Am Ende des Zweiten Weltkrieges begann auch der Wettlauf um das technische Wissen brillanter deutscher Wissenschaftler. Die alliierten Siegermächte überredeten, erpressten und bedrohten die führende Akademiker-Elite für sie zu arbeiten. Die Waffenforschung, die Medizin, technische Ideen und Entwicklungen – die Jagd nach genau diesem Wissen war die größte Belohnung für den Blutzoll, den sie in all den Jahren entrichten mussten.
Die Nachkriegszeit war für die Russland auch eine Zeit der
„Säuberung“. Politische innere Feinde, Randgruppen, Intellektuelle und Künstler
– es gab keine Grauzone. Entweder war man für den Personenkult „Stalins“, oder
nicht? Letzteres bedeutete den Tod, oder die fürchterlichen Straflager im
Gulag, wobei dieser schlimmer sind als ein schneller Tod. Diese Straf- und
Arbeitslager bedeutete volkswirtschaftlich zu viel für Russland. Förderung von
Bodenschätzen und Metallen, die Häftlinge bauten, Verkehrswege und Kraftwerke
und vieles mehr. In diesen starben ca. 2,7 Millionen Häftlinge
unterschiedlicher Nationen, natürlich waren auch Kriegsgefangene darunter, oder
ethnische Minderheiten.
Das Autorenduo „Ben Creed“ verarbeitet das Leben und
Sterben in einem dieser Lager im vorliegenden, zweiten Roman der
Leningrad-Reihe: „Das dunkle Lied der Toten“.
Der erste Band: „Der kalte Glanz der Newa“ war ein
Überraschungserfolg und erinnerte stellenweise sehr an den Klassiker „Gorki
Park“ von Martin Cruz Smith.
Die Hauptfigur Leutnant Revol Rossel überzeugte durch eine
hohe Beobachtungsgabe und einem gewissen leidenschaftlichen und später
verhängnisvollen Ehrgeiz.
Winter 1953: In der weißen Hölle eines sibirischen Gulags
ist der ehemalige Leutnant Revol Rossel dem Tod näher als dem Leben, als er
überraschend gerettet wird – ausgerechnet von dem Mann, den er mehr als jeden
anderen hasst: Major Nikitin. Seinetwegen wird der virtuose Geiger Revol nie
wieder eine Violine halten können.
Zusammen mit der Fliegerin Tanja Vasilievna sollen Revol
und der Major in Leningrad einen Killer stoppen, der den Leuten wie ein
rachsüchtiger Geist aus einem slawischen Märchen erscheint. Er schneidet seinen
Opfern die Zunge heraus und ersetzt sie durch eine Papierrolle mit
italienischen Versen.
Der Fall ist allerdings mit einem weitaus tödlicheren
Rätsel verknüpft, das die Verschwörer in Stalins Kreml um jeden Preis lösen
wollen: Im fernen Berlin führt eine verschlüsselte Nachricht zu jenem brillanten
Nazi-Physiker, der den Bauplan für die Wasserstoffbombe kennt …(Verlagsinfo)
Russlands Tragödie ist die stille Traurigkeit, die
verzweifelte Hingabe an die politische Ideologie und Führung der Staatenlenker.
Die Partei, dass kommunistische Leitbild – kommt zuerst, dann der Glaube, dann
ggf. die Familie. Russland bedeutet auch eine Melancholie ohne Exit, eine
Akzeptanz, die ggf. aus einer Gewohnheit und einem Grundstein der Angst
herführt. Das Autorenduo fängt atmosphärisch genau diese Stimmung ein, das Buch
ist förmlich durchtränkt von einer selbstauferlegten Traurigkeit und
Verzweiflung.
Besonders gut erzählt ist der Part im Arbeitslager, in der
sich der gefallene, ehemalige Leutnant Revol wiederfindet. Das Reich des Gulags
eröffnet sich dem Leser mit einem brutal erzählten Realismus. Mithäftlinge, die
getötet werden, um deren Leben bei einem Kartenspiel unter herrschenden Dieben
gespielt wird. Enthaltsamkeit was Nahrung, medizinische Versorgung und Kleidung
angeht. Hygiene – dafür ist mal selbst verantwortlich und sich selbst nicht zu
schade, einen toten Freund und Mithäftling wenige Minuten später auszurauben
und zu entkleiden. Alles ist kostbar – alles an Kleidung, Güter usw. Jedes
falsche Wort, eine Geste, ein Blick könnte das Ende bedeuten. Vielleicht ist
der Tod am Grenzzaun doch gleichbedeutend mit der Erlösung?!
Die Schilderung der Serienmorde und die Ermittlungen dazu
sind ebenfalls gut, aber manchmal ziehen sich diese auch unerwartet in die
Länge. Die natürliche und logische Konsequenz, dass die Politik hier involviert
ist, liegt auf der Hand und ist keine Überraschung. Die Hoffnung, dass
(Über)Leben im Lager hinter sich gelassen zu haben, ist der Motor für Leutnant
Revol, ganz egal, dass er Hand in Hand mit Major Nikitin ermitteln soll – der
Mann, der ihn gefoltert hat. Diese verschwörerische und verschworene
Schicksalsgemeinschaft ist packend erzählt und man fragt sich immer wieder, wer
wird das Duell am Ende dieser geplanten Trilogie noch leben ?!
Die politische Stimmung, die Kultur von Russland um 1953
ist fantastisch intensiv erzählt. Schauplatz ist aber nicht nur das „fremde“
Russland, sondern auch noch ein ungeteiltes Berlin, das
Kriegsgefangenengefängnis Spandau in der man auch einem charismatischen Albert
Speer, der helfen soll, einen alten Code zu entschlüsseln.
Diese Rückblicke in die Vergangenheit sind neben den
Beschreibungen des Gulags der Höhepunkt des Romans.
Fazit
Eine spannende Zeitreise in ein konsequent dunkles
Russland. Die Hoffnung ist der Leuchtturm aller Figuren, die (über)leben
wollen. Martin Cruz Smith – hat einen Nachfolger gefunden. Ben Creed.
Michael Sterzik