Wer sich mit der mittelalterlichen, englischen Geschichte befasst, wird unweigerlich auf berühmte, königliche Persönlichkeiten stoßen. Parallel existieren enorm viele Legenden, trotz oder vielleicht, auch weil es so zahlreiche Quellen und schriftliche Zeitzeugnisse gibt. Diese geben Historikern und Archäologen ein umfassendes Spiegelbild aus dieser Zeit. Es gibt allerdings auch viele überzeichnete Figuren mit vielen Halbwahrheiten, Vermutungen und immer wieder trifft man auf Klischees, die wie die Figur selbst geschichtlich unsterblich geworden sind.
Die Robin Hood Legende beförderte König Richard Löwenherz
in ein idealisiertes, romantisierendes Abziehbild eines Bilderbuchritters. Sein
verräterischer Bruder John, auch genannt „Ohneland“ wurde absolut negativ und
als tyrannischer, machtbesessener und „böser“ Mensch und späterer
Nachfolgekönig charakterisiert. Diesen verhängnisvollen „Stempel“ werden die
Figuren auch nicht mehr los – zu viel davon wurde medial verarbeitet. Doch wie
werden diese beiden Figuren von der aktuellen, gegenwärtigen Forschung
interpretiert? Fassen wir uns kurz – Richard Löwenherz, war ein exzentrischer,
machtbesessener und wenn man seine Regierung bewertet – ein schlechter König.
Ein guter, legendärer, mutiger Kämpfer – ohne Zweifel – aber weit davon
entfernt als ein stilisierter, ehrenvoller Ritter und König zu sein. König
Johann Ohneland war allen Anschein nach, kein wirklicher Sonnenschein. Er hatte
zwar viel Regierungserfahrung und kannte sich im Umfeld des Adels gut aus –
aber auf seiner Art war er ebenso exzentrisch. Seine Fehlurteile führten dazu
die Normandie zu verlieren, einen Bürgerkrieg zu entfachen, einen Verwandten
getötet zu haben usw. Viele uneheliche Kinder, ein Weiberheld, und mit Geld
konnte er nicht unbedingt gut umgehen (wie viele seine Vorgänger und Nachfolger
ebenfalls nicht).
Das königliche Haus „Plantagenets“ wurde von einem
besonderen Mann unterstützt -. Dem Königsmacher, vielleicht dem größten Ritter
seiner Zeit: „William Marshal – 1.Earl of Pembroke. Seine Treue, sein
Verständnis für Ehre, aber auch sein kämpferischer Mut und Talent mit dem
Schwert und der Lanze machten ihm zum größten Ritter seiner Zeit, ohne
übertreibend zu klingen. Seine Geschichte ist fast untergegangen, aber nur
fast.
Tom Melley hat die beiden Figuren „König Johann ohne Land“
und „William Marshal“ eine literarische Bühne gegeben. In seinem neuesten
historischen Roman: „Der Dunkle Erbe“ erzählt der erfolgreiche Autor von
geschichtlichen Momentaufnahmen dieser beiden Legenden.
Normandie 1199. Nach dem Tod von Richard Löwenherz verhilft
der einflussreiche William Marshal, der berühmteste Ritter aller Zeiten, dessen
Bruder John zum englischen Thron.
Doch seine Hoffnung auf Frieden wird jäh enttäuscht, kaum an der Macht, stürzt
der neue Herrscher das Land in einen Krieg gegen das mächtige Frankreich.
Vom unberechenbaren John wird Marshals Treue auf harte Proben gestellt, dennoch
kämpft er für ihn, um einen Zusammenbruch des Reiches zu verhindern.
Bis der König eine verhängnisvolle Untat begeht, die nicht nur Marshals
Schicksal entscheidend verändert …(Verlagsinfo)
„Der Dunkle Erbe“ ist als historischer Roman auch ein
Polit-Thriller. Es ist kein Action-Kracher, kein Mantel-und-Schwert-Roman –
sondern eine hervorragende Analyse zweier Menschen ihrer Zeit. Ein König und
sein Ritter – beide Streben nach Macht und Einfluss in ihren individuellen
Räumen und eigenen Gedankenpalästen.
Ihre Beziehung – ein Mit- und Gegeneinander ist der Fokus
der Story. William Marschal ist ein Mann von Ehre – aber konzentriert sich auch
darauf, seiner Familie und sich selbst so politisch und wirtschaftlich
aufzustellen, dass er dabei äußerst gut wegkommt. Risiken geht er wohl ein –
aber als ein kluger Stratege und Taktiker hat er immer einen Plan B im Köcher.
Berechnend agiert er diplomatisch im Kreise des Adels – sein Netzwerk ist nicht
unbedingt groß, aber er weiß, wem er sich anbietet, von wem er sich fürchten
sollte und wer erst einmal zu beobachten ist.
König John (Johann ohne Land) wird beschrieben, wie er laut
der aktuellen Quelllage wirklich gewesen sein müsste. Aufbrausend, verletzlich,
unsicher in seinem Handeln – vielleicht war er auch immer ein Muttersöhnchen.
Zeit seines Lebens stand er tief im Schatten seiner Brüder. Seine Bündnisse und
Freundschaften brachten ihm nicht viel ein – außer noch mehr Ärger und
Komplikationen, denen er ggf. auch lieber, trunken vom Wein tänzelnd auswich.
Der Roman lebt von vielen Dialogen, von politischen und
militärischen Entscheidungen, aber auch von der Beschreibung einzelner Kämpfe
auf dem Schlachtfeld. Sehr gelungen ist auch die erzählerische Perspektive von
König Philip von Frankreich. Diese epochale Erzfeindschaft – der Kampf um die
Normandie, ist der Mittelpunkt des Romans. Auf diese Art und Weise ist der
Roman auch spannend – es ist ein Duell verschiedener Motive und Motivationen.
Tom Melley gibt auch keine eigene Wertung ab – es waren Figuren ihrer Zeit,
deren Handlungen wir weder politisch, kulturell, religiös, militärisch und
letztlich auch menschlich mit unserem Wissen nicht unbedingt nachvollziehen
können.
Mit den Vorgängerromanen ist „Der Dunkle Erbe“ keinesfalls
zu vergleichen. Weniger kämpferisch – dafür mehr politisch durchdrungen – doch
der Unterhaltungswert ist sehr, sehr hoch. Hervorzuheben ist die konsequente Verarbeitung
von Fakten – und sich nicht an Legenden und vielen „Vielleicht“ zu orientieren.
Atmosphärisch sehr gut aufgebaut und feinem Humor gibt es
auch zwischendurch. Viele Figuren sind geschichtlich authentisch – viele
Schicksale schlüssig und in sich logisch interpretiert erzählt. Wer hier ggf.
eine klassische Liebelei erwartet – dürfte enttäuscht werden. Die Liebe zeigt
sich in unterschiedlichen Facetten – aber sie ist da. Die Liebe zu dem Land –
für Freunde – für eine Ehefrau usw.
Persönlich finde ich es schade – dass das Leben dieser
Hauptfiguren zu einem Zeitpunkt erzählt wird – bei der beide schon in der
Vergangenheit Angst und Schrecken und weiteren Unfug betrieben haben. Stoff für
weitere Romane – sollte also mehr wie genug vorhanden sein. Für John ist der
Zeitpunkt des Romans – der Anfang vom Ende. Aus der Perspektive von William
Marshal auch – aber als ehemaliger und erfolgreicher Turnierritter – ist er das
Gewinnen ja sowieso gewohnt.
Fazit
Politischer Thriller mit viel Menschlichkeit. Spannende
Unterhaltung von Menschen, deren Handlungen wir nicht unbedingt verstehen, aber
die viel, viel Unterhaltung bieten. Absolut zu empfehlen.
Michael Sterzik