Sonntag, 15. November 2020

Zerrissen - Michael Tsokos


Der vorliegende Band „Zerrissen“ ist der aktuellste der Reihe und der vierte Roman um den Rechtsmediziner für Gewaltdelikte beim BKA – Fred Abel.

Das Subgenre „True Crime“ hat sich schon längst im übergeordneten Genre Krimi/Thriller durchgesetzt. Die Realität schreibt nun mal die besten Geschichten, und tragischerweise leider auch mit die brutalsten.

Reden wir über Gewaltdelikte – reden wir darüber was Menschen sich alles an grausamen Methoden einfallen lassen, um einander zu töten, oder schwer zu verletzen. Prof.Dr. Michael Tsokos und seine Mitarbeiter im Institut für Rechtsmedizin an der Charité begegnen den Tod jeden Tag auf dem Sektionstisch. Seit 2007 ist Michael Tsokos der Leiter dieser Abteilung und schon längst auch international ein anerkannter Experte auf diesem Fachgebiet der Medizin.

In der ersten drei Bänden stand als Co-Autor Andreas Gössling an seiner Seite. Mit dem ehemaligen BILD-Nachrichtenchef Wolf-Ulrich Schüler, der seit 2019 stellvertretender Chefredakteur in der Zentralredaktion der Mediengruppe RTL ist dies Nachfolge, der höchstwahrscheinlich auch am zukünftigen 5.Teil der Reihe mitwirken wird.

Dr. Fred Abel muss vor Gericht in einem besonders schweren Fall von Misshandlung aussagen. Bei dem Opfer, einem kleinen Mädchen, handelt es sich ausgerechnet um die Nichte seiner langjährigen Kollegin Sabine Yao. Das Verhältnis zwischen den beiden Rechtsmedizinern ist dadurch äußerst angespannt.
Währenddessen findet Privatermittler Lars Moewig, Fred Abels alter Freund, in seinem Kickboxclub eine grausam zugerichtete Leiche in einem Boxsack. Lars muss wissen, wer in seinem Club Männer in Sandsäcke einnäht und bittet Abel um Hilfe. Schon bald führen ihre Nachforschungen sie in die Welt der libanesischen Drogen-Clans. Eine Schattenwelt, in der es weder Gefangene noch Zeugen geben darf, seien sie auch noch so jung und unschuldig …(Verlagsinfo)

„Zerrissen“ ist dieser neuester True-Crime-Thriller hochaktuell. Die deutsche Justiz geht immer mehr gegen sogenannte Clans vor, die die verbrecherische Unterwelt beherrschen und ähnliche mafiöse Verbindungen und Strukturen aufweisen, wie die Nachbarn aus Italien. In der Realität gibt es Clans aus vielen Ländern, die sich hier organisieren – Afrika, Russland, Asien, Europa und auch aus dem Osten. Das es zu blutigen Revierkämpfen kommt, steht außer Frage.

In dem vorliegenden Band spielt eine arabische Großfamilie, die Hauptrolle. Clankriminalität in Berlin? Natürlich – ein hart umkämpftes Gebiet. Also hier auch keine Fiktion, sondern traurige Realität. Im Nachwort geht Michael Tsokos auf die verwendeten Verbrechen näher ein.

Insgesamt ist der Titel „Zerrissen“ gut – aber kommt nicht an die Intensität der anderen Teile heran. Vielleicht liegt es nicht unbedingt an Michael Tsokos – vielmehr an seinem Co-Autor, der wenig professionelle Erfahrung vorzuweisen hat – damit erklärt sich dann auch die seichte Oberflächlichkeit. Leider – denn die Schicksale insbesondere das einer offensichtlichen Kindesmisshandlung gehen unter die Haut. Trotzdem sind diese ohne viele Emotionen geschildert und kommen ohne viel Tiefgang daher. Definitiv an Gewichtung hat der Fachjargon gewonnen – zwar auch sehr, sehr interessante – könnte aber für den einen oder anderen Leser mehr als Sachbuch, wie als ein unterhaltsames Buch zu sehen sein. Medizinische Untersuchungsmethoden und Obduktionsergebnisse gibt es also mehr wie genug.

Das Tempo ist mehr wie hoch und wirkt manchmal etwas gehetzt. Das gilt für die Hauptstory, wie auch für die Nebengeschichten, die eigentlich bis auf einem Part keine ist. Das die beiden Autoren, die organisierte Kriminalität durch einen Clan thematisieren ist neben der Aktualität gemessen gut – aber auch hier spielt der Faktor „Oberflächlichkeit “ eine tragende Rolle. Leider nehmen sich die beiden Autoren nicht die Zeit, deren Aufbau, deren Struktur und Motivation in den Vordergrund zu stellen. Stattdessen zeigt man deren brutale Durchsetzungskraft und stellt eine Rache in die erste Reihe. Schade.

Kommen wir zurück zu den Nebengeschichten, die allzu stark konstruiert wirken und sich unrealistisch zeigen. Kommissar Zufall spielt hier auch nebenbei mit und ist völlig fehl am Platze.  

Ich bin ja ein wirklicher Freund von Nebengeschichten, denn diese tragen ja im Grunde die gesamte Haupthandlung, doch die Lebensgefährtin von Dr. Abel einzubauen war absolut überflüssig. Es passt einfach nicht in das Gesamtbild.

Trotzdem war der Roman sehr spannend und vor allem unterhaltsam – also im Grunde Ziel erreicht. Thematisch überzeugt es eben auch dadurch, dass wir hier über True Crime sprechen. Der Anspruch ist erfüllt und ich freue mich auf einen weiteren Band mit Dr. Fred Abel.

Fazit

„Zerrissen“ ist ein unterhaltsamer, spannender True-Crime-Thriller mit einer geschilderten Brutalität, die unter die Haut geht. Es gibt hinlängliche Schwachpunkte – aber trotzdem, auch wenn er mit Abstand der schwächste aus dieser hervorragenden Reihe ist – absolut zu empfehlen.

Michael Sterzik

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