Samstag, 19. August 2023

Puppenblut - Anna Jansson


Puppenblut ist der dritte Band der Krimireihe mit dem Kriminalbeamten Kristoffer Bark. Gemäß dem Motto – die Wahrheit wird eines Tages ans Licht kommen, geht es natürlich auch im vorliegenden Band um einen alten Cold Case Fall, der alte Wunden öffnet und neue Tote in der Gegenwart bringt.

Damit öffnet die Autorin auch ein dunkles Kapitel Schwedens zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die nationalsozialistische Rassenhygiene, die Aussortierung der schwachen, der gebrechlichen, der sozialen Außenseiter – war auch zu der damaligen Zeit ein Thema. Die Wunsch- und Idealvorstellung eines Menschen gab es leider auch in den skandinavischen Ländern bei einigen Interessengruppen.

In Rückblenden, die aus Tagebucheintragungen Marys kommen, wird der Leser mit diesem Kapitel konfrontiert. Gerade dieser Blick in die Vergangenheit bereichert den Roman „Puppenblut“ ganz, ganz stark.

Januar 1967: Ein lebloser Frauenkörper treibt im eiskalten Fluss Svartån, ganz in der Nähe des Schlosses von Örebro. Der Name der Toten ist Mary Billbro, sie lebte in der Nervenheilanstalt von Västra Mark. Die Todesursache bleibt unbekannt. Mehr als 50 Jahre später ist Marys Enkelin Eva auf den Spuren ihrer Familiengeschichte. Sie möchte unbedingt herausfinden, was ihrer Großmutter damals zugestoßen ist. Doch dann bekommt sie selbst Morddrohungen. Für Kristoffer Bark, Schwedens Experten für Cold Cases, ist klar: Das ist ein Fall für ihn! Seine Ermittlungen führen ihn zu den schrecklichen Taten, die einst in Västra Mark geschahen. Kann er Marys Tod aufklären – und reicht das, um Eva zu retten? (Verlagsinfo)

„Puppenblut“ – dessen Story gliedert sich in zwei Ebenen auf. Da gibt es den eigentlichen Handlungsrahmen, der sich wiederum in Vergangenheit und Gegenwart aufteilt und dann noch viele Nebengeschichten, die das Privatleben der Ermittler aufzeigen. Letzteres nimmt allerdings einen so großen Raum ein, dass wenn aufteilen würde, die eigentliche Story zu einer Kurzgeschichte umwandeln würde.

Allerdings ist diese Kurzgeschichte fantastisch gut erzählt. Ein authentischer Rückblick in die Vergangenheit – der unter die Haut geht, wenn man den Aufzeichnungen Marys folgt, die in einer Nervenheilanstalt weggesperrt wurde.

Der schriftstellerische Stil ist sehr, sehr gut – aber die Ausflüge in das Privatleben der Ermittler und weiterer Nebenpersonen bringt die Story weder weiter noch sind diese wirklich interessant. Ja sicherlich, verstärken diese Erklärungen die charakterliche Tiefe, aber sie nehmen auch der Story viel an Substanz und Wirkung.

Fazit

Puppenblut – ist ein unterdurchschnittlicher Kriminalroman. Eher eine Kurzgeschichte, die zwar spannend und gut erzählt wird, aber die persönlichen Herausforderungen der Protagonisten nehmen viel zu viel Raum ein. Nicht zu empfehlen.

Michael Sterzik

Samstag, 5. August 2023

Kälte - Tom Rob Smith


Sind wir alleine im Universum? Mathematische Wahrscheinlichkeit spricht absolut dagegen – wir können ja noch nicht einmal die Grenzen des Universums, der Galaxie feststellen. Und wenn wir von „Leben“ sprechen – dann meinen wir damit intelligentes Leben. Bekannte Wissenschaftler hatten schon vor vielen Jahren davor gewarnt, sollten wir von Aliens besucht werden – könnten diese mit einer deutlichen Wahrscheinlichkeit uns nicht friedlich begegnen. Technisch gesehen wären sich uns in jedem Fall überlegen, ob sie uns dann als minderwertige Lebewesen interpretieren, sei dahingestellt. Ihre Vorstellungen von Moral und Ethik könnten sich stark unterscheiden. Und was spricht gegen die Theorie, dass unser Planet für Alien nur eine Ressource wäre, ggf. eine Kolonie, die man unterwerfen kann?

Steht unserem blauen Planeten, der Menschheit ein Exodus bevor – oder können wir uns gegen diese extraterrestrische Bedrohung, unsere Vorurteile, unseren Neid, unsere Angst vor Veränderungen, unsere Machtansprüche vereinen – und somit unabhängig der Staatenzugehörigkeit, der Rasse, der Religion eine Einheit sein?

Tom Rob Smith hat in seinem neuesten Roman: „Kälte“ einen dystopischen Thriller verfasst.

Unsere Erde in naher Zukunft. Eines Tages tauchen am Himmel gewaltige Raumschiffe auf, die der Menschheit eine Botschaft übermitteln: »Ihr habt 30 Tage Zeit, um die Antarktis zu erreichen. Jeder, der es bis dahin nicht schafft, wird vernichtet.« Diejenigen, die diesen Wettlauf gegen die Zeit gewonnen haben, erwartet ein hartes Schicksal in der eisigen Kälte. Doch einige Wissenschaftler in der McMurdo-Station fassen einen Plan: Sie wollen menschliche und tierische DNA vermischen, um eine neue Art von Mensch zu erschaffen, der in der brutalen Umgebung überleben kann. Mit fatalen Folgen für das, was von der Menschheit noch übrig geblieben ist …(Verlagsinfo)

„Kälte“ ist ein absolut düsterer Roman, der nur eine Botschaft übermittelt – Hoffnungslosigkeit – das Ende der Menschheit – dass nicht nur die Aliens herbeigeführt haben, sondern auch in unserer eigenen Verantwortung liegen. Unsere Überheblichkeit, unsere Naivität und die eben genau diese Uneinigkeit sind letzten Ende Schuld daran, dass wir in diesem Roman vernichtet werden.

Leider erklärt Tom Rob Smith nichts über die Motivation der Aliens, er lässt sie auch sprichwörtlich nicht zu Wort kommen. Selbst innerhalb der Zeitspanne von 20 Jahren, die hier innerhalb der Handlung vergeht, wissen wir nicht, was unseren ehemals blauen Planeten geworden ist. Die Story spielt sich fokussiert nur in der Antarktis ab, ohne dem Leser die Möglichkeit zu eröffnen entstandene Fragen zu beantworten.

„Kälte“ vermittelt eine hoch spannende Story, allerdings viele Oberflächlichkeiten bereithält. Der Autor konfrontiert uns aber mit philosophischen Themen, mit Fragen unserer Ethik, wenn wir uns die Frage stellen, ob wir „Gott“ spielen, um mithilfe von fragwürdigen Genmanipulationen der Menschheit eine Überlebenschance zu garantieren. Die erschaffenen Wesen sind keine Menschen, weder äußerlich noch ähneln sie uns psychologisch. Sie sind unterdrückte Gefangene im ewigen Eis – Experimente die entworfen, gezüchtet und auch entsorgt werden – ohne dass die Schöpfer darüber nachdenken, was sie diesen einzelnen Individuen antun.

Die unmenschlichen, menschlichen Fehler eskalieren – Die Geschöpfe wenden sich gegen Ihre Schöpfer, mit einer brutalen, rücksichtslosen Strategie, die nur einen Lösungsvorschlag zeigt – einer endgültigen Vernichtung.

Doch vorher erzählt der Autor auch von der größten Völkerwanderung der Menschheit. In eine Region, die unwirtlicher nicht sein, es stehen den Überlebenden kaum mehr Möglichkeiten zur Verfügung, Ressourcen abzubauen, ihre Technologie zu retten und einzusetzen. Es sterben Milliarden von Menschen, auch führende Köpfe der Wissenschaft und Forschung, die ihr Wissen keinen Erben geben konnten. Familien werden getrennt – es gibt eine Altersgrenze derjenigen, die gerettet werden – obwohl diese Rettung auch mit einem hohen Risiko verbunden ist, dabei zu sterben.

Die Figuren sind überschaubar und trotz aller Hoffnungslosigkeit, die die Story bereithält, stemmen diese sich gegen die unumstößliche Gewissheit am Ende zu sein. Das „Überleben“ steht im Vordergrund, mit allen Mitteln, mit allen Konsequenzen. Auch die „Wesen“ aus dem „Labor“ haben ihren Auftritt auf dieser Falltür der Menschheit – aber hier hat man am Ende des Romans den Eindruck, die Geschichte muss weitergehen – insgesamt glaube ich daran, dass dieser Roman fortgesetzt werden dürfte.

„Kälte“ – Die Spannung ist nicht unter dem Nullpunkt – und eine gewisse Gefühlskälte transportieren die überlebenden Menschen, einen Panzer aus Methoden, die ein Überleben einfacher machen könnten. Es gibt wenig Nebenhandlungen, hier konzentriert man sich, um die Story möglichst schnell anhaltend spannend aufzustellen, was auch gelingt.

Da es sich um einen Zukunftsthriller handelt, kann man von einer Authentizität nicht sprechen.  Wir bekommen einen Einblick über die letzten „Städte“ der Überlebenden in der eisigen Kälte, aber hier werden die sozialen, gesellschaftlichen Strukturen inhaltlich nur oberflächlich erklärt. So viele offene Fragen – aber dennoch schafft es der Autor, diesen Roman interessant zu machen.

Die Atmosphäre der gesamten Story ist düster, negativ, ohne Hoffnung und je länger man über die Szenen nachdenkt, kommt man zu dem Entschluss, dass das Ende der Menschheit hier eingeläutet wurde und die Apokalypse in zwei Sekunden eintritt.

Fazit

„Kälte“ konfrontiert uns mit vielen philosophischen Fragen, die jeder für sich selbst beantworten muss. Eine eiskalte Story, die uns aufzeigt, dass der schnelle Tod vorzuziehen ist, oder spielen wir „Gott“ und zinken dabei die Würfel? Empfehlenswert – aber nichts für seichte Gemüter.

Michael Sterzik

 


 

Samstag, 29. Juli 2023

Düstergrab - Romy Fölck


Die Elbmarschreihe wird nun mit dem sechsten Band: „Düstergrab“ fortgesetzt. Die Region um Hamburg und Lübeck, dieses raue, aber schönes Fleckchen Natur fasziniert nicht nur die dort lebenden Protagonisten, sondern auch die Autorin selbst. Ihre Liebe zu dieser Gegend findet sich in jedem Kapitel dieses Titels wieder.

Die Figuren um das Ermittlerduo Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn nehmen in Anzahl immer weiter zu. Eine „Familie“ aus Haupt- und Nebenfiguren mit persönlichen, privaten Herausforderungen geben der Handlung eine gewisse menschliche Tiefe mit. Das Verbrechen ist und bleibt natürlich der Fokus der gesamten Handlung. Als Quereinsteiger kann man unabhängig die Titel dieser Reihe lesen, aber rückblickend, um die Figuren besser greifen zu können, empfehle ich diese Reihe chronologisch zu lesen.

Dunkle Regenwolken treiben über dem kleinen Friedhof in der Marsch, als Kommissarin Frida Paulsen der Beerdigung eines ehemaligen Schulfreundes beiwohnt. Am nächsten Tag steht sie erneut vor seinem Grab – Spuren deuten darauf hin, dass es in der vergangenen Nacht geschändet wurde. Entsetzt blickt sie nun in das Innere des Sarges: Auf dem Leichnam des Verstorbenen liegt eine weitere Leiche, die eines Mädchens, bekleidet mit einem Kopftuch und einem altertümlichen Kleid. Handelt es sich bei der Toten um eine der Zwillingsschwestern, die vor Jahren verschwanden? Ihre Ermittlungen führen Frida und ihren Kollegen Bjarne Haverkorn schon bald zu einem Ehepaar, das nach archaischen Regeln auf einem abgelegenen Gehöft lebt. Und dunkle Geheimnisse zu verbergen scheint …(Verlagsinfo)

An Originalität fehlt es Romy Fölck nicht. Eine Leiche, auf einem gerade bestatteten Toten zu verstecken, ist fast ein perfektes Verbrechen, aber nur fast. Die Handlung von „Düstergrab“ umfasst zwei Fälle und bietet so dem Leser eine ansprechende. Abwechslung. Romy Fölcks schriftstellerische Stil entwickelt sich immer besser, somit ist sie selbst kein Wiederholungstäter, wenn man frühere Kritikpunkte jetzt nicht mehr wiederfindet. Das Privatleben der Figuren wird nun weniger ausufernd erzählt, wie oben erwähnt, aber sind diese Nebenhandlungen allerdings für das Gesamtbild nötig.

Beide Storylines sind hervorragend ausgearbeitet. Spannende Dramatik, die eine Eigendynamik entwickelt und es auch emotionale Tragik gibt. Recht und Ungerechtigkeit – dazwischen ein schmaler Grat, auf dem die Menschlichkeit versucht, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Beide Storylines entwickeln sich im Grunde sehr langsam, wechseln sich ab und die Perspektivwechsel der erzählenden Personen bieten eine großartige Unterhaltung. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse und bei aller Spannung, die gegenwärtig ist, klingt dies Auflösung doch etwas allzu sehr konstruiert.

Die Atmosphäre der beiden Storys ist nicht düster, sie bietet eine Unterhaltung auf einem hohen Niveau und ist durchaus einwandfrei, wenn im hohen Norden gemordet wird.

„Düstergrab“ ist auch ein Scheideweg – viele Figuren stehen vor Entscheidungen, die ihr eigenes Leben in andere Bahnen lenken können. Ob nun diese ‚kriminelle‘ Großfamilie“ sich in einem vielleicht kommenden siebten Band vereint – sei dahingestellt. Im Grunde – das ist mein persönlicher Eindruck ist alles erzählt – jegliche Fortsetzung wäre eine künstliche Lebenserhaltung – und würde diese perfekte Reihe nur diskreditieren.

Fazit

„Düstergrab“ verspricht stimmungsvolle Unterhaltung. Tolle atmosphärische Handlung, die das Verbrechen nicht romantisiert – aber die Tragik der Menschlichkeit erzählt.

Michael Sterzik



Mittwoch, 26. Juli 2023

Schmerzwinter - Aaron Sander


Die literarische Welt des Thrillers hat schon etliche Serienmörder hervorgebracht. Eine ganze Armee voller abgedrehter Mörder, die ggf. psychisch krank sind, aber hochintelligent vorgehen, die absurden Wahnvorstellungen realisieren wollen, oder auch andere, die ihre Opfer gerne anderen Gästen servieren! Die Bösartigkeit, aber auch die menschliche Psyche zeigt uns Abgründe der Skrupellosigkeit, wo der moralische Kompass längst schon irreparabel zerstört worden ist.

Doch es gibt Abstufungen in dieser Skala der Brutalitäten und alle geben Dante`s Kreis der Hölle eine neue Definition, um das Böse zu manifestieren und schließlich aufs Papier zu bringen.

Doch auch diese Täter muss man finden, entlarven, festnehmen, oder für immer unschädlich machen. Ein Serienmörder steht immer im Duell – manchmal auch persönlich mit einer Gruppe von Ermittlern, oder einem Kriminalbeamten, der nicht vergessen kann und will und auf Autopiloten geschaltet hat.

Dieses tödliche Duell, das Raum und Zeit recht individuell eine völlig neue Bedeutung geben mag – ist manchmal der eigentliche Spannungsbogen eines Thrillers/Krimis.

Der vorliegende Titel „Schmerzwinter“ von Aaron Sander – ein Pseudonym von Derek Meister der bereits mit seiner historischen Krimi-Reihe um den Lübecker Patrizier Rungholt sein Talent für spannende Kriminalliteratur bewiesen hat, gehört mit seinem Serienmörder ganz sicher in einem, reservierten Teilstück der Hölle.

In Hamburg gibt der Schnee zwei Frauenleichen frei – Hände und Füße sind durchbohrt. Beide tragen eine Uhr anstelle des Herzens. Der aus Schweden stammende Ermittler Jan Nygård stößt auf den zurückliegenden Fall des Puppenmachers, der auf bestialische Art aus seinen weiblichen Opfern Marionetten zu erschaffen versuchte. Schnell wird Nygård und seiner neuen Partnerin Anna Wasmuth klar, dass sie es nicht mit einem einfachen Trittbrettfahrer zu tun haben. Hier ist ein Schüler am Werk, der seinen Meister...(Verlagsinfo)

„Schmerzwinter“ ist ein Hardcore-Thriller. Die Beschreibungen der Leichen und deren zugefügten Verletzungen sind blutig beschrieben. Eine Marionette bewegt sich durch Fäden und diese müssen am Körper der Entführten ja irgendwie befestigt werden und dieses blutige Handwerk und die Arbeitsschritte sind wahrlich nichts für schwache Nerven. Auch der „Puppenmacher“ findet seine Bühne um sich spektakulär zu präsentieren. Diese drei Perspektiven vervollständigen also einen prima Gesamteindruck.

Auch die erzählerische Perspektive eines Opfers des Puppenmachers, das sich sprichwörtlich in Ketten befindet, schildert Qualen, Ängste, Schmerzen und Hoffnungen, die deutlich unter die Haut gehen. Manchmal ist es fast schon grenzwertig – aber es verspricht auch eine hohe Spannung und fesselt auf eine bizarre, kuriose Art. Derek Meister ist ausgebildeter Drehbuchautor und Dramaturg, diese Handschrift erkennt man durch seinen detailreichen, erzählerischen Stil.

Die Protagonisten und hier besonders der Ermittler Jan Nygard, der den Tod seiner Frau noch immer nicht verarbeitet hat, sind anstrengend konzipiert. Jan Nygard ist ein typischer Antiheld – jemand, der sich nicht eingestehen möchte, dass er sich psychisch helfen lassen muss, und der seine Traurigkeit und Verzweiflung durch Aggressivität zeigt. Sein Charakter und auch die Tötung seiner Frau werden final noch nicht aufgelöst, ebenso das angespannte Verhältnis zu seiner Tochter, die in diesem Roman eine tragische Rolle einnimmt.

Als Partnerin wird ihm eine Psychologin an die Seite gestellt, die ihn therapieren soll, aber gleichzeitig auf den labilen Kriminalbeamten aufpassen soll. Auch Person ist noch oberflächlich gestaltet, aber wird in den kommenden Bänden sicherlich tiefgründiger aufgestellt sein.

Der größte Schwachpunkt des Romans ist es, dass der Ermittler persönlich in dieser Mordserie verwickelt wird. Das ist mir zu wenig originell und ist nun mal leider auch nichts Neues in diesem Genre. Für die dramaturgische Spannung sicherlich ein hilfreicher Aspekt, aber zu oft von vielen Autoren fast schon inflationär verwendet.

Weiterhin fehlen mir Nebenfiguren, die die Story etwas stützen und ausbauen. Die Staatsanwältin wäre geeignet dafür gewesen, und vielleicht hätte man die Nebenrolle des inhaftierten Straftäters intensivieren können. Die Vernehmung im Gefängnis war mit die beste Szene, in diesem Roman. Diese charakterliche Tiefe habe ich dann später sehr vermisst, dass rhetorische Duell auf Augenhöhe – das fehlt dann doch.

„Schmerzwinter“ ist auch sehr ambitioniert, Action-Elemente sehr spannend und absolut unterhaltsam zu erzählen. Das gibt der Handlung ein immenses Tempo und lässt auch inhaltlich keine langweiligen Längen zu.

Fassen wir also zusammen: Ein sehr guter Krimi, mit dem großen Schwachpunkt, dass die Hauptperson des Ermittlers persönlich in dieser Mordserie involviert wird. Das ist nicht unbedingt unrealistisch – aber ist inhaltlich hier nicht nachvollziehbar und erschließt mir leider auch nicht.

Fazit

„Schmerzwinter“ ist ein unterhaltsamer Hardcore-Thriller mit einer spannenden Grenzerfahrung, wenn man nervlich nicht ganz so belastbar ist. Kurzweilige – aber spannende Unterhaltung die ich empfehlen kann.

Michael Sterzik





Samstag, 22. Juli 2023

Ich bringe Dich zum Schweigen - Sarah Nisi


Rivalität unter Geschwistern – kennt man wahrscheinlich. Neid spielt oftmals mit die größte Rolle, auch wenn es darum geht’s Anerkennung von den eigenen Eltern, oder um Konkurrenz Freunde zu gewinnen. Besonders schwierig wird die Beziehungsebene, wenn es sich um Stiefgeschwister handelt. Wird der Eindringling in das persönliche Leben von Anfang an akzeptiert, oder baut sich vom ersten Tag eine schier unpassierbare Mauer auf !? Eine schwierige Situation, auch für die Eltern, die diese psychologischen Machtspiele deutlich zu spüren bekommen. Als Mediator zwischen den Kindern und um eine gewisse „Neutralität“ zu wahren, ist es ein kleiner Tanz auf dem Vulkan. Eskalieren die Emotionen in physischer Gewalt, können aus Hass lebensbedrohliche Situationen entstehen, zumindest wird sich der Druck als Ventil ggf. auch durch psychologische Schäden zeigen.

Die Autorin Sarah Nisi thematisiert dieses emotionale Minenfeld in ihrem zweiten Roman: „Ich bringe Dich zum Schweigen“.

Die Beziehung der Stiefschwestern Phoebe und Charlie ist seit ihrer Kindheit durch Konkurrenzkampf geprägt. Ein Ereignis in der Schulzeit machte daraus offene Feindschaft. Umso überraschter sind beide, als sie jetzt, mit Ende 20, gemeinsam ein größeres finanzielles Erbe antreten sollen. Die einzige Bedingung: Sie müssen sich unterstützen – denn nur durch enge Zusammenarbeit kann ihnen der Durchbruch in der Theaterszene Londons gelingen. Was sich wie eine Aufforderung zur Versöhnung anhört, wird für Charlie und Phoebe zum Albtraum. Und das Ringen um eine erfolgreiche Inszenierung ein fatales Spiel um Leben und Tod.(Verlagsinfo)

Die Autorin erzählt sehr raffiniert von einem psychologischen, kriegerischen Feldzug zweier Stiefschwestern, deren jedes Mittel recht ist, um sich für die Verletzungen der Vergangenheit zu rächen. Beide Personen sind hervorragende „Schauspielerinnen“ und verstehen es theatralisch und dramaturgisch zu manipulieren. Sie werden zu Grenzgängerinnen, wobei sich die Perspektive des Täters und des Opfers immer wieder wechselt. Allerdings sind die emphatischen Grenzen klar gezogen, die eine ist seit Kindheitstagen immer das Opfer, dass sich nun im erwachsenen Alter einen detaillierten Plan ausdenkt, um mit der Vergangenheit abzuschließen. Die andere dagegen ist eine Großmeisterin der psychologischen Gewalt, die fast schon bösartig daran arbeitet, die andere zu vernichten.

Die erzählerische Perspektive wechselt – nicht die beiden verfeindeten Stiefgeschwister bekommen ihr persönliches Podium, sondern auch einzelne Nebenfiguren, die allerdings wichtiger sind, als es zum Anfang den Eindruck macht.

Die Atmosphäre des Romans steht stabil unter einer hohen Anspannung. Ruhige Momente gibt es nicht – denn jedes Detail und jede Kommunikation ist nahezu ein einzelnes Puzzleteil, um diese komplexe Auseinandersetzung letztlich durchschauen zu können. Die Manipulation hat ebenfalls einen hohen Stellenwert – denn hier ist keiner unschuldig – es gibt durchaus Abstufungen. Als Leser empfindet man recht fix eine gewisse Sympathie und Antipathie für die beiden Schwestern.

Die Rückblicke in die Vergangenheit zeigen auf, wie tief die Verletzungen führen und wann jeder von den beiden den Point of no return überschreitet.

Gefallen hat mir auch einen gewissen Einblick in die kulturelle Welt des britischen Theaters einzutauchen, denn diese Abwechslung ist auch inhaltlich die Möglichkeit, die Anspannung etwas abzumildern.

Das psychologische Katz-und-Maus-Spiel ist der Grundtenor der Handlung. „Ich bringe Dich zum Schweigen“ ist kein temporeicher Roman, in dem sich die Ereignisse überschlagen. Der schriftstellerische Stil der Autorin kompliziert und ich empfehle diesen Roman in großen Teilen zusammenhängend zu lesen, um der Story folgen zu können.

Anerkennenswert sind die Wendungen und Überraschungen, die die Autorin passgenau eingearbeitet hat. Abgründige Psychologie – inkludiert Manipulationen, Mobbing und systemseitige Bereitschaft, einen Menschen zielgenau und bösartig schaden zu wollen.

Damit ist „Ich bringe Dich zum Schweigen“ sehr zu empfehlen. Ein ausgereifter psychologischer Roman, in dem die Waffen die umfassende Intelligenz eines Menschen ist, und auch diese kann tödlich sein.

Fazit

Die Abstufungen von psychologischer Gewalt werden hier auf hohem, spannendem Niveau erzählt. Tiefgründige und angespannte Atmosphäre, die eine großartige Unterhaltung bietet.

Michael Sterzik

Montag, 17. Juli 2023

Vatermörder - Jeffery Deaver


„Vatermörder“ ist der dritte Roman mit dem Überlebensexperten Colter Shaw. Nach den beiden erfolgreichen Titeln: „Der Todesspieler“ und „Der böse Hirte“ von Jeffery Deaver wird es nun sehr persönlich für unseren Experten für vermisste Personen. Noch immer will er das Rätsel um seinen „ermordeten“ Vater lösen. Dieser war nicht nur ein Überlebensexperte und bildete seine drei Kinder in verschiedenen Fachrichtungen aus; Waffen, Infiltration, Selbstverteidigung, Tarnung, etc., sondern auch ein extrem motivierter Historiker, der überall Verschwörungen sah, und die Macht von einflussreichen Großkonzernen in Verbindung mit der Politik und anderen Institutionen sehr kritisch bewertet.

Auf diesem Kreuzzug begibt sich jetzt auch Colter Shaw. Allerdings will er nur die Vergangenheit seines Vaters aufarbeiten und keinen, persönlichen Kleinkrieg starten.

In San Francisco ist Colter Shaw in einer ganz persönlichen Mission unterwegs. Er setzt die letzte Ermittlung seines ermordeten Vaters fort. Dieser sammelte Beweise gegen die mysteriöse Firma BlackBridge, die als »Problemlöser« ihrer Kunden agiert und für Hunderte von Drogentoten verantwortlich ist. Den rätselhaften Hinweisen folgend, die sein Vater hinterlassen hat, findet sich Shaw in einem gefährlichen Katz-und-Maus-Spiel wieder. Das Unternehmen hat Killer auf ihn angesetzt und ihm läuft die Zeit davon. Denn nur wenn er die Machenschaften der Firma auffliegen lassen kann, wird er auch den Mord an einer ganzen Familie verhindern können, die in achtundvierzig Stunden sterben soll. Unerwartete Hilfe bekommt er dabei von jemandem aus seiner Vergangenheit ...(Verlagsinfo)

„Vatermörder“ ist eine Familiengeschichte und geht tief in die Vergangenheit von Colter Shaw und seinem Bruder Russel, der ebenfalls hier das erste Mal auftaucht und seinem jüngeren Bruder Schützenhilfe gibt. Auch er hat eher einen unkonventionellen Beruf und arbeitet für eine Geheimorganisation der Regierung. Die Familiengeschichte zeigt sich als ein erzählerisches Labyrinth, aber noch längst werden abschließend alle Fragen eine Antwort bekommen. Die Beziehungsebene der beiden Brüder ist im vorliegenden Buch allzu oberflächlich behandelt, was ein deutlicher Kritikpunkt ist.

Auch die eigentliche Story ist inhaltlich viel weniger spannend, wie in den beiden vorherigen Titel. Dieser psychologische und physische Kraftakt, sich mit dem Unternehmen zu befassen, die scheinbar mehrere Personen ermorden ließ – darunter auch den Vater der Shaws, geht nicht wirklich erzählerisch in die Tiefe. Dieses Hin und Her – auf und ab – verstecken, flüchten, nachjagen…erzeugt keine Atmosphäre, die den Leser einzufangen vermag.

Perspektivisch wird die gesamte Story aus dem Blickwinkel von Colter Shaw geschildert. Es gibt wie immer satte Actionszenen – aber die Originalität vermisst man. Es gibt wenige bis gar keine Überraschungen.

Wie kann es denn nun weitergehen, mit einem ggf. vierten Band! Ich denke, die Familiengeschichte sollte jetzt beendet sein – diese Konzentration war viel zu viel.

Damit ist der vorliegende Roman: „Vatermörder“ der bisher schwächste Band der Reihe und nicht unbedingt zu empfehlen. An die beiden vorherigen Teile kommt dieser keinesfalls gemessen an inhaltlicher Spannung und Unterhaltung nicht heran.

Fazit

Durchschnittlicher Thriller. Manchmal sehr langatmig und viel überflüssige Szenen.

Zu empfehlen sind die beiden Vorgängerromane in jedem Fall: „Todesspieler“ und „Der böse Hirte“ – dieser leider nicht.

 

Michael Sterzik

Donnerstag, 13. Juli 2023

Sünde - Megan Campisi

 


Die Sünden auf sich nehmen –  klingt irgendwie merkwürdig, dass vor dem Tod eines Menschen deren Sünden von jemand anderen aufgenommen werden können!? Der Begriff „Sündenfresser“ oder „Sündenesserin“ war mir gänzlich fremd. Die Recherche verschiedener Quellen erklärt es dann mit der Einnahme einer rituellen Mahlzeit, um die Sünden einer sterbenden, oder verstorbenen Personen spirituell auf sich zu nehmen. Das würde damit also die Seele der verstorbenen Person reinigen und von der Sünde freisprechen. Diese Rituale wurden am häufigsten in Wales, oder an deren Grenzen praktiziert.

Dieses Ritual verfügt aber auch über ein spezielles System. Je nach Sünde – präsentiert sich dann auch die jeweilige Speise. Das kann ein Brot sein, Gemüse, oder Obst, aber auch ein deftiger Braten steht hier auf dem Speiseplan.

Der vorliegende, historische Roman von Megan Campisi – „Sünde“ verarbeitet das Thema in einer spannenden und sprachlich ausdrucksstarken Geschichte.

England, 16. Jahrhundert: Als Anna Owens beim Stehlen eines Brotlaibs erwischt und verhaftet wird, ahnt sie nicht, dass die Suche nach der nächsten Mahlzeit künftig ihre geringste Sorge sein wird. Die Waise wird dazu verurteilt, eine Sündenesserin zu werden. Von der Gesellschaft geächtet und zum Schweigen verdammt, ist es fortan Annas Aufgabe, Sterbenden die letzte Beichte abzunehmen und deren Sünden so in sich aufzunehmen. Als ausgerechnet die Zofe der Königin schwer erkrankt, wird Anna an deren Sterbebett gerufen. Dabei kommt ihr ein Gerücht zu Ohren – ein Gerücht über ein ungeheuerliches Verbrechen, das bald weitere Tode fordert und auch für Anna zur Gefahr wird …(Verlagsinfo)

„Sünde“ kann für viele Leser eine sprachliche Herausforderung sein. Megan Campisi hat ihren ganz eigenen erzählerischen Stil, an dem man sich erstmal gewöhnen muss. Atmosphärisch zeigt sich der Roman insgesamt von einer sehr düsteren Seite. Die Einleitung kann man vielleicht auch mit dem Wort „Hoffnungslos“ beschreiben. Die Welt und die Zukunft der jungen Waise Anna Owens verflucht sie zu einem Leben der Stigmatisierten, ähnlich wie der eines Henkers, Abdeckers usw. wird sie zu einer Ausgestoßenen. Hunger wird Ihre kleinste Sorge sein – die soziale Ausgrenzung ihre größte. Sie geht nach ihrer Verurteilung zur „Sündenesserin“ in die praxisnahe Ausbildung bei Ruth, die das gleiche Schicksal hat.

Spannend wird „Sünde“ durch das Schicksal der Hauptfigur, nicht unbedingt durch das verhängnisvolle Geheimnis, mit dem sie konfrontiert wird. Ihre Welt spiegelt ihr alles an Neid, Angst, Misstrauen, Gier und tiefen Augenglauben wieder – und sie steht mitten drin, ohne einen Ausweg zu finden. Durch ihren „Fluch“ sieht sie viel Leid, viel Angst, sie lernt viele kleinere und größere Geheimnisse kennen. Zugleich lernt sie gezwungenermaßen auch, das Leben und dessen begrenzte Zeit zu schätzen.

Ihre Figur trägt die ganze Story auf ihren schmalen, jungen Schultern und das macht sie wirklich gut.

Erzählt wird ihre Geschichte aus ihrer eigenen „Ich-Perspektive“, sodass der Leser unmittelbar in ihrem Kopf und in ihren Gedanken steckt.

Megan Campisi`s Debüt ist gelungen. Erzählerisch ist Ihre Sprache und der Fokus auf nur eine Person etwas befremdlich. Ebenso gibt es keine Nebengeschichten, oder Personen, die die Story mittragen. Etwas eindimensional und ausbaubar in jedem Fall. Ich bin gespannt auf die nächsten Bücher der Schriftstellerin.

Fazit

„Sünde“ ist damit ein kleiner Geheimtipp. Eine dunkle Welt des Aberglaubens, der Negativität – aber alles in einer spannenden, persönlichen Atmosphäre.

Michael Sterzik