Das amerikanische Justizsystem – viel gelobt und auch
stark kritisiert. Wenn Menschen urteilen, können ihnen Fehler unterlaufen. Aber
genau diese Fehler können sich auf den Verurteilten dramatisch auswirken, gar
den Tod bedeuten, oder noch schlimmer – das lange, quälende Warten auf die
Todesspritze, oder einen Aufschub der Hinrichtung. Ist ein verurteilter von
Rechts wegen immer schuld?!
In den USA sitzen mehr als 1600 Häftlinge in den
Todeszellen und warten manchmal 10 Jahre, oder mehr auf ihre Hinrichtung.
Statistisch gesehen könnten davon ca. 4% unschuldig sein. Belegt ist jedenfalls
seit 1973 wurden mindestens 340 Menschen hingerichtet, die nachgewiesen unschuldig
waren. Erschreckend.
John Grisham ist selbst Anwalt und seit Jahrzehnten ein erfolgreicher
Anwalt. In seinen Romanen thematisierte er ganz unterschiedliche, rechtliche
Gebiete und verpackte diese spannend und informativ. John Grisham befasst sich
in seinem neuesten Titel: „Die Wächter“ mit der Todesstrafe, bzw. potentiellen
Justizopfern, die ihre Unschuld beteuern.
In Seabrook, Florida wird der junge Anwalt Keith Russo
erschossen. Der Mörder hinterlässt keine Spuren. Es gibt keine Zeugen, keine
Verdächtigen, kein Motiv. Trotzdem wird Quincy Miller verhaftet, ein junger
Afroamerikaner, der früher zu den Klienten des Anwalts zählte. Miller wird zum
Tode verurteilt und sitzt 22 Jahre im Gefängnis. Dann schreibt er einen Brief
an die Guardian Ministries, einen Zusammenschluss von Anwälten, die es sich zur Aufgabe
gemacht haben, unschuldig Verurteilte zu rehabilitieren. Cullen Post übernimmt
seinen Fall. Er ahnt nicht, dass er sich damit in Lebensgefahr begibt.
(Verlagsinfo)
Auch wenn dieser Roman mit seiner Handlung, seinen
Protagonisten fiktiv ist, so befasst sich John Grisham mit vielen kontrovers
diskutierten Themen, die polarisieren. Neben der Frage: „Schuldig oder
Unschuldig“ geht es auch um politische Themen, es geht um Rassismus, um einen
konservativen, moralischen Kompass, und
um die Manipulation und dem Versagen dieses Rechtssystems.
Erzählt wird die Handlung aus der Sicht des ehemaligen
Priesters und jetzigen Anwalts Cullen Post. Ein idealistisch handelnder Mensch
der Mitarbeiter der kleinen Kanzlei „The Guardians“ ist.
John Grisham schleudert den Leser mitunter in den
Todestrakt, lässt ihn mit Cullen Post Beweise suchen und nimmt an spannenden
Dialogen teil, z.B. wenn sich jemand nach Jahrzehnten für seine Falschaussage
im Gericht entschuldigt. Wir erfahren viel von den dunklen, trüben Gewässern einer
Schuld oder Unschuld.
Als des „Teufels Advokat“ kann man Cullen nicht
bezeichnen, aber auch er interpretiert die Suche nach Beweisen für die Unschuld
seiner Mandanten sehr grenzwertig. Nichtsdestotrotz ist ein Kampf auf Leben und
Tod – und manchmal wird es halt auch sehr zeitkritisch. In „Die Wächter“ können
wir ebenfalls einen intensiven Blick auf die Prozesslandschaft werfen:
Zuständigkeiten, die Argumentation von Staatsanwälten und ehemaligen
Verteidigern, Berufungen um ein Wiederaufnahmeverfahren einzusteuern und vieles
mehr.
Cullen Post ist vielleicht das einzige Element in der
Handlung, dass man etwas kritisieren kann. Zu typisch aufgesetzt – zu idealistisch
dargestellt – aber im Grunde auch nicht unglaubwürdig. Er hat ein wenig von dem
Ritter in einer traurigen Gestalt. Das macht ihn weder sympathisch, noch
abstoßend – er ist da ….ja und!?
Vielmehr faszinierend aufgezeigt und das sehr spannend,
sind die Schwach- und Sollbruchstellen im Justizsystem der Vereinigten Staaten.
Und Fakt ist – der Fehler in diesem System ist der Mensch – der nun mal fehlbar
ist. Sehr emotional wird auch geschildert, was der mutmaßliche Täter erdulden
musste, sei es vor Gericht der Willkür von korrupten Polizeibeamten
standzuhalten, oder von der eigenen Familie verraten und verkauft worden zu
sein. Spannend – traurig und lässt einen oft nachdenken über ein Pro- und
Contra dieses Justizsystems. Selbst am Ende des Romans – mag ich mir hier kein
Urteil bilden wollen.
Die Handlung ist atmosphärisch fesselnd und insgesamt
sehr, sehr spannend. John Grisham ist bekannt dafür, dass die Bühne für seine
Handlung, auch wenn sie fiktiv sein mag, sehr realistisch überzeugt.
Die Hauptrolle in dem Roman spielen nicht die menschlichen
Protagonisten, sondern Justitia – eine spröde, manchmal langweilige, aber
letztlich endliche Göttin des Rechts. Aber auch „Götter“ werden von Menschen
gelenkt und manipuliert.
Fazit
„Die Wächter“ ist einer der spannendsten und stärksten
Bände von John Grisham. Fragen aufwerfend – Ergreifend inszeniert – mit guten
und vielschichtigen Dialogen und einer Aura, die überzeugt. Ganz starker Titel.
Unbedingt lesen.
Michael Sterzik