Kriegsherr Valor, Held unzähliger Schlachten, der vor der größten Herausforderung seines langen Lebens steht. Drei Schicksale, geheimnisvoll miteinander verwoben. Ohne es zu ahnen, halten sie mehr als nur die Zukunft des Kaiserreichs in den Händen …(Verlagsinfo)

Um es vorab zu sagen, bevor ich ins Detail gehe – Thomas Vaucher zeigt damit seine ganz persönliche Bestimmung, sein schriftstellerisches Talent eine komplexe Geschichte zu erzählen, die einen absolut überzeugt.

Sicherlich findet man in diesem Roman, die eine, oder andere Parallele zu anderen, ähnlichen Werken. Es ist nahezu unmöglich etwas absolut neues zu arrangieren in diesem Genre. Eine Art von Verwandtschaft findet man also auch in dem vorliegenden Werk, was auch überhaupt nicht schlimm ist.

Auch wenn der erste Band sozusagen eine Einführung in Thomas Vaucher Universum ist, so ist die Basis schon vorzüglich und professionell aufgesetzt. Die drei Figuren, die die Handlung vorantreiben, sind gemäß ihren Talenten und ihren individuellen Eigenschaften gut aufgestellt. Insgesamt ist das Personennetzwerk nicht als klein zu bezeichnen. Besonders gut gefallen, hat mir die eine oder andere Nebenfigur.

Die Magie der „Wirker“ ist gut erzählt und wie sooft, sind diese magischen Personen auch gefürchtet, unter- und überschätzt, und haben keinen Platz in der minderbemittelten Mikrokosmos von kleingeistigen Menschen. Das diese auch in den nächsten Bänden eine sehr wichtige Rolle spielen werden, erkennt man schnell.

Ähnlich wie in vielen anderen Titeln geht es hier um eine fremde Macht, ein fremdes Volk, dass das Kaiserreich bedroht. Die inneren Konflikte gleichen einen Bürgerkrieg, es gibt Intrigen, die sich die Könige der anderen Länder gerne bedienen. Attentate, einen religiösen Orden, Diebe mit vielen Talenten usw. Schön komplex – ohne aber den roten Storyfaden zu verlieren.

Was der Story eine unheimliche Tiefe gibt, ist die Tatsache das der Autor seine Figuren Schicksale und Schmerzen auf dem Leib schreibt, die kompromisslos und konsequent zu manchem plötzlichen Tod führen. Es ist nicht alles simpel und einfach und nicht alles schwarz oder weiß. Gerade diese vielfachen Talente einzelner Protagonisten und ihre Fehler lassen die Story nachhaltig eloquent leben. Die Unterhaltung ist großartig. Der Aufbau ist gut abgestimmt, sodass alle Charaktere sich die Bühne sehr gerecht aufteilen.

Das schöne und interessante ist es auch, dass sich die „Magie“ in Grenzen hält und damit auch der „Realismus“ nicht negativ frei dreht. Sprache

Kommen wir einmal kurz zum Talent von Thomas Vaucher. In dem vorliegenden Band spielt er vollumfänglich aus. Auch wenn ich sagte, dass man die Genre Krimi und Fantasy nicht vergleichen kann, so offenbart sich hier eine qualitative hohe Entwicklung, wenn es darum geht, wie Thomas Vaucher Stil, Ausdruck und Sprache einsetzt.

Es gibt nicht viel zu kritisieren, denn es ist immer noch der Auftakt einer Reihe. Die Figuren und ihre persönliche Vergangenheit hätte man mehr Raum geben können. Auch über das fremde Volk, dass versucht mit einem Angriffskrieg das Kaiserreich zu erobern, erfährt der Leser noch zu wenig.

All das mindert aber keinerlei die spannende Unterhaltung. Ich denke, was uns noch erwartet könnte großartig werden.

Fazit

„Das Lied der Macht“ von Thomas Vaucher ist laut und leise. Perfekte Abstimmung, jeder Ton sitzt und der Autor zeigt, dass die seine Bestimmung ist – genau diese Roman Reihe könnte den Autor noch bekannter machen und eine Verfilmung ist ggf. eine spannende Idee.

Michael Sterzik

Samstag, 21. August 2021

Arminius - Der blutige Verrat - Robert Fabbri


Der Ort, bzw. die Orte an dem sich der Feldherr Varus nach dem Verlust von drei römischen Legionen in sein Schwert stürzte, sind gemäß den wissenschaftlichen Quellen über Norddeutschland verteilt. Doch inzwischen sprechen viele Indizien dafür, dass Varus seine ca. 25000 römischen Legionäre in der Nähe von Bramsche (Niedersachsen) am Kalkrieser Berg verlor. Unzählige Funde: Münzen, Rüstungsteile, Waffenfragmente und auch Knochen von Menschen und Tieren, lassen den Schluss zu, dass der in Rom aufgewachsene, adelige Sohn eines Germanenfürsten „Verrat“ an Rom beging. Er vereinte viele germanische Stämme und in einem grausamen Guerillakrieg kannte er offensichtlich keine Gnade für die römischen Invasoren und Unterdrücker. Doch stellen wir uns diese kriegerische Auseinandersetzung nicht als „Feldschlacht“ vor. In einer offenen Feldschlacht, hätten die Germanen, den Waffen, der römischen Disziplin der Legionäre und ihrer militärischen Strategie und Erfahrung nichts entgegenzusetzen gehabt. Stattdessen zielte die Strategie und Taktik von Arminius darauf ab, nach und nach die römischen Legionen zu dezimieren und ja auch zu massakrieren. Die germanischen Priester waren sehr wohl dafür bekannt, gefangene römische Legionäre zu foltern und als Opfer für ihre Götter abzuschlachten. Kommen wir zurück zu schier endlosen römischen Aufstellung von römischen Soldaten, die auch mit zivilen Angehörigen, Händlern, Huren, und Frauen und Kinder durch die die Wälder Germaniens gingen. Es dürfte eine Schlange von ca. 10km oder mehr gewesen sein – also mehr als genug Angriffsfläche um Angst und Schrecken zu verbreiten. Stellen wir uns auch die dunklen, nassen Nächte vor, in der die sowieso schon verängstigten, demoralisierten Legionäre, die Schmerzensschreie von gefangenen Kameraden hörten, die gefoltert und geopfert wurden. Psychologische Kriegsführung.

Robert Fabbri, der mit seiner historischen Reihe „Vespasian“ eine mehr als großartige Saga veröffentlichte, verwebt nun diese Reihe mit den Ereignissen um Arminius. Wobei aber auch gesagt werden kann, man kann den vorliegenden Band, auch ohne die mehrteiligen Bände der Vespasian-Reihe lesen und gut verstehen.

A. D. 9. In den Tiefen des Teutoburger Waldes, in einer von Sümpfen durchsetzten Landschaft führt Arminius, Sohn des Fürsten der Cherusker, ein Bündnis sechs germanischer Stämme gegen drei römische Legionen des Feldherrn Varus. In einem Pass werden fast zwanzigtausend Römer gnadenlos niedergemetzelt. Weniger als zweihundert schaffen es jemals zurück über den Rhein. Drei Legionsadler sind verloren – eine unermessliche Schande für Rom.

Wie kam es dazu, dass Arminius, aufgewachsen als Römer, dem Römischen Reich den Rücken kehrte und einen Verrat beging – einen Verrat so gigantischen Ausmaßes, dass er bis heute widerhallt? (Verlagsinfo)

Es gibt inzwischen unzählige historische Romane, die sich mit diesem historischen, epochalen Thema beschäftigten. Robert Fabbris Interpretation dieser Schlacht, dessen Echo noch immer nachklingt und uns fasziniert, hebt sich von diesen ab. Der Autor erzählt die Laufbahn, dass Leben von Arminius von Kindheitstagen, bis zu seinem gewaltsamen Tod. Der substanzielle Fokus ist natürlich die Schlacht, die Vernichtung, von  25000 Menschen. Das Besondere dabei, ist, dass die Geschichte auch rückblickend erzählt wird, von Arminius  Sohn, der sich die alten Schriften seines Vaters von zwei ehemaligen Legionären vorlesen lässt, die die Schlacht überlebt haben, und nun Sklaven sind.

Eine originelle Art, und gar keine schlechte Idee. Wer die Geschichte dieser „Schlacht“ kennt, deren wahrscheinlichen Ablauf, die späteren politischen Ereignisse, die dem Verlust von drei Legionen folgten, wird wenig überrascht sein. Historische Geschichte kann man nicht „neu“ erzählen, vielleicht nach einigen Jahren, wenn die archäologische Forschung neue Erkenntnisse entdecken, mag diese sich anders erklären. Aber das „wie“ erzählt man eine Geschichte ist durchaus variabel.

Spannend und unterhaltsam ist „Arminius“, doch kommt es nicht an die Klasse von „Vespasian“ ran – nicht im Entferntesten. Robert Fabbris erzählerischer Stil ist toll, zweifelslos, doch muss ich sagen, dass ihm das Schreiben einer Reihe mehr liegt, da er hier inhaltlicher viel Tiefgründiger seine Figuren und deren Charakter präsentieren kann. Auch wenn dieser Band als „Vespasian Band 10“ aufgenommen wird – sorry – völlig fehl am Platze – tolle Marketingidee, die nicht aufgeht.

Empfindet der Leser nun Mitleid, an dem Schicksal von 25000 Menschen? Nicht nur Soldaten, sondern auch Frauen und Kinder, die ebenfalls zu den Opfern zählen dürften? Den Schrecken dieser Menschen fängt Robert Fabbri nicht ein, bzw. die Intensität ist schwach ausgeprägt. Auch die Perspektive von Varus geht hier leider unter. Alles in allem also sehr oberflächlich. Stellt sich auch die Schuldfrage!? Schuld ist Varus als militärische Anführer allemal, seine Entscheidungen, führten dazu, dass das Schicksal von drei Legionen besiegelt wurden.

Persönlich hätte ich diese Thematik gerne als eine Trilogie gesehen. Vielleicht aus der Sicht des Vaters von Arminius, der wichtige Schlachten gegen die Römer verloren hatte, vielleicht dann wieder aus der Perspektive von Arminius und Varus und sehr interessant wäre es gewesen, wenn der Autor die Handlung aus der Sicht des einfachen, römischen Legionärs erzählt hätte, der ggf. später bei den Germanen als Sklave lebte!? Schade.

Robert Fabbri erzählt aber sehr plastisch und brutal kompromisslos vom Töten und Sterben der römischen Legionäre. Das mag interessant sein, aber mir fehlt hier die erzählerische Tiefe, die ich sonst von dem Autor kenne und die ich sehr, sehr schätzen gelernt habe.

Fazit

„Arminius – der Blutige Verrat“ ist ein souveräner Titel und sicherlich für die Leser von Interesse, die sich mit dem Thema noch nicht befasst haben. Ansonsten kann ich diesen nicht unbedingt empfehlen. Sehr und dringend zu empfehlen kann ich allerdings die 9-Bändige Reihe „Vespasian“. Diese Reihe gehört t mit zu den besten römischen Romanen, die ich gelesen habe.

 

Michael Sterzik

Sonntag, 15. August 2021

Die Verlorenen - Simon Beckett

 


Ein Kind zu verlieren, ist vielleicht mit einer der schlimmsten Situationen, die man sich als Vater oder Mutter vorstellen kann – ein Albtraum, ein seelischer Abgrund dessen Tiefe kein Ende hat.

Ein Abgrund tiefer ist, ggf. schuld daran zu sein, dass das eigene Kind verschwunden, oder tot ist. Das man psychologisch gesehen kollabiert, dass einen der Boden förmlich unter den Füßen weggerissen wird, und man schwerlich bis gar nicht, sich wieder seinen Alltag stellen muss – das ist eine Mauer, an der man zerschellen kann.

Von solch einen dramatischen Schicksal erzählt der britische Autor Simon Beckett in seinem neuesten Krimi: „Die Verlorenen“, der im Verlag Wunderlich erschienen ist.

Jonah Colley ist Mitglied einer bewaffneten Spezialeinheit der Londoner Polizei. Seit sein Sohn Theo vor zehn Jahren spurlos verschwand, liegt sein Leben in Scherben. Damals brach auch der Kontakt zu seinem besten Freund Gavin ab. Nun meldet Gavin sich überraschend und bittet um ein Treffen. Doch in dem verlassenen Lagerhaus findet Jonah nur seine Leiche, daneben drei weitere Tote. Fest in Plastikplane eingewickelt, sehen sie aus wie Kokons. Eines der Opfer ist noch am Leben. Und für Jonah beginnt ein Albtraum…(Verlagsinfo)

Das anfängliche Tempo ist fast überschlagend und ist grandios erzählt. Der Autor schleudert seine Figur Jonah Colley in einen persönlichen Albtraum 2.0. Das persönliche Schicksal, und seine Vergangenheit ist die Hauptschlagader in dem pulsierenden Krimi, den an der einen, oder anderen Stelle auch mal die Puste ausgeht. Von einem Schicksalsschlag zu anderem baut sich die Story auf.

Simon Becketts Stil ist souverän spannend. Er versteht es halt, den Leser an das Buch zu ketten. Die Atmosphäre dieser Handlung ist allerdings widersprüchlich und damit auch die charakterliche Perspektive der Figuren. Jonah Colley ist ein Musterexemplar eines einsames Wolfes, mit posttraumatischen Störungen, ein Einzelkämpferisches Exemplar aus dem schriftstellerischen Baukästchen, ein Stück Selbstverzweiflung hier, ein Stück von ich lasse-mich-mal-gehen da, in Kombination mit einem klassischen, anfänglichen Burnout umwickelt.

Befassen wir uns mit der Handlung und analysieren diese, so bietet der Roman „Die Verlorenen“ einen fantastischen Unterhaltungswert, aber eine große chronologische Sammlung von logischen Fehlern. Ich sage es mal nett: „Eine klassische Räuberpistole“ mit Logikbrüchen, ein paar Actionmomenten und verdammt viele Situationen, die so authentisch sind wie Alice im Wunderland.

Die Dialoge allerdings sind interessant – besonders die rhetorischen Duelle mit seinen Kollegen, die ihn auch intellektuell stark beanspruchen. Jonahs Profil ist sowieso interessant – ein Profi in vielerlei Hinsicht, der ein großes Talent hat, sich immer tiefer in Schwierigkeiten zu bringen. Auch diese Sprünge von Fettnäpfchen zu  Fettnäpfchen tragen viel dazu bei, die Story abwechslungsreich zu gestalten und klammern wir die Realität mal spontan aus.

Es gibt Überraschungen, es gibt Wendungen – eine davon ist sehr dramatisch und kommt so plötzlich, dass man denkt, dass Jonah einen an die Hand nimmt und einfach mir nichts, dir nichts in die Szene hüpft.

Die Reihe wird weitergehen um Jonah Colley – angekommen an einer Kreuzung seines Lebens wird es ihn schon irgendwo hintreiben.

Fazit

„Die Verlorenen“ ist ein toller Auftakt einer neuen Reihe. Die Chemie des Buches ist stimmig, aber noch optimierbar, damit die Story wirklich demnächst explodiert.

Starker Auftakt – Herzlich Willkommen im Genre Krim/Thriller Mr. Jonah Colley

Michael Sterzik

Sonntag, 8. August 2021

Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns - Judy Batalion


Der Holocaust – es gibt kaum noch Zeitzeugen aus der Zeit der Nazis und ihren furchtbaren Vernichtungslagern, umso mehr ist es wichtig, dass das dokumentierte Erbe, die Erlebnisberichte und Aussagen der überlebenden Häftlinge von Konzentrationslagern und ebenfalls die Stimmen der Widerstandskämpfer nicht verklingen. Diese Zahl von 6 Millionen ermordeten Jüdischen Frauen, Kindern und Männern ist nach über  80 Jahren noch immer schwer zu begreifen. Es gibt viele Filme und Dokumentationen, die diesen Schrecken in Bildern darstellen. Doch auch unter der jüdischen Bevölkerung gab es Widerstand, nicht nur passiven – sondern auch ein bewaffneter Widerstand in den Ghettos und Lagern, Sabotageakte und zielgerichtete Attentate auf Offiziere etc. In den Wäldern schlossen sich nicht wenige Juden den dortigen Partisanenkämpfern an. Viele, gerade auch jüdische Frauen infiltrierten die Besatzungsmacht und schmuggelten Kinder in neutrale Länder und nach Übersee.

Über diesen Widerstand von jüdischen Frauen ist einiges bekannt, aber steht aber nicht unbedingt im historischen Fokus. Die kanadische Historikerin Judy Batalion würdigt im vorliegenden Titel: „Sage nie, es gäbe nur den Tod für uns“ die Frauen, die im jüdischen Widerstand ihr Leben riskierten und auch verloren.

Vor einiger Zeit stieß Judy Batalion auf die Berichte junger jüdischer Frauen, die im Widerstand gegen die Nazis kämpften. Diese »Ghetto-Mädchen« versteckten Revolver in Brotlaiben und bombardierten Züge. Sie flirteten mit den Nazis, bestachen sie mit Schnaps – und töteten sie. Warum hatte Batalion, die in einer Familie von Holocaust-Überlebenden aufgewachsen war, nie davon gehört? Hier erzählt sie die wahre Geschichte dieser mutigen Frauen. Im Zentrum steht die Polin Renia Kukielka, die sich durch ihr vom Krieg gezeichnetes Land bewegt und ständig riskiert, für den Widerstand zu sterben.(Verlagsinfo)

„Sag nicht, es gäbe für uns kein morgen“ von Judy Batalion ist kein Buch, dass den Leser unberührt lässt. Trotz alledem was wir schon kennen, was wir auf Fotos gesehen, oder schrecklich gelesen haben – gehen diese Schicksale mit einer nachhaltigen Stimmung durch die Haut.

Das Buch ist gleichbedeutend mit einem Denkmal, dass diese mutigen Frauen ihrer Zeit verdienten. Es ist ein Sachbuch, aber die Autorin ermöglicht es dem Leser an Geschichten teilzuhaben, die genauso spannend sind wie fiktive Thriller, oder Krimis.

Es gab viele Widerstandskämpfer, die unter Einsatz ihres Lebens andere Menschen retteten, oder halfen – viele sind uns wohlbekannt. Doch hier zählt nicht die mediale Würdigung im Rampenlicht – es wäre diesen Frauen egal gewesen. Ihre Schrecken, aber auch ihr Einfallsreichtum, ihre Kaltblütigkeit und den festen Willen sich zu widersetzen – dem ist ein hoher Respekt geschuldet.

Judy Batalion hat gründlich recherchiert und lässt die Stimmen dieser Frauen ein Stück weit unsterblich werden. Die Autorin beschreibt die Erlebnisse und die Aktionen der Frau sehr detailliert, ohne zu übertreiben, oder es künstlich zu dramatisieren.

Fazit

Ein Zeitzeugnis und ein Denkmal. Eine Mahnung und ein stilles, aber nachhaltiges Echo, dass Widerstand immer nötig ist. Ein ganz besonderes Buch, dass insgesamt die Menschen würdigt, die nicht laut sein konnten.

Michael Sterzik

Samstag, 7. August 2021

Nachttod - Johanna Mo


 Noch immer sind die skandinavischen Krimis und Thriller fast schon eine Garantie für spannende und unterhaltsame Unterhaltung. Die atmosphärische Intensität in diesen nordischen Titeln ist mörderisch gut. Setting – Ambiente – Figuren –  Story – Passen diese einzelnen Elemente und harmonieren miteinander, und ergänzen sich, so hat der Autor alles richtig gemacht.

Die schwedische Autorin Johanna Mo hat nun ihr Debütwerk: „Nachttod“ veröffentlicht. Eine Reihe, die aus drei Bänden bestehen soll. Der vorliegende Titel: „Nachttod“ ist der Auftakt um die junge Kriminalbeamtin Hanna Duncker, die auch nach sechzehn Jahren noch immer versucht, warum ihr Vater einen grausamen Mord begangen hat. Hanna Duncker ist weit davon weg traumatisiert zu sein, doch gänzlich ihre Vergangenheit hinter sich lassen, ist für sie unmöglich.

Hanna Duncker ist zurück auf Öland. Hier in ihrer Heimat kennt man sie nur als die Tochter von Lars Duncker, dem Mann, der vor sechzehn Jahren einen grausamen Mord beging. Inzwischen ist Hanna diejenige, die Verbrecher jagt. Ihr erster Fall auf Öland: Ein toter Teenager, mitten in der Nacht erstochen an einem beliebten Ausflugsziel. Und niemand kennt seine Mutter besser als Hanna. Die Ermittlungen werden für Hanna zu einer Abrechnung mit ihrer eigenen Jugend, und Nachforschungen im Fall ihres Vaters reißen alte Wunden auf. Nicht alle sind froh darüber, dass die Tochter von Lars Duncker zurückgekehrt ist. (Verlagsinfo)

Sehr interessant ist es, wie die Autorin ihren Roman aufgebaut hat. Gerade der Perspektivwechsel zwischen Hanna Duncker, und die in Rückblicken geschilderten Erlebnisse des toten Teenagers sind außerordentlich spannend und gut in Szene gesetzt. Wobei letztere Perspektive atmosphärisch interpretiert, die stärkere ist.

Ebenfalls interessant erzählt ist das nach Hause kommen von Hanna. Interessant in jedem Fall aber zu wenig in die Tiefe gehend. Viel wird nicht erzählt, und außer dass Hanna eine postaggressive Stimmung mit sich trägt, erfährt man immer nur häppchenweise, was vor 16 Jahren vielleicht dramatisches geschehen ist?!  Auch der Kreis der involvierten Personen 16 Jahre später – ist reichlich dünn und eingeschränkt. Schade – denn dieser Perspektivwechsel ist zu minimalistisch ausgemalt.

Die Hauptstory ist spannend und hier zeigt sich die Autorin auch von einer sehr sensiblen Seite, denn sie beleuchtet die Aktionen und Erfahrungen der verdächtigen Personen sehr gut. Ebenfalls finden die Angehörigen des toten Jungen ihren Platz. Und trotz der soliden Spannung, geht die Autorin mit ihren Figuren arg ins Gericht. Die Frage schon Schuld oder Unschuld lässt sich nicht beantworten. Nachhaltig emotional erzählt Johanna Mo von der Verletzlichkeit der Kinderseelen. Diese Botschaften gehen unter die Haut und animieren zum Nachdenken.

Halten wir mal kurz fest! Spannung passt! Atmosphäre passt auch. Kommen wir zu den Figuren. Hier gibt es Abstriche: Hannas Vergangenheit bleibt zwar nicht im Dunkeln, aber verharren in einem unbegehbaren Dickicht. Es wird ja noch zwei weitere Bände geben, die hoffentlich diese dann angestrengter beachten wird.  

Kommen wir zum Faktor: Authentische Handlung! Der Dramaturgie geschuldet bestimmt hilfreich, dass Hannas Vergangenheit quasi mit Gewalt die Tür zur Gegenwart auftritt, aber nicht realistisch, dass eine Kriminalbeamtin in einem Mordfall ermittelt, in dem sie sehr wohl als befangen gilt.

Nichtsdestotrotz ist „Nachttod“ ein sehr spannender und guter Kriminalroman. Der zweite Band sollte allerdings die Figuren stärker hervorheben und auch die Nebengeschichten sind in Menge und Intensität zu wenig eingesetzt. Ich bin aber davon überzeugt, das Band 2 inhaltlich stärker sein wird. Es deutet schon alles darauf hin.

Fazit

„Nachttod“ geht einen neuen Weg. Spannende psychologische Themen und eine ganze eigene Dramaturgie wirken überzeugend. Eine Autorin mit großem Potenzial. Der Auftakt war großartig – die Reihe könnte brillant werden. Klare Leseempfehlung.

Michael Sterzik

Sonntag, 25. Juli 2021

Die Sprache des Lichts - Katharina Kramer

 


Die Sprache ist nicht nur Kommunikation – und schauen wir uns als Sprachwissenschaftler diese an, so stellen wir schnell fest, dass es mehrere Arten von Sprachen gibt. Nicht nur Sprachen von verschiedenen Nationen, oder Regionen, oder Ländern. Es gibt auch die Gebärdensprache, es gibt Programmiersprachen, selbst mathematische Formeln und Rechensätze – kann man als einen codierten Teilbereich interpretieren. Und kommunizieren nicht auch Tiere mit verschiedenen Tönen, oder überhaupt Lebewesen mit einer Gestik und Mimik?!

In der Literatur – insbesondere in der Belletristik im Genre „Historischer Roman“ wird in den verschiedenen Titeln immer wieder zu den Waffen gerufen; um anzugreifen, um sich und andere zu beschützen, usw. Im vorliegenden Roman „Die Sprache des Lichts“ von Katharina Kramer, ist die Tatwaffe die „Sprache“. Sie kann universell eingesetzt werden, sie kann Fragen und Antworten auf die Liebe finden, sie kann Kriege entfachen und ganze Reiche in sich zusammenfallen lassen. Schon längst und immer waren „Worte“ die Erzfeinde von Herrschern. Kirchenfürsten und Könige ängstigten sich schon immer für die ausgesprochen Wahrheiten.

Die Sprachmelodie von Sprachen – der Gesang der Sirenen – ein ausgesprochener Fluch. Verletzende Worte, die man einmal ausgesprochen nicht mehr zurücknehmen kann. Sie merken – ein interessantes, vielseitiges Gebiet.

„Die Sprache des Lichts“ von Katharina Kramer ist ihr Debütroman und vorab ist zu sagen, es ist ihr gelungen einen wunderbaren, vielseitigen und vor allem eine wortgewandte Geschichte zu veröffentlichen.

Wie würde Gott zu uns sprechen? Gibt eine Ursprache? Begleiten Sie im vorliegenden Roman drei Protagonisten auf der Suche nach der Ursprache inmitten der Religionskriege.

Europa 1582: Während die Religionskriege Nachbarn zu Feinden machen, sind Gelehrte, Alchemisten und die Spione der Mächtigen auf der Suche nach der Sprache der Schöpfung, mit der Gott die Welt erschaffen hat. Denn diese Ursprache, so glaubt man, hat noch immer die Macht, das Gesagte entstehen zu lassen.

Der sprachbegabte Jacob Greve entdeckt in den Diensten des englischen Hofastronomen John Dee das geheimnisvolle Buch Soyga, das den Schlüssel zur Ursprache enthalten soll. Daraufhin macht er sich auf eine gefahrvolle Reise quer durch Europa, um es zu enträtseln. Doch Jacob ist nicht der einzige, der dem Geheimnis auf der Spur ist. Die radikale katholische Liga hat die Übersetzerin und Spionin Margarète Labé auf Jacob angesetzt, und auch der zwielichtige Alchemist Edward Kelley hat großes Interesse an Jacobs Talenten …

Im von Kriegen zerrissenen Europa Ende des 16. Jahrhunderts lässt Katharina Kramer die Helden ihres historischen Romans das Rätsel um das geheimnisvolle Buch Soyga ergründen und Jacob, Margarète und Edward das Wesen der Sprache selbst erforschen. (Verlagsinfo)

Die Sprache spielt die absolute, zentrale Rolle in diesem Roman. Wir begegnen verschiedene Sprachen. Katharina Kramer konzentriert sich darauf, uns die Kraft der Sprache zu gegenwärtigen. Das gelingt ihr mit einer souveränen und selbstbewussten Leichtigkeit, dass man sofort merkt – Sprache – ist für die Autorin eine Leidenschaft. Leider vernachlässigt die Autorin zeitgleich allerdings den Spannungsbogen und für alle Menschen, die ggf. wenig mit ausschmückenden Worten, Feinheiten der Sprache, usw., anfangen können ist es zu überfordernd.

Geschichtlich hat Katharina Kramer vorbildlich gut recherchiert. Doch auch hier der Fokus bleibt primär der Sprache überlassen. Die „Sprache“ ist auch das Motiv aller Figuren, und damit verlieren diese etwas viel an einer interessanten Tiefgründigkeit. Auch dieser Aspekt verhindert es ein wenig eine Spannung aufzubauen, die den Unterhaltungswert nach treiben.  

Alles in allem ist aber auch ein Debütroman und aller Anfang ist schwer. Ich bin mir sicher, dass Katharina Kramer ihr Talent in weiteren Roman besser ausspielen wird.

Mit Ihrem Fachwissen glänzt Katharina Kramer und überzeugt – für einen spannenden und unterhaltsamen Roman langt es allerdings noch nicht. „Die Sprache des Lichts“ ist ein guter, historischer Roman – der sich im Genre „Historischer Roman“ ausklinkt  und trotzdem eine exponierte Stellung einnimmt.

Fazit

„Die Sprache des Lichts“ von Katharina Kramer ist ein besonderes Buch, dass für Sprachgewandte der Garten Eden sein dürfte. Ein guter Roman – der überrascht und mutig einen Weg geht und überzeugt. Jetzt fehlt es noch ein wenig an Dramatik, Theatralik, Spannung und inhaltliche Tiefe. Ich bin gespannt auf weitere Bücher der Autorin.

Michael Sterzik